Macht sieht nur live richtig gut aus

G 8 Gipfel Inszenierung auf beiden Seiten des Zauns: die Mächtigen klappern mit dem Silberbesteck, die Kritiker suchen neue Wege des Protests

Noch ist der Zaun nur ein lästiges Hindernis auf dem Weg zum Strand. Im Juni, wenn sich die G 8 zum Gipfel treffen, wird er zwei Welten trennen. Draußen bleibt die Unwägbarkeit der Proteste, die Welt der spontanen Entscheidungen und unerwarteten Möglichkeiten, der Repression, der Wut, der Angst. Drinnen entsteht vor den Augen der Kameras eine Scheinwelt, eine Welt der gestellten Bilder und einstudierten Auftritte, ein minutiös geplantes Spektakel, frei von Zufall - die symbolische Politik der G 8. Die Proteste benötigen die G 8: Das Ritual der Herrschaft ist ihre Referenz, der Brennpunkt, auf den sie ihre Macht richten, um sichtbar zu werden. Die G 8 können die Proteste nur ignorieren: ihre Macht beruht auf der Fiktion, dass es nichts zu verhandeln gibt.

Als sich die damals noch sechs Staaten 1975 zum ersten Mal trafen, brannten im Westen Hof und Hinterhof. Die Ölkrise 1973 hatte die großen Volkswirtschaften in eine tiefe Krise gestürzt und ihnen vor Augen geführt, wie verwundbar sie in ihrer Abhängigkeit von Rohstoffen sind. Die USA hatten den Vietnamkrieg verloren, in Italien standen die Kommunisten kurz davor, die Macht zu übernehmen. Linke Massenbewegungen forderten seit Ende der sechziger Jahre in Frankreich und Deutschland das politische System heraus, die letzten Kolonien erkämpften sich ihre Unabhängigkeit und gerieten rasch unter sowjetischen Einfluss. Unruhige Zeiten, tiefe Risse fraßen sich Mitte der siebziger Jahre in die Weltordnung der Nachkriegszeit. Die vorherrschende Stellung der großen Industriestaaten wankte, neue Akteure traten auf die globale Bühne: transnationale Konzerne, internationale Finanz- und Handelsorganisationen, aufsteigende Schwellenländer. Und inmitten der Umbrüche zogen sich die Staatschefs der großen westlichen Nationen ins Schloss Rambouillet zurück, um in Ruhe und Abgeschiedenheit zu beraten.

Geradezu anachronistisch gibt sich dieses erste Treffen, es riecht nach dem Staub längst verlassener Schlösser. Eine Reise zurück in ins 19. Jahrhundert: die Staatsmänner kommen am Kamin zusammen, bedächtig ziehen sie an ihrer Zigarre und sinnieren über Lösungen für die Probleme ihrer Zeit.

Diese Spannung zieht sich durch die Geschichte der G 8, widersprüchlich, wechselhaft: das Verhältnis zwischen ihrer realen Politik und der Symbolik, die ihre Treffen bewusst wie unbewusst transportieren. Politik ist "Dramaturgie" und "Inszenierungskunst" (Murray Edelmann), sie besitzt immer zwei Ebenen. Die Ebene der konkreten Beschlüsse, der realen Auswirkungen, dessen, was geschieht - und die Ebene der Symbolik, der Darstellung, dessen, was scheint. Die Symbolik politischer Handlungen ist nicht weniger wirksam als die Handlungen selbst es sind. Politik bewegt sich immer - besonders in Demokratien - im Rahmen eines impliziten Konsenses, eines Rahmens, der dem entspricht, was in der Zivilgesellschaft als akzeptabel verankert ist. Die Macht einer Gruppe bedeutet, diesen Konsens in ihrem Sinne gestalten zu können: die eigenen Interessen derart im Alltagsverstand zu verankern, dass die Mehrheit der Bevölkerung sie als Allgemeininteresse ansieht. Um solcherart Hegemonie im Sinne Gramscis zu erreichen, kann Symbolpolitik ein mächtiges Instrument sein. Symbole wirken unmittelbar und emotional, sie reduzieren komplexe Zusammenhänge und befriedigen das Bedürfnis nach eingängigen und verständlichen Mustern. Sie erweitern das Feld möglicher Politik oder schränken es ein, sie sind beteiligt an der Definition, was normal, was tolerabel ist. Sie wirken stärker, je größer die Distanz zwischen der politischen Handlung und dem alltäglich Erlebten ist - gerade weil die Gruppe der Acht so weit vom Alltag der Masse entfernt ist, wirkt sie durch die Inszenierung ihrer Treffen mitten in diesen hinein.

Das erste Treffen, 1975, mag seinem Anspruch noch gerecht geworden sein: den vielbeschäftigten Politikern zu ermöglichen, in entspannter Atmosphäre persönlich miteinander zu sprechen. Weder Medien noch Demonstranten störten die Staatschefs von Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien, Japan und den USA bei ihren dreitägigen Gesprächen in der Kleinstadt Rambouillet. Schon ein Jahr später, in Puerto Rico, lenkte der US-amerikanische Präsident Gerald Ford die Aufmerksamkeit der Medien auf das Treffen der Gruppe, die inzwischen um Kanada erweitert worden war. Er hoffte, sich als Staatsmann im Wahlkampf profilieren zu können. Ford verlor die Wahl - die G 7 etablierten sich. Über die regelmäßigen, informellen Treffen gelang es den westlichen Staaten zunächst, ihre Macht unter den veränderten Bedingungen zu sichern. Die Gruppe der Sieben wurde zu ihrem Instrument und ihrem Abbild. Die G 7 symbolisierten die tatsächlichen wie die gewollten Kräfteverhältnisse, ihre Abschlusserklärungen spiegelten die jeweils gültige Doktrin, das jeweilige Verständnis von Gesellschaft und Politik. Versuchten die Staaten der G 7 in den siebziger Jahren noch, den Weltmarkt durch Eingriffe zu regulieren, so entwickelten sie sich in den achtziger Jahren zu Verfechtern der neoliberalen Theorie. Die Schuldenkrise dieser Zeit trieb zahlreiche Staaten des Südens in die Abhängigkeit von IWF und Weltbank, über ihre Mehrheiten in diesen Institutionen nahmen die G 7 Einfluss auf deren Politik. Mächtig gaben sich die G 7 auf den jährlichen Gipfeln, mächtig waren sie auf den Ministertreffen im Vorfeld, im Sicherheitsrat, den Tagungen von Weltbank und IWF.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1990 hinterließ ein einziges System. Alles war auf einmal global, und in der entstehenden Weltordnung sicherten sich die G 7 rasch ihren Platz. Ihr symbolischer Überschuss machte sie zum attraktiven Gegengewicht zu den großen UN-Konferenzen der neunziger Jahre. Gegenüber der unüberschaubaren Masse an Meinungen und Positionen, gegenüber langwierigen Diskussionen und vagen Erklärungen konnte die Gruppe sich als effizientes und kompetentes Forum für globale Fragen etablieren. 1994 lud die Gruppe Russland ein, 1998 trat es der - nunmehr - G 8 als Mitglied bei. Die Gruppe der Acht installierte sich als Instanz des neuen globalen Westens, als leuchtender Knoten im Netz der global governance.

Wenn sich die G 8 Anfang Juni an der deutschen Ostseeküste treffen, schwirrt um sie ein Tross von 15.000 Mitarbeitern, Beratern und Lobbyisten. 16.000 Polizisten schirmen den Ort des Treffens ab, Tausende von Journalisten drängen sich im nahe gelegenen Pressezentrum. Fünf Stunden sind für die Gespräche zwischen den Staatsschefs vorgesehen - fast ebenso viel Zeit nehmen die Termine für die vier "Familienfotos" ein.

Die Symbolik der Gipfeltreffen hat die Inhalte aufgesogen, der souveräne Auftritt, das Spiel mit den Medien sind ins Zentrum der Treffen gerückt. Indes - dem hochtrabenden Bild der "Weltregierung" entsprechen die realen Kräfteverhältnisse längst nicht mehr.

Die acht Staaten, die die G 8 bilden, haben in den letzten Jahren an realen Einflussmöglichkeiten verloren: Schwellenländer wie China, Brasilien oder Indien machen ihnen im Bereich der Wirtschaft ihre Vorherrschaft streitig. Die asiatischen Staaten haben Währungsreserven angehäuft, eine Beeinflussung des Dollarkurses ist den G 8 allein nicht mehr möglich. Ihre eigenen Volkswirtschaften sind ins Netz der globalen Wirtschaft eingebunden, die Nationalstaaten haben ihren Einfluss durch Reformen selbst beschnitten. Die G 8 stehen wieder, wo sie einst bei ihrer Gründung standen: mit dem Rücken zur Wand.

In ihrem Auftreten schlägt sich diese Entwicklung nicht nieder. Die Symbolik der Gipfeltreffen hat sich von der realen Politik gelöst, hat sich, frei von tatsächlichen Verpflichtungen, in ungeahnte Höhen geschwungen. Die G 8 besitzen Macht, wo es darum geht, die Welt zu deuten. Im Kampf um Bilder und Diskurse sind sie auf der Höhe ihrer Zeit.

Die Akzeptanz des neoliberalen Modells ist angekratzt. Die Versprechungen auf Wohlstand für alle haben sich nicht erfüllt, im Norden wie im Süden bricht sich Enttäuschung Bahn, wachsen Zweifel an der Richtung der Politik. Die Gipfelspektakel sind eine Antwort auf die Ängste in der Gesellschaft. Die Gruppe der Acht sichert den Schein, wo die Wirklichkeit längst keinen Glanz mehr besitzt, sie wiederholt und bekräftigt die Versprechen, die sich nicht erfüllt haben. Je härter die Realität, desto prächtiger das Spektakel.

Die G 8 hatten das diskursive Terrain geschaffen, auf dem sie agieren. Sie lenkten die Kritik in Bahnen, wo sie sich leichter kanalisieren ließ. Sie definierten, was die Probleme sind und was mögliche Lösungen. Sie verleibten sich ein, was sie als legitime Forderung betrachteten. Die Diskussionen finden im Horizont ihrer Deutungshoheit statt. Sie brechen den Protest herunter auf zusammenhanglose, bequem konsumierbare Brocken, die sie so selektiv wie symbolisch erfüllen: Abkommen zum Klimaschutz, Schuldenerlass, ein Gespräch mit dem Popstar Bono über die Armut in der Welt. Wieder und wieder machen sie Afrika zum Thema, jenes Bild von Afrika, das alles vereint, was die G 8 als ihr Außen konstruieren: rückständige Traditionalisten, fanatische Islamisten, failed states, Armut, Abhängigkeit.

Die G 8 deuten die Welt - und geraten genau dort an ihre Grenzen. Sie haben ihr Bild von sich und der Welt auf zwei Fiktionen gegründet, deren Widerspruch sie nun gefangen hält. Sie spielen Handlungsfähigkeit vor und leugnen zugleich, dass es zu ihrem Handeln Alternativen gebe. Sie präsentieren sich als Ort der Politik und verteidigen zugleich das Erbe vom "Ende der Geschichte". Kein Herr mehr und kein Knecht, die hegelsche Dialektik aufgebrochen - auf Fukuyamas These baute die Gruppe ihre Legitimität. Denn das verkörpert sie: das einzig legitime, vernünftige, ja einzig noch mögliche System. Es gibt in ihrem Weltbild nichts, um das es zu streiten gilt. Statt konkurrierender Entwürfe, statt Alternativen: nur noch ein gemeinsamer Weg, ein gemeinsames Ziel. Wer diesen Konsens ankratzt, gefährdet ihre Hegemonie. Die widerspenstige Kritik, die sich einreiht, unschädlich machen lässt, bekämpfen sie mit den alten Mitteln: verbannen sie hinter Zäune, brandmarken sie als Terrorismus, schließen ihre Argumente als unvernünftig, irrational von Diskussionen aus. Die G 8 haben schon verloren, wenn so was nötig ist.

Wenn Anfang Juni die Kameras summend den Dienst aufnehmen, entbrennt der Kampf um Bilder und Symbole. Zu den Zäunen ziehen Rebellen, Clowns und Knechte. Hinter den Mauern bläst das Spektakel zum Gefecht. Es kämpft für die Illusion, dass keine Kämpfe mehr nötig sind. Die Geschichte hat die G 8 längst eingeholt.

Juliane Schumacher studiert und lebt in Berlin. Sie ist aktiv in der BUKO (Bundeskoordination Internationalismus).


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