Der russische Premier Wladimir Putin ist bereit, über den Status Tschetscheniens zu verhandeln, behält sich aber vor, mit wem und wann. Außerdem verlangt er vom gewählten Präsidenten Tschetscheniens, Aslan Maschadow, sich vom islamischen Terrorismus zu distanzieren und für die Bombenattentate auf russische Wohnhäuser zu entschuldigen.
Dieses Manöver Putins ist nur allzu durchsichtig, zumal sich Maschadow schon wiederholt öffentlich abgegrenzt und Gespräche angeboten hat. Natürlich gebe es einiges zu verhandeln: Der verfassungsrechtliche Status der tschetschenischen Republik wurde in den Verträgen zum Waffenstillstand von 1996 bis zu einer Klärung im Jahr 2001 ausgespart. Darüber hinaus gibt die russische Verfassung den Su
ung den Subjekten der Föderation zwar das Recht des Austritts aus dem föderativen Verband - aber nur in Übereinstimmung mit dem Zentrum. So war die Ausrufung der Scharia durch Präsident Maschadow verfassungsrechtlich ganz sicher fragwürdig, weil das in Praxis bedeutet, dass die Gesetzgebung nicht mehr von der gewählten Duma, sondern von einer Versammlung der Mullahs ausgeht.Wer indes mit den staatsrechtlich unklaren Vereinbarungen der Waffenruhe vor drei Jahren das Recht auf seiner Seite hatte, ist weniger eine Frage der Buchstaben als der politischen Opportunität. Russland kennt heute die unterschiedlichsten Abstufungen in den Beziehungen zwischen regionalen und föderalen Rechten: So hat sich die Wolgarepublik Tatarstan in den Jahren 1991/92 eine eigene Verfassung ertrotzt. Das sibirische Jakutien besteht auf der regionalen Verwertung seiner Diamantenförderung. Die Kohle-Region des Kusbass hat die Zahlung von Steuern an das Zentrum eingestellt, und die Enklave Kaliningrad praktiziert eine regionale Notbewirtschaftung. Die Republiken Burjätien oder Tuwa nehmen für sich Sonderrechte im kulturellen Bereich in Anspruch.In keinem dieser Fälle kam jemand auf den Gedanken, Gehorsam gegenüber dem Zentrum mit militärischer Gewalt zu erzwingen - allerdings ging auch niemand dazu über, sich qua militärischer Gewalt abzutrennen.Für den Kaukasus gelten offenbar andere Regeln: Für Moskau - speziell für Wladimir Putin - eignet sich Tschetschenien als Objekt, um Stärke zu demonstrieren. Des Premiers wichtigste Rivalen im Kampf um die Präsidentschaft, Juri Luschkow und Alexander Lebed, haben zur Zeit das Nachsehen: Luschkow, der von seinem Ruf als guter Hausvater Moskaus lebt, muss sich nachsagen lassen, die Bevölkerung Moskaus nicht vor dem Terrorismus schützen zu können. In Überreaktionen gegen die "Schwarzen", die er aus Moskau vertreiben lässt, versucht er dem zu begegnen, erntet dafür aber auch verstärkt Antipathien bei einem Teil der Moskauer, in den Regionen und ganz sicher bei der nicht-slawischen Bevölkerung Russlands. Alexander Lebed, dessen Reputation nicht zuletzt aus dem von ihm 1996 erwirkten Friedensschluss in Tschetschenien resultierte, muss sich dafür verantwortlich machen lassen, dass der von ihm gestiftete Friede das tschetschenische Problem nicht gelöst, sondern stattdessen zum Terrorismus gesteigert habe.Für den Westen ist der Kaukasus vor allem wegen des Kaspi-Öls Objekt strategischer Begierde. Das bringt ihn in Konkurrenz zu Russland. Gleichzeitig hält der Westen, und hier besonders US-Strategen, Moskau als Partner im Kampf gegen den "islamischen Terrorismus" für unersetzlich.Dehalb verurteilen westliche Politiker zwar Moskaus Vorgehen gegen Tschetschenien. Alles in allem aber überwiegt im Westen Verständnis. Verständnis dafür, dass Moskau die tschetschenische Republik, insbesondere aber Dagestan, nicht ziehen lassen kann, weil es sonst seine Verbindung zum Kaspischen Meer und dessen Ölreserven verliert; Verständnis für Russland, dass ein Recht habe, den Verbleib der Republik in der Föderation zu erzwingen und sich gegen die Verletzung seiner Souveränität durch "von außen gesteuerte" islamische Aggressoren zu wehren.US-Vize-Außenminister Talbott hat Unterstützung im Kampf gegen den "islamischen Terrorismus" angeboten. In der UNO brachten die USA einen Antrag auf Wirtschaftssanktionen gegen die Taliban-Regierung in Afghanistan ein, um sie zur Auslieferung Usama Bin Ladins zu zwingen. Moskau hat dem Antrag zugestimmt, offenbar weil es Bin Ladin mit den Anschlägen in Russland in Verbindung bringen möchte. Zuweilen taucht auch schon das Schlagwort einer "Neuen Internationale" auf, für deren Entstehung man zwar die falsche Politik der kommunistischen Supermacht in Afghanistan verantwortlich macht, die man aber nun gemeinsam bekämpfen müsse.Sonst kaum noch handlungsfähig, hat auch der Rat der GUS-Staaten einhellig jeglichen "militanten Separatismus" verurteilt. Für die GUS-Staaten ist die mögliche Balkanisierung des Kaukasus das Worst-Case-Szenario ihrer eigenen Entwicklung.Aus all dem ergibt sich ein politisches Patt, das antikolonial begründeten Separatismus in der Russischen Föderation zu einer interessanten Botschaft macht. Zumal, wenn er das ideologische Vakuum der post-sowjetischen Krise durch religiöse Erneuerung zu füllen verspricht. Mit jedem Dorf, das unter russischen Kampfhubschraubern in Flammen aufgeht, wächst dafür die Akzeptanz.