Der Rubel kommt

Russland Dem internationalen Öl- und Gas-Geschäft winkt eine neue Währung

Die mediale Wahrnehmung der Rede, die Russlands Präsident am 5. November zur Lage der Nation hielt, war im Westen bemerkenswert einseitig. Die Wiedergabe konzentrierte sich auf die Ankündigung Dmitri Medwedjews, russische Kurzstreckenraketen im Raum Kaliningrad als Antwort auf mögliche US-Abwehrraketen in Polen in Stellung zu bringen. Dass Moskau tun will, was sich die NATO mit ihrer seit 1999 gültigen Militärdoktrin ganz selbstverständlich zubilligt, nämlich zur eigenen Sicherheit notfalls präventiv zu handeln, gilt als Provokation - ja als Sündenfall, allein geeignet, die Aggressivität der derzeitigen Außen- und Sicherheitspolitik des Kremls zu bestätigen.

Auch die Absicht Medwedjews, die Amtszeit des Staatschefs der Russischen Föderation von vier auf sechs Jahre zu verlängern, rief helle Empörung hervor, allenthalben wird sie mit der Unterstellung versehen, Medwedjew bleibe eben ein Strohmann, dem es beschieden sei, das Terrain zu bereiten für die Wiederkehr Wladimir Putins in das höchste Staatsamt.

Völlig übersehen wurde hingegen die Mitteilung, man sei in Moskau zu einer vollkommen neuen Geldpolitik entschlossen. Medwedjew wörtlich: "Es muss nun praktische Schritte zur Verstärkung der Rolle des Rubels als einer Währung der internationalen Verrechnungen geben." Dies betreffe besonders die Ausfuhren von Erdöl und Erdgas durch das Staatsunternehmen Gasprom. Und mit Blick auf die Weltfinanzlage fügte er hinzu, es sei wünschenswert, die Emission von Wertpapieren "gerade in Rubel und in wünschenswerter Weise auf dem russischen Markt" anzuregen. Ziel all dessen sei es, "den Rubel zu einer regionalen Währung zu machen". Man könne beobachten, auch andere sich entwickelnde Länder würden in dieser Weise aktiv. Je mehr starke Finanzzentren es gebe, desto sicherer werde die globale Finanz­ordnung sein. Kein Zweifel, diese Vorstellungen bezeugen - mit Blick auf die internationalen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen - das russische Verständnis von Multipolarität, aber auch den Willen zur Koexistenz von Mächten und Märkten.

Für diese strategische Disposition existiert ein außenwirtschaftlich überaus offensives Kalkül. Bestärkt durch die Einführung und bisherige Stärke des Euro bemühen sich viele der Öl und Gas exportierenden Staaten seit langem, die seit 1972/73 bestehende Kopplung der Öl- und Gaspreise an den Dollar abzulösen und stattdessen in Euro, Yen oder - seit ein paar Jahren bereits im Gespräch - auch in Rubel zu verrechnen. Bisher konnten die USA eine solche Zäsur - die Bindung des Ölpreises an den Dollar war und ist Teil ihrer globalen Macht - blockieren. Das Schicksal Saddam Husseins, der als erster sein Öl gegen Euro verkaufen wollte, ist bekannt. Nach ihm plante der Iran vor zwei Jahren eine internationale Ölbörse, die sich vom Dollar unabhängig machen wollte, was in Washington als feindlicher Akt der Teheraner Führung gewertet wurde und die Spannung zwischen beiden Staaten zusätzlich anheizte.

Mit dem Aufstieg von Gasprom zum führenden Unternehmen eines eurasischen Gas- und Ölverbundes in den zurückliegenden Jahren ist der Abschied vom Petro-Dollar wahrscheinlicher denn je. Hinter Medwedjews Überlegungen zur Umstellung des Öl- und Gasgeschäfts auf den Rubel steht die bisher weitgehend unbemerkt gebliebene Tatsache, dass die seit 1990/91 betriebene Expansion von US- und westeuropäischen Ölkonzernen in Richtung Aserbaidschan und Kaspisches Meer mit dem von Gasprom vorangetriebenen Projekt "Ostsee-Pipeline" im Norden und dem Vorhaben einer ­"South Pipeline" neutralisiert werden soll. Beide Trassen sind Transitstrecken, um West- und Mitteleuropa mit russischen beziehungsweise über russisches Territorium geleiteten zentralasiatischen Ressourcen zu beliefern.

Mit der Einbindung von EU-Staaten wie Bulgarien, Ungarn, der Slowakei und Österreich in die Planung dieses Verbundes hat Gasprom den seit Anfang der neunziger Jahre verfolgten Kurs der USA, aber auch von Teilen der EU durchkreuzt. Dessen Ziel war es, durch den Aufbau eines Ost-West-Korridors Gas und Öl aus Zentralasien an Russland vorbei auf den Weltmarkt zu lotsen. Zwar ist die BTC-Trasse - benannt nach den Städten Baku, Tiflis und Ceyhan an der türkischen Küste - seit 2005 in Betrieb, um Öl über das Transitland Georgien nach Westen zu pumpen (geplant ist zudem die von der EU auf Betreiben der USA projektierte Nabucco-Pipeline, die aus Zentralasien gleichfalls über Georgien und die Türkei bis nach Ungarn und Österreich führen soll), doch Gasproms "North Stream" und "South Stream" könnten Nabucco die Exklusivität kosten. Beide Verbindungen sind trotz Gegenwehr der USA durch Sonderverträge zwischen Gasprom und einzelnen EU-Staaten (bei der Ostsee-Pipeline mit Deutschland) zustande gekommen.

Überdies hat Russland mit dem Gas-Lieferanten Turkmenistan erst in diesem Jahr langfristige Verträge geschlossen, die vorsehen, für den Transport allein das russische Leitungsnetz in Anspruch zu nehmen. Die Verhandlungen dazu begannen vor dem Krieg um Südossetien Anfang August, um kurz danach abgeschlossen zu werden. Ob die Nabucco-Pipeline nach diesem Schachzug über das Planungsstadium hinauskommt, steht in den Sternen - ohne turkmenisches Gas wird sie kaum rentabel sein. Aber auch der Betrieb der BTC ist gefährdet, seit Aserbaidschan bestrebt ist, sich vom Joch des 1991 geschlossenen "Jahrhundertvertrages", der westlichen Ölkonzernen nahezu die alleinige Ausbeutung der Vorkommen garantiert, zu befreien.

Kurzum, seit die russische Regierung in den Putin-Jahren Gasprom von einem Selbstbedienungsladen zu einem effizienten, international agierenden Konzern reformierte und die Verfügung über die fossilen Ressourcen wieder an sich zog, ist ein Patt zwischen den USA und der EU auf der einen und Russland auf der anderen Seite beim Zugriff auf die Energieträger Zentralasiens entstanden. Ein Raum, den der ehemalige US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski nach dem Ende der UdSSR als "Filetstück" und "eurasischen Balkan" bezeichnet hatte.

Dass dafür in einer Zeit ausgehender Ressourcen auch militärische Konflikte riskiert werden, kann nicht überraschen, letzten Endes jedoch lassen sich Förderung und Vertrieb der Öl- und Gas-Ressourcen nur kooperativ betreiben. Wie gesagt, es geht um eine Koexistenz von Märkten und Mächten.

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