Libyen als das Land seiner Träume zu sehen, wird wohl manchem in diesen Zeiten schwerfallen. Für Hamachidou, den kleinen Jungen, der Mitte des letzten Jahrhunderts im Tripolis der Vor-Gaddafi-Zeit aufwächst, ist es das jedenfalls.
Sieben Frauen aus Tripolis ist der erste ins Deutsche übertragene Roman von Kamal Ben Hameda, er scheint stark autobiografisch. Ben Hameda ist 1954 in Tripolis geboren, verließ das Land Anfang der siebziger Jahre und lebt heute als freier Schriftsteller und Jazzmusiker im Exil in den Niederlanden. Losgelassen hat ihn das Land seiner Kindheit jedoch keineswegs. Während des arabischen Aufbruchs waren seine politischen Aufsätze eine Stütze der Résistance.
In der Ich-Form erzählend, lässt uns Hamachidou, etwa zehn
uns Hamachidou, etwa zehn Jahre alt, an seiner Welt teilhaben. Es sind ausnahmslos Frauen, die traditionell zu seiner Erziehung beitragen. Damit gewähren sie ihm, dem kleinen Jungen, der für sie keinerlei Gefahr darstellt, Zutritt zu ihrem Universum, in dem er sich umsorgt und geborgen fühlen kann.Wie Perlen an einer Schnur werden uns die Frauen in Hamachidous nächster Umgebung vorgeführt, die „Tanten“, Freundinnen und Nachbarinnen unterschiedlichster geografischer Herkunft, Religion und Gesellschaftsschicht, für das Kind sind sie alle gleich geheimnisvoll. Jede Einzelne bietet ihm Einblick in zum Teil sehr private und intime Bereiche ihres Lebens. Im Umgang miteinander sind die Frauen gelöst und frei, ihren Bedürfnissen und Vorlieben nachgeben zu können, frei, ihre eigene Meinung zu äußern, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Sie sprechen offen über ihre Männer, amüsieren sich über deren Unzulänglichkeiten und die Lächerlichkeiten des Sex, wagen es in Hamachidous Gegenwart sogar, sie zu kritisieren: „Dein Großvater ist wie alle anderen. Abgesehen von ihrem Bauch und ihrem Schwanz interessieren die Männer sich für nichts anderes, als mit der einen Hand das zu zerstören, was sie mit der anderen aufgebaut haben. (...) Die Schwachen sind fügsame Heuchler, die Starken gemein und lüstern.“ Klare Worte, an deren Wahrheitsgehalt der Junge nicht zweifelt, weiß er doch aus eigener Beobachtung, wie sehr die Männer ihre Frauen schinden und kurzhalten.Der Zustand des „Vögelchens“Wüsste man es nicht besser, man könnte diese Gesellschaft für ein Matriarchat halten, aber sie ist nur eine kleine Parallelgesellschaft in einer Männerwelt. Die fast vollkommene Abwesenheit der Männer macht aber den Einblick in die weibliche Gesellschaft überhaupt erst möglich. In den Gesprächen der Frauen sehr präsent, verändert sich bei den Gelegenheiten, in denen Männer tatsächlich eingreifen, die Stimmung, Sprache verliert an Wert, Brutalität und Gewalt nehmen überhand. Besonders schmerzlich klar wird dies dem Jungen am Tag seiner Beschneidung. Auch wenn er im Anschluss selbst zum Opfer der weiblichen Lästerei wird und der Zustand seines „Vögelchens“ zum Thema erhoben wird, weiß er um seine privilegierte Stellung in diesem Gefüge. Und er begreift, dass dieses Universum der Frauen ein Schonraum ist, den sie benötigen, ein Ort, wo ihre Körper in Ruhe gelassen werden und sie ihre Würde wahren können.Natürlich kann man in diesem Buch eine Hommage an Frauen im Allgemeinen und an libysche Frauen im Besonderen sehen. Aber im Gegensatz zu den düsteren Kindheitsgeschichten, die die Literatur der letzten Jahre hervorgebracht hat, ruft der Roman auch Sehnsüchte nach einer Welt wach, in der Kinder Geborgenheit empfinden dürfen. Uns heute ein frommer Wunsch, weckt „Kindheit“ doch oft nur noch negative Assoziationen. Die Kindheit ist auf dem Rückzug, von Kindern wird immer früher ein Verhalten erwartet, das sich an dem von Erwachsenen orientiert, als hätte es Rousseau, Ariès oder Alice Miller nie gegeben.Durch Hamachidous Augen sehen wir, was wir verloren oder nie kennengelernt haben, uns aber immer erträumen würden. Gleichzeitig wird mit der Kindheitsgeschichte aber noch etwas anderes transportiert. Nicht nur ein Mensch, auch ein Land kann seine Unschuld verlieren. Mit der Machtübernahme Gaddafis, scheint Hameda sagen zu wollen, endet auch die „Kindheit“ des modernen Libyens. Indem die Bilder der Gewalt in seinem Roman fehlen, wird die Differenz zwischen dem Einst und dem Heute deutlich und der Roman politisch; wir können ja nicht anders, als ihn vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse dieser Tage zu lesen.Wäre eine rein aus Frauen bestehende Gesellschaft womöglich eine friedlichere Gesellschaft? Man ist versucht, es zu glauben. Gewidmet hat Ben Hameda das Buch den Frauen, die über Jahre hinweg vor der Sicherheitsbehörde in Bengasi die Leichen ihrer Männer und Kinder forderten, die 1996 beim Massaker im Abu-Salim-Gefängnis getötet wurden.