Unberührt durchschaut

Datenschutz Der Gebrauch "intelligenter Etiketten" kann viel über den Verbraucher verraten, ohne dass dieser es überhaupt ahnt

"Berührungs- und bargeldlos" können sich Skiurlauber in dem österreichischen Ressort Nassfeld/Sonnenalpe seit 1999 bewegen. Eine einzige Karte dient als Hotelschlüssel, Skipass und elektronische Geldbörse. Die mit einer Antenne ausgestattete elektronische Karte verrät, wann der Tourist die Skipiste betritt, was er zu Mittag gegessen und wie viel er abends über den Durst getrunken hat. All diese Daten erfasst die Karte in diesem Fall lediglich, um sie dem Urlauber später in Rechnung zu stellen.

Die Bequemlichkeit der Skiurlauber, die alle Leistungen zentral abrechnen, versorgt die Reiseveranstalter mit vielen nützlichen Informationen: die Auslastung von Lifts und anderer Infrastruktur kann genau erfasst und optimiert werden. Gleichzeitig entsteht ein Profil der Urlauber, das es ermöglicht, sie gezielt zu umwerben. Die Technik, die sowohl der Bequemlichkeit der Urlauber als auch ihrer permanenten Überwachung dient, heißt RFID: Radio Frequency Identification.

Bei der RFID-Technik werden Gegenstände mit elektronischen Etiketten ausgestattet, die über Funk gelesen und je nach Produkt auch neu beschrieben werden können. Jeder Gegenstand erhält so einen einmaligen Identifikationscode. Zum Lesen des Etiketts ist kein unmittelbarer Kontakt zum Lesegerät notwendig. Es reicht, wenn die Etiketten sich im Abstand von einigen Zentimetern bis zu wenigen Metern befinden. Dies unterscheidet RFID-Systeme von Barcodes oder Chipkarten, denn diese müssen noch unmittelbar - und daher für den Kunden erkennbar - abgelesen werden.

RFID-Chips können sich nicht nur in Eintrittskarten wie im Fall des Skiressorts, sondern auch in Warenetiketten befinden. Die so genannten "intelligenten Etiketten" gerieten in Deutschland negativ in die Presse, nachdem die Metro in Rheinberg ihren "Future-Store" eröffnete. Nicht nur die Waren, sondern auch die ausgegebene Kundenkarte wurde hier mit einem RFID-Chip versehen. Der Kunde war also innerhalb des Supermarkts ebenso zu orten wie die dort angebotenen Waren. Sein Konsumverhalten konnte genau dokumentiert werden.

Diese Beobachtungen wiederum können für gezielte Werbung, beispielsweise über ein Display am Einkaufswagen, genutzt werden. Die Speicherung personenbezogener Daten ist zwar unzulässig, in der Tat kann der Kunde aber bei der RFID-Technik nicht nachvollziehen, welche Daten über ihn erhoben und gespeichert werden. Im Falle der Metro schien Misstrauen angebracht, denn die Verbraucher wurden nicht über die Funktionen der neuen Kundenkarte aufgeklärt. Außerdem wurden die Funketiketten der Waren beim Verlassen des Ladens nicht deaktiviert.

Zwar ist es unwahrscheinlich, dass die Etiketten auch außerhalb des Geschäfts gelesen werden können, denn die Lesebereiche sind relativ gering. Unmöglich ist dies jedoch nicht: RFID-Lesegeräte sind klein und unauffällig und lassen sich in nahezu jede Umgebung einbauen. Der Versuch am Kunden brachte der Metro im Jahr 2003 den Big Brother Award, gestiftet vom Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (Foebud e.V.), ein.

RFID ist nicht neu. Das US-Militär nutzt ähnliche Systeme bereits seit 1940. Die ersten zivilen Träger von RFID-Transpondern waren Tiere: die Funkchips sollten den Lebensweg des Tieres von der Geburt bis zum Schlachthof perfekter und fälschungssicherer verfolgen als herkömmliche Ohr- oder Brandmarken und so die Ausbreitung von Tierseuchen einschränken. Auch Bello kann inzwischen von staatlichen Sendern geortet werden. Seit 2003 unterliegen große nordrhein-westfälische Hunde der Chip-Pflicht.

Erst in den letzten Jahren allerdings ist die Entwicklung der Systeme soweit vorangeschritten, dass sich ihre massenhafte Anwendung lohnen könnte. Was bei Tieren möglich ist - das Injizieren von Chips unter die Haut - ist grundsätzlich auch beim Menschen machbar. Die Gesundheitsbehörde der USA erteilte im Oktober 2004 die medizinische Zulassung für einen injizierbaren RFID-Chip der Firma Applied Digital.

Hier zu Lande sollen die RFID-Transponder zunächst nur äußerlich getragen werden. Sie könnten sich künftig auf Ausweisdokumenten, Kundenkarten, Eintrittskarten (z.B. zur Fußball-WM 2006), Geldscheinen und Kleidungsetiketten befinden. Nicht in jedem Fall wüsste man, dass man gerade einen Funkchip mit sich herumträgt. "Die Funktransponder sind so klein, dass der Verbraucher sie kaum erkennen kann, und eine explizite Kennzeichnungspflicht gibt es bisher nicht", erklärt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar.

Die Verunsicherung von Verbrauchern und die Pläne von Industrie und Dienstleistern, die Chips in Zukunft massenhaft einzusetzen, haben das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) veranlasst, die RFID-Technologie genauer unter die Lupe zu nehmen. Im November erschien die Studie Risiken und Chancen des Einsatzes von RFID-Systemen. Die Chancen der Technik liegen vor allem auf Seiten von Industrie und Handel. Diese versprechen sich durch die bessere Kontrolle ihrer Logistik eine effizientere Produktion und Warenverteilung. Bislang sind die Funketiketten mit Preisen zwischen 50 und 90 Cent zu teuer, um mit Massenkonsumgütern einfach im Müll zu landen. Nach Einschätzung der vom BSI befragten Marktforscher wird der Preis aber in den nächsten Jahren auf unter zehn Cent fallen.

Als Risiken nennt die Studie das Abhören der Chips durch Dritte, die Zerstörung der Chips und den Schutz der personenbezogenen Daten von Kunden und Angestellten. So sei bei Kunden und Arbeitnehmern von RFID-Betreibern die "Data Privacy" und "Location Privacy" bedroht. Und zwar nicht durch Spionage Dritter, sondern durch den Betreiber selbst. Bei Arbeitnehmern können ursprünglich zur Zugangskontrolle ausgegebene RFID-Chips immer auch dazu dienen, Leistung und Arbeitszeit zu überprüfen.

Trotz alledem raten die Autoren der Studie aber nicht vom massenhaften Einsatz der RFID-Technologie ab, sondern schreiben: "Es gilt, der zunehmenden Undurchschaubarkeit der technischen Systeme entgegen zu wirken und durch die Sicherstellung von hoher Transparenz das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer in die RFID-Technologie zu steigern." Wie das genau geschehen soll, darüber gibt die Studie keine Auskunft. Verbraucherschützer wie Foebud e.V. fordern dagegen, den Test der RFID-Technik am Kunden zu stoppen, solange der Einsatz nicht ausreichend gesetzlich geregelt ist.


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