Viel wurde zuletzt über Opposition in Russland geredet Gemeint war in der Regel der "Marsch der Unzufriedenen" mit Ex-Schachweltmeister Kasparow an der Spitze und Oligarch Beresowski im Hintergrund, der vom Londoner Exil aus zum Sturz des "Regimes" aufrief. Aber verkörpern sie wirklich die Opposition? Wer diesen Begriff verwendet, sollte mehr in den Blick nehmen.
Über Differenzen im Kreml dringt wenig nach außen, so dass Kremlastrologen derzeit viel schuldig bleiben. Immerhin gab Außenminister Sergej Lawrow Anfang Mai zu verstehen, von oppositionellen Kräften gestörte Abstimmungen über die künftige Duma Ende 2007 und den nächsten Präsidenten im März 2008 könnten dazu führen, dass die noch nicht gefestigten Eliten Russlands wieder ihren Sonderinteressen wie zu Boris Jelzins Zeiten verfallen. Das gelte es zu vermeiden.
Eine berechtigte Sorge, ist doch die Disziplinierung der Gebietsfürsten wie auch der Oligarchen durch die Putin-Administration noch sehr jungen Datums. Der "Fall Michail Chodorkowski" ist weder juristisch noch politisch abgeschlossen, weiterhin gibt es Auktionen, um Reste des Yukos-Ölimperiums zu versteigern. Zwar findet sich die Mehrheit der Oligarchen angesichts der Verurteilung der Galionsfigur Chodorkowski inzwischen bereit, regelmäßig Steuern auf ihre Gewinne zu zahlen. Die von Wladimir Putin angeregte und soeben von der Duma beschlossene "Steueramnestie", die das Angebot unterbreitet, illegale Einnahmen nachträglich zu legalisieren, zeigt aber, wie akut die Herausforderung für den Staat bleibt.
Die Liberalen verschwinden
Auch mit den regionalen Autoritäten sämtlicher Ebenen pflegt die Zentralregierung trotz der seit Jahren geltenden Praxis, dass Gouverneure vom Präsidenten ernannt werden, nach wie vor das Tauziehen um Rechte und Pfründe. Kaum zufällig ermittelt die Justiz in letzter Zeit, unterstützt vom Inlandsgeheimdienst FSB, mit Nachdruck gegen unbotmäßige Bürgermeister und andere Honoratioren wegen Amtsmissbrauch und Korruption. Noch lässt sich nicht eindeutig sagen, wohin dies führt - ob zu mehr regionaler und privatwirtschaftlicher Kompetenz, wie es Wladimir Putin in seiner letzten Botschaft an die Nation am 26. April ankündigt hat, oder zu mehr Aufsicht durch den FSB. Außer Zweifel steht jedoch, dass hier Potenzial für die Opposition schlummert, die mit der regionalen Karte zugleich einen Trumpf gegen die zuletzt mühevoll restaurierte Staatlichkeit - sprich: Integrität der Föderation - ziehen kann.
Aber wer wird sich dazu hergeben? Wohl kaum die systemimmanente Opposition der Parteien, die zur Duma-Wahl antreten: Ihre Zahl dürfte sich dank der Reform des Wahlrechtes stark verringern, 2003 traten noch 24 Parteien an - vier Jahre später muss mit einem Aderlass gerechnet werden, der nicht mehr als die Hälfte übrig lässt. Von diesen Parteien werden es nach letzten Prognosen wiederum höchstens vier in die neue Duma schaffen. Der Größe nach: Einiges Russland (die so genannte Putin-Partei), die regierungskritischen Kommunisten (KPRF), sodann die Liberaldemokratische Partei (LDPR) des Nationalpopulisten Wladimir Schirinowski, komplettiert durch die neue Formation Gerechtes Russland, die im Vorjahr dank des Geburtshelfers Kreml aus der Partei Rodina entstand - sie alle konnten aus den Regionalwahlen 2005/06 gestärkt hervorgehen. Als inzwischen chancenlos gelten die beiden liberalen Gruppierungen Jabloko und die Union Rechter Kräfte (SPS).
Sämtliche Duma-Aspiranten sind (wie im Übrigen auch Jabloko und SPS) staatsloyal. Einiges Russland und die Schirinowski-Garde können zudem als Stützen Putin´scher Politik betrachtet werden. Die neue Partei Gerechtes Russland versteht sich als Putin-freundliche linke Alternative zur "Partei der Macht", deren wichtigste Mission nach dem Wunsch ihrer Schöpfer darin besteht, der KPRF als der einzigen parlamentarischen Opposition sowie anderen tendenziell linken Kräften wie der Partei der Pensionäre und der Partei des Lebens Stimmen zu entziehen. Allerdings schränkt, wie die Regionalwahlen gezeigt haben, Gerechtes Russland den Spielraum von Einiges Russland teilweise ein.
Jedenfalls dürften nach der Duma-Wahl in sieben Monaten drei regierungsfreundliche Parteien, die sich weniger programmatisch als in den vertretenen Lobby-Gruppen unterscheiden, einer regierungs- und sozialkritischen KPRF gegenüberstehen. Im liberalen Lager wird der Niedergang von Jabloko und SPS nicht mehr aufzuhalten sein, die künftig vom Status mehr als Bewegung auftreten könnten (eine Einigung oder gar Fusion scheint nicht in Sicht). Die Gründung des Komitees 2008: Freie Wahlen beim Petersburger G 8-Gipfel 2006 durch Ex-Schachweltmeister Gary Kasparow, dem sich auch extrem rechte Kräfte anschlossen, trug mit radikalistischen Positionen zur weiteren Zersplitterung der liberalen Szene bei. Mit dem "Marsch der Unzufriedenen", bei dem Anfang April in Moskau und St. Petersburg zum Wahlboykott aufgerufen wurde, hat sich eine Melange aus den Resten liberaler Strömungen und von Anhängern einer aktionistischen Kritik des "Putinismus" als außerparlamentarische Front herauskristallisiert, die kein anderes Ziel als der Sturz des Präsidenten vereint.
Flächenbrand wie 2005
Der 1. Mai 2007 hat gezeigt, dass es über die Parteien und auch über den "Marsch der Unzufriedenen" hinaus viel spontanen sozialen Protest gibt, der im Sog der absehbaren Folgen des WTO-Beitritts schnell zu einem Flächenbrand werden könnte, wie ihn Russland bereits 2005 bei der Abwehr der "Monetarisierung" (s. Text daneben) von Sozialleistungen erlebt hat.
Solange die Einnahmen aus dem Öl- und Gas-Geschäft das Staatsbudget weiter füllen, ist jedoch kaum damit zu rechnen, dass sich derartige Proteste extrem radikalisieren und Anschluss an außerparlamentarische Aktionen suchen. Eher dürfte sich der Trend zur Wahlabstinenz verstärken und mehr als manches Wahlergebnis ein Barometer für die Stimmung im Lande sein. Wie darauf reagiert wird, darüber entscheidet die Wahl des neuen Präsidenten im März 2008.
Russlands Wahlreform
Bis zur Duma-Wahl 2003 wurden 50 Prozent der Abgeordneten noch in "Ein-Mandat-Wahlkreisen" unabhängig von den Parteilisten gewählt und konnten danach entscheiden, welcher Fraktion sie sich anschließen. 2006 wurde diese Art der Direktwahl abgeschafft, so dass jetzt sämtliche 450 Duma-Mandate proportional zum Stimmenanteil der Parteien vergeben werden. Außerdem wurde die Sperrklausel für den Einzug ins Parlament von fünf auf sieben Prozent angehoben.
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