US-Raketen in Polen und Tschechien - für oder gegen die Europäische Union?

Pufferzone wider Willen Die EU gerät in einen gärenden Konflikt zwischen den USA und Russland

Von der Gefahr einer Neuauflage des Kalten Krieges ist die Rede, aber die deutsche Regierung wiegelt ab und Brüssel hält sich bedeckt, obwohl man eines mit Sicherheit ausschließen kann, nämlich dass die Stationierung von US-Raketensystemen in Polen und Tschechien darauf zielen könnte, das Gebiet der Europäischen Union vor möglichen Angriffen aus dem Iran oder Nordkorea zu schützen, ganz zu schweigen vom Territorium der USA. Ein Blick auf den Globus verschafft Gewissheit. Zieht man dann noch in Betracht, dass weder Teheran noch Pjöngjang über Raketen verfügen, mit denen sich die in Frage kommenden Distanzen überwinden ließen, erscheint die Begründung der Amerikaner für ihre Stationierungsoption erst recht fadenscheinig. Daran ändert auch die Erklärung des außenpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Eckart von Klaeden, nichts, Iran und Nordkorea blieben sicherlich "nicht faul", man müsse damit rechnen, dass sie bis zur Betriebsreife der US-Basen im Jahr 2011 zum Bau von Langstreckenraketen in der Lage sein könnten. Keine sehr schlüssige Argumentation. Wie sich iranische, nordkoreanische oder wessen "Schurken-Technik" auch immer bis 2011 verändern kann, trifft das selbstredend auch auf die US-Installationen zu. Alle Versicherungen Washingtons, die Raketen seien schon rein technisch nicht gegen Russland einsetzbar, dienen der Täuschung - und jeder weiß es.

Bruchstelle in Europa

Worum also geht es, wenn das reklamierte Ziel eines Schutzes für die EU nur vorgetäuscht ist? Da wäre zunächst auf den Faktor Eigendynamik bei den einschlägigen US-Rüstungsprogrammen zu verweisen. Zwar nahmen die USA nach Ende des Kalten Krieges Abstand von der 1983 durch Präsident Reagan dekretierten Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI), rüsteten jedoch nicht ab, sondern um. Das Star-War-Programm nahm fortan als land- und seegestütztes System von Raketenbasen Gestalt an, in das ab Mitte der neunziger Jahre mit der NATO-Osterweiterung und dem Wandel der westlichen Allianz zu einem global agierenden Interventionsbündnis auch Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes einbezogen wurden.

Noch unter Präsident Clinton verabschiedete der US-Senat 1999 den National Missile Defense Act, den die Bush-Administration zuletzt 2006 aktualisierte. Im Jahr 2015 soll danach die weltweite Stationierung von Radarleitstationen abgeschlossen sein.

Seit 1999 gehören Tschechien, Polen und Ungarn, seit 2004 Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien, Rumänien, die Slowakei und Slowenien der NATO an. Der Ukraine, Moldawien und Georgien ist eine Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, wird allerdings von einer Klärung ihrer Beziehungen mit Russland wie auch der "strategischen Entscheidung" dieser Staaten für den Westen abhängig gemacht. Vor einem solchen Hintergrund erscheint das amerikanische Ansinnen gegenüber Polen und Tschechien, sie sollten die Stationierung auf ihrem Gebiet abzusegnen, wie ein weiterer Schritt in einer seit 1990/91 geltenden Marschrichtung.

In ein wirklich neues Stadium geraten hingegen die Beziehungen zwischen den USA und der EU, sollte es bei den geschilderten Raketenplänen bleiben. Die EU-Erweiterung bis an die Grenzen Weißrusslands, Moldawiens und der Ukraine, die Option einer strategischen Partnerschaft zwischen Brüssel und Moskau, die in einen ost-westlichen Energieverbund münden kann, die Entfaltung einer eigenen "Europäischen Verteidigungsidentität" und nicht zuletzt die Rolle des Euro als Konkurrenz-Währung zum Dollar haben die atlantische Kräftebalance verändert. Aus amerikanischer Sicht mit einer für die eigenen Belangen wenig willkommenen Tendenz.

Die Stützpunkte sind noch verhandelbar

Seit sich die EU nach Mittelosteuropa ausdehnt, hat sie freilich auch die "historischen Konflikte" einer Region mit Russland geerbt, was auf das Verhältnis zwischen Brüssel und Moskau nicht ohne Einfluss bleibt. Hier liegt eine potenzielle Bruchstelle zwischen dem "alten" und "neuen" Europa - zwischen einer russlandfreundlichen und einer russlandfeindlichen, zwischen einer US-kritischen und einer US-gläubigen Politik. Für die USA ergibt sich daraus die Versuchung, genau auf diese Bruchstelle einzuwirken und über die neuen EU-Staaten Polen und Tschechien zu versuchen, die EU wieder stärker an die eigenen Interessen zu binden, seit sich die Trennlinie zwischen Westeuropa und Russland mehr und mehr zu verwischen scheint.

Russland weist bekanntlich die Stationierungspläne in Polen und Tschechien als Aggression der USA - nicht etwa der EU - zurück, um die ins Auge gefasste strategische Partnerschaft mit Brüssel nicht zu beschädigen. Dabei geht es Moskau entgegen allen anders lautenden Deutungen kaum um die Belebung historischer "Achsen", sondern um eine multilaterale und kooperative Völkerordnung, die den heutigen Kräfteverhältnissen entspricht. Das sich darin ausdrückende neue Selbstbewusstsein der Putin-Administration erklärt zugleich, weshalb die USA nach der beschriebenen Präsenz in Polen und Tschechien streben - und was sie damit im transatlantischen Verhältnis bewirken wollen: Europa wieder enger an Nordamerika zu binden, zumindest aber eine enge Partnerschaft zwischen Russland und der EU zu erschweren, wenn nicht gar zu verhindern.

Nichtsdestotrotz dürfte die Einrichtung der angekündigten Stützpunkte noch verhandelbar sein, wie jüngst der Besuch von US-Verteidigungsministers Robert Gates in Moskau und die intensiven Gespräche im NATO-Russland-Rat erkennen ließen. Auch wenn seit geraumer Zeit kaum noch eine Woche ohne rhetorischen Schlagabtausch zwischen Washington und Moskau vergeht, Russland laut über einen Ausstieg aus dem 1987 unterzeichneten Vertrag über den Abbau von Mittelstreckenraketen nachdenkt und der Chef der russischen strategischen Raketentruppen damit droht, die neuen US-Basen in Osteuropa "ins Visier" zu nehmen. Um so mehr sollte man sich erinnern, was Präsident Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz erklärt hat: Sein Land lasse sich kein Wettrüsten aufzwingen. In eine ähnliche Richtung weisen die Debatten in Polen und Tschechien, wo trotz der regierungsamtlichen Zusagen noch lange nicht ausgemacht ist, ob diese Länder dem US-Verlangen letzten Endes tatsächlich nachgeben. Zuviel könnte auf dem Spiel stehen, wenn man zwischen die Fronten gerät.

Die entscheidende Frage, um die es zur Zeit geht, lautet deshalb nicht - oder besser - noch nicht: Neuer Rüstungswettlauf, neuer Kalter Krieg - ja oder nein? Sie lautet vielmehr: Wo steht Europa in diesem Konflikt? Ist es bereit, eine Art "Brückenkopf" für die Aufrechterhaltung des US-Anspruchs auf globale Alleinherrschaft zu sein? Oder emanzipiert es sich - gemeinsam mit den von Putin in seiner Münchner Rede genannten BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China - auf dem Weg in eine internationale Ordnung, die dem heraufziehenden globalen Kräfteverhältnis entspricht?


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