Großer Fisch im Netz

Die Yukos-Versteigerung Wem gehört Russland - wer benutzt Michail Chodorkowski?

Am Wochenende wurde der russische Öl-Konzern Yukos zwangsversteigert und für sieben Milliarden Euro von der bisher unbekannten Baikal Finance Group übernommen. Große Aufwallungen gingen dem voraus: Der Kreml erklärte, die Steuerschulden des Konzerns eintreiben zu müssen, während US-Gerichte die Versteigerung auf Antrag von amerikanischen Yukos-Eignern mit einem Verbot belegen wollten, um "Gläubigerschutz" und "Rechtssicherheit" zu bedienen. Westlichen Finanzinstituten wie der Deutschen und der Dresdner Bank sowie der französische BNP, die um Yukos mit bieten wollten, wurde von amerikanischer Seite Sanktionen angedroht, so dass die russischen Interessenten letzten Endes unter sich blieben.

Derweil ließ Michail Chodorkowski, der inhaftierte Ex-Yukos-Chef, erklären, er könne die Konzernleitung seines einstigen Unternehmens nicht dafür verurteilen, dass sie US-Gerichte angerufen habe, um die Versteigerung zu verhindern. Er könne auch die Exekutive verstehen, meinte er sibyllinisch, nicht allerdings die Machthaber des Landes, die den Konzern und damit den Aktienmarkt gerade jetzt zerstört hätten.

Wie jüngst die Präsidentenwahl in der Ukraine ist auch die Yukos-Entscheidung wieder von empörten Stimmen gegen Wladimir Putin begleitet, der in einer "konzertierte Aktion" von Staat und Steuerbehören nicht nur die russische Demokratische beschädige, sondern auch dazu übergehe, Privatunternehmen zu zerschlagen, um erneut sowjetische Verhältnisse herzustellen. Die deutschen Grünen - unterstützt von der Heinrich-Böll-Stiftung - fordern den Kreml in einem Offenen Brief auf, im Prozess gegen Chodorkowski rechtstaatliche Prinzipien einzuhalten und - "wie überall auf der Welt üblich" - bezogen auf den Angeklagten von einer Unschuldsvermutung auszugehen. 46 Unterschriften europäischer Politiker kamen dafür zusammen, neben denen drei Namen amerikanischer Neo-Konservativer (unter ihnen Robert Kagan, einer der exponiertesten Scharfmacher) stehen. Man traf sich am Wochenende in Berlin auf Einladung der Böll-Stiftung gar in geschlossener Gesellschaft zur Solidaritätsveranstaltung für Chodorkowski. Ganz anders der Konzern Gasprom, der die Intervention von US-Gerichten als "Schmutzkampagne" gegen die russische Wirtschaft deutete.

Worum geht es wirklich? Erinnern wir uns: Yukos entstand wie viele andere oligarchische Unternehmen Russlands Mitte der neunziger Jahre im Gefolge einer überreizten Privatisierung und des Willens russischer Reformer, den Systemwandel unumgänglich zu machen, leere Staatskassen aufzufüllen und strategische Unternehmen lieber an russische Käufer als an Ausländer abzugeben. So kamen die späteren Oligarchen zu Dumpingpreisen und unter teils kriminellen Umständen an einstiges Volksvermögen und lukrative Nutzungsrechte über die Öl- und Gasressourcen, ohne dafür steuerlich belangt zu werden.

Yukos wurde zum größten innerrussischen Monopolisten, der Staat und Regierung seine Bedingungen diktierte. Gleichzeitig setzte Chodorkowski dazu an, Teile des Konzerns an den größten westlichen Öl-Multi Exxon zu verkaufen; von bis zu 40 Prozent war die Rede. Angesichts weiterer US-Beteiligungen an anderen Firmen hätte das bedeutet: Natürliche Ressourcen Russlands geraten tendenziell unter den Zugriff von US-Firmen.

Schließlich führte die Verhaftung Chodorkowskis vor über einem Jahr dazu, dass danach nahezu sämtliche Führungsposten bei Yukos von Managern mit US-Pässen besetzt wurden, das heißt, das Unternehmen sah sich faktisch von den USA aus geführt, obwohl nur 15 Prozent der Aktien in US-Besitz waren. Diese Aktionäre waren es im Übrigen, von denen jetzt die US-Gerichte bemüht wurden.

Jene Richter, die sich daraufhin berufen fühlten, eine von der russischen Regierung verfügte Versteigerung zu verbieten, sind daher alles andere als geltungssüchtige Provinzfiguren. Sie verkörpern den in den USA virulenten Anspruch, die Hand auf russisches Öl und Gas zu legen und dabei zugleich den Europäern einen privilegierten Zugriff zu verwehren. Als die schnelle Kolonisierung des Irak misslang und der Ölpreis stattdessen erheblich stieg, trat eine zweite Option der USA in den Vordergrund: eine Teilkontrolle russischer Ölquellen - das sind über den Kaukasus hinaus vor allem die noch nicht erschlossenen sibirischen Felder (s. CIA-Report Global Trends 2015, April 2004).

Aufschlussreich war die Mitteilung John Laughlands, der ausgerechnet Michail Chodorkowski bei einem Gespräch im September 2002 darauf hingewiesen hatte: Sollten die USA die irakischen Ölfelder kontrollieren, würden sie den Weltmarktpreis auf zwölf Dollar pro Barrel drücken, was der russischen Öl-Industrie schaden dürfte. Gemessen an dieser Option war Chodorkowski schon damals nur noch ein Spielball, der hin und her geschlenzt wurde.

Was treibt unter diesen Umständen Politiker in Westeuropa dazu, sich vor den Karren dieser US-Politik zu spannen, einen Offenen Brief nach dem anderen zu unterzeichnen und für einen russischen Oligarchen die "Unschuldsvermutung" einzuklagen, der längst öffentlich erklärt hat, sich schuldig gemacht zu haben. Geht es überhaupt noch um Chodorkowski? Zeitungen wie Ost-West-Contact ist zu entnehmen, dass man in Unternehmenskreisen den Fall Chodorkowski eher als Verbesserung des "Rechtsstandards, auch für Oligarchen" betrachtet. So war es von Andrea von Knoop Ende November zu hören, der Chefin des "Verbandes der deutschen Wirtschaft in Russland". Eine Kampagne für Menschenrechte, Demokratie und Zivilgesellschaft, so scheint es, muss offenbar mehr leisten, als nur einen Oligarchen entlasten zu wollen.


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