Wen kümmern schon Gutachten?

Heimische Pflanze Vor rund 10.000 Jahren begannen mexikanische Bauern mit der Mais-Kultivierung. Nun treiben transnationale Unternehmen den experimentellen Anbau mit gentechnisch veränderten Sorten voran

Schon in den neunziger Jahren wurde in Mexiko gentechnisch veränderter (gv) Mais angebaut. Einheimische Forschungsinstitute, Unternehmen und transnationale Konzerne testeten im Rahmen experimenteller Freisetzungen transgenen Mais auf seine agronomischen und biologischen Eigenschaften. Bereits in diesen Studien wurden die Risiken, die für ein Land wie Mexiko mit dem kommerziellen Anbau von transgenem Mais verbunden sind, untersucht. Als 1996 die USA schließlich mit dem Anbau von gv-Mais begann, wuchs in Mexiko die Sorge, die insgesamt 60 mexikanischen Maissorten mit ihren über 1.000 Varietäten könnten unkontrollierbar kontaminiert werden. Deshalb erließ die damalige mexikanische Regierung 1998 ein Moratorium, das jegliche Aussaat von gv-Mais in Mexiko untersagt. Dieses Moratorium ist bis heute faktisch in Kraft.

Wie wenig ein Anbaumoratorium allein den Anbau oder gar die Auskreuzung von transgenem Mais verhindern kann, zeigte die 2001 in der Zeitschrift Nature veröffentlichte Studie von David Quist und Ignacio Chapela, die das Vorkommen transgener Maispflanzen in abgelegenen Regionen des mexikanischen Bundesstaates Oaxaca, eines der Ursprungs- und Entstehungszentren von Mais, nachwies. Damit lösten Quist und Chapela eine Wissenschaftsdebatte aus, in deren Verlauf Teilaspekte der Studie massiv kritisiert wurden, um damit die Ergebnisse insgesamt zu relativieren. Als Resultat distanzierte sich die Nature-Redaktion von dem Beitrag.

Kontamination in Oaxaca

Die Kritik drehte sich vor allem um die Frage, ob eine Einkreuzung von gv-Mais in die mexikanischen Landsorten erfolgt sei und ob sie sich stabil über Generationen fortpflanzen würde. Tatsächlich hatten Quist und Chapela in den betroffenen Pflanzen die Verunreinigung durch Genabschnitte des CaMV-Virus nachgewiesen. Diese DNA-Elemente werden üblicherweise in gentechnisch veränderten Pflanzen als Regulationselemente eingesetzt. Die beiden Wissenschaftler blieben aber den Beweis für die stabile Fortpflanzung der neuen Eigenschaften schuldig und räumten einige Monate später Ungenauigkeiten und Fehler ein.

Ob nun aber gv-Mais als Hybrid, als Tochtergeneration oder als stabile Auskreuzung in den Landsorten auf mexikanischen Maisfeldern wächst, ist letztendlich nebensächlich. Allein seine Existenz auf den Feldern stellt eine nicht abzuschätzende Gefahr für den Bestand der heimischen Maissorten dar. Der zentrale Punkt der Studie, nämlich der Nachweis von transgenem Mais innerhalb mexikanischer Sorten, konnte durch die wissenschaftliche Kritik nicht widerlegt werden. Die deutsche Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) stellte 2003 diese Tatsache jedoch weiterhin grundsätzlich in Frage.

Unter dem Druck der mexikanischen Zivilgesellschaft befasste sich ab 2002 eine trinationale Kommission, die so genannte CEC-Kommission (aus den USA, Kanada und Mexiko) mit der Problematik. Die mexikanische Regierung gab nun selbst Studien in Auftrag, die in mehreren Bundesstaaten ebenfalls Kontaminationen der heimischen Maissorten feststellten. Eine weitere Studie des Nationalen Ökologischen Instituts (INE) fand in der folgenden Periode 2003/04 allerdings keine Kontaminationen mehr in Oaxaca, stellte die Studie von Quist und Chapela jedoch ebenso wenig in Frage wie die Möglichkeit weiterer transgener Kontaminationen auf Mexikos Feldern.

"Ley Monsanto"

Im Jahre 2005 wurde in Mexiko das "Gesetz für biologische Sicherheit und gentechnisch veränderte Organismen" (LBOGM) verabschiedet. Gefahren für die Umwelt und ein Informationsrecht für die Verbraucher spielten hierbei eine nur untergeordnete Rolle. Mit diesem stark auf die Bedürfnisse der Wirtschaft zugeschnittenen Gesetz, auch als "Ley Monsanto", Monsanto-Gesetz, bezeichnet, wurden die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, erneut in den Anbau transgener Pflanzen (inklusive gv-Mais) einzusteigen.

Im Juni 2005 reichten die Unternehmen Monsanto, Dow Agroscience und PHI Mexico (Pioneer) sieben Anträge zur experimentellen Freisetzung gentechnisch veränderter Maislinien in Mexiko ein. Dabei ging es sowohl um insektenresistenten Bt-Mais, der ein ursprünglich aus dem bodenlebenden Bakterium Bacillus thuringiensis stammendes Gift produziert, als auch um Linien mit einer Toleranz gegenüber dem Herbizid Glyphosat, wie auch um die Kombination beider Merkmale. Als Freisetzungssorte waren vier staatliche Versuchsfelder in den Bundesstaaten Sonora, Sinaloa und Tamaulipas vorgesehen.

Das Vorhaben der Biotech-Industrie zum zunächst versuchsweisen Anbau von transgenem Mais in Mexiko (den kommerziellen Anbau von gv-Mais plant Monsanto nach Angaben des Internetportals www.seedquest.com bereits für das Jahr 2010) stellt angesichts der Tatsache, dass es sich hier sozusagen um das "Mutterland des Mais" handelt, für viele eine besondere Provokation dar. Tausende verschiedener Sorten wurden hier über 10.000 Jahre kultiviert und gezüchtet und damit den örtlichen Gegebenheiten angepasst. So vermutet Silvia Ribeiro von der Nichtregierungsorganisation etc group, dass die Industrie hier ein Exempel statuieren will, um deutlich zu machen, dass selbst in den Ursprungs- und Entwicklungszentren des Mais der Anbau transgener Varianten möglich und sicher ist. Aufgrund zahlreicher Verstöße seitens des Landwirtschaftsministeriums (SAGARPA) gegen das neue Gentechnik-Gesetz kam es im Jahr 2005 vorerst zu keiner Genehmigung der Freisetzungen.

Doch im Januar 2006 legten die Unternehmen die Anträge auf Freisetzungen erneut vor. Die dagegen erhobenen Einsprüche zahlreicher Nichtregierungsorganisationen, Bauernverbände und indigener Organisationen machten sowohl technische als auch juristische Einwände gegen die Freisetzungsabsichten geltend. Im Mai musste das Ministerium dann eingestehen, dass die vorgelegten Informationen nicht ausreichten, um für oder gegen die Freisetzungen zu entscheiden.

In einer Wiederaufnahme des Verfahrens kam das Landwirtschaftsministerium im Juli 2006 erneut den Forderungen der Industrie entgegen. Die von den Kollegen aus dem Umweltministerium vorgebrachten konkreten technischen Einwände wurden einfach beiseite geschoben, so stark war der Druck, der in dieser Zeit auf der Zulassungsbehörde lastete und der, wie es hieß, "ganz von oben" kam. Der rechts-konservative Präsident Vicente Fox (von der Partei PAN) selbst habe die Order an die Ministerien ausgegeben, die Freisetzungen noch vor dem Ende seiner Amtszeit zu genehmigen.

Im selben Maße wie sich der Druck erhöhte, verstärkte sich auch die aus dem Gentechnikgesetz abgeleitete öffentliche Kritik. Danach ist es verboten, transgene Pflanzen in ihrem Ursprungs- und Entstehungszentrum freizusetzen. Diese geographischen Zonen hätten - im konkreten Falle die des Mais - aber erst bestimmt werden müssen. Der zweite Kritikpunkt bezog sich auf ein gesetzlich vorgeschriebenes "spezielles Verfahren zum Schutz von Mais", das zum Zeitpunkt des Antrags so wenig existierte wie die Durchführungsbestimmung zur Feldfreisetzung.

Einee Genehmigung unter diesen Bedingungen, so warnte Greenpeace die mexikanische Regierung, würde einem Rechtsbruch gleichkommen. Nach monatelangem politischem Tauziehen lehnte das Landwirtschaftsministerium schließlich im Oktober 2006 die Anträge erneut ab.

Gesetze im Schnellverfahren

Nun drängte die Zeit: Was in den beiden Jahren nach Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes nicht umgesetzt worden war, sollte, so mutmaßt die mexikanische Tageszeitung La Jornada, im Schnellverfahren durchgezogen werden. Hohe Funktionäre des Landwirtschafts- und Umweltministeriums hätten in internen Sitzungen die fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen kurzerhand erlassen und wenig später publiziert, ohne sich dabei um die bereits vorliegenden Gutachten und Erkenntnisse der einschlägigen Kommissionen zu kümmern. Bereits im November 2006 veröffentlichte das Landwirtschaftsministerium das gesetzlich geforderte "Abkommen über die Ursprungs- und Diversifikationszentren" sowie die "Bekanntmachung über das spezielle Verfahren zum Schutz von Mais". Ende des Monats scheiterte die Genehmigung jedoch erneut daran, dass mit der Amtszeit des neuen Präsidenten Felipe Calderón (PAN) auch eine Kabinettsumbildung anstand.

Die Freisetzungspläne, die unter Präsident Fox nicht durchgesetzt werden konnten, werden von der Regierung seines Nachfolgers indessen weiter verfolgt. Derzeit wird in den neu besetzten Ministerien an der noch fehlenden Durchführungsbestimmung gearbeitet, um formal die letzte rechtliche Hürde zu beseitigen. Diese soll nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums in Kürze veröffentlicht werden und die Freisetzung der transgenen Maispflanzen noch im Herbst diesen Jahres erfolgen.

Es wird sich zeigen, ob unter dem politischen Druck in Mexiko die Auflagen zur biologischen Sicherheit weiter bestehen und ob Gutachten, die sich gegen den Anbau von gv-Mais aussprechen, noch Gehör finden werden. Derzeit laufen bereits Klagen gegen die Genehmigungspraxis der Regierung, und weitere wurden angekündigt. Sollte es tatsächlich zu den Freilandexperimenten kommen und in ihrer Folge der kommerzielle Anbau von gv-Mais möglich werden, wird aufgrund der landwirtschaftlichen und soziokulturellen Gegebenheiten in Mexiko eine Kontamination nicht zu verhindern sein.

Weitere Informationen unter:


www.greenpeace.org/mexico


www.planetaazulcom.mx


www.ssedquest.com

Kai Bentlage ist Diplom-Biologe und war von Januar bis Oktober 2006 als Stipendiat im Rahmen eines Austauschprogramms für junge Berufstätige und Wissenschaftler als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Nationalen Ökologischen Institut in Mexiko tätig.

Den Text übernehmen wir mit freundlicher Genehmigung des Genethischen Informationsdienstes (GID).


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