Anfang September traten der hessische DGB-Vorsitzende Stefan Körzell und Landessozialministerin Silke Lautenschläger (CDU) gemeinsam vor die Presse, um zu verkünden, der Landtag werde noch 2007 ein Tariftreugesetz verabschieden. Der DGB hatte im April ein solches Gesetz für Hessen gefordert und war auf einen gesprächsbereiten Ministerpräsidenten gestoßen. Die Nachricht - ausgerechnet Hessen bekomme ab 2008 ein Tariftreuegesetz - sorgte für Aufsehen, da Roland Koch bis zuletzt nie ein Blatt vor den Mund nahm, sobald der Ruf nach einem Ausbau des Niedriglohnsektors und nach Eingriffen in den Flächentarifvertrag ertönte.
Auch wenn die jetzige Kehrtwende in Hessen auf den ersten Blick verblüffen mag, der politische Kalender macht sie leicht erklärbar: Hier stehen Ende Januar 2008 Landtagswahlen an, und nach bisherigen Umfragen dürfte die CDU ihre absolute Mehrheit einbüßen - möglicherweise nicht einmal mehr zusammen mit der FDP die Regierung bilden können. Da erscheint nachvollziehbar, dass die Christdemokraten, zu deren Regierungsbilanz drastisch gekürzte Sozialausgaben gehören, den Bedarf verspüren, sich arbeitnehmerfreundlich und sozial zu geben.
Von Rüttgers kassiert
Dazu eigenen sich Tariftreuegesetze, die auch als "Vergabegesetz" firmieren, durchaus, verfolgen sie doch das Ziel, Lohndumping zu verhindern und einem expandierenden Niedriglohnsektor entgegenzuwirken. Dass letzterer in Deutschland mittlerweile Größenordnungen erreicht hat, wird kaum noch bestritten. Die Ursachen für diesen Trend reichen von rückläufigen Allgemeinverbindlichkeitserklärungen bei Tarifverträgen, über den weiteren Rückgang tarifgebundener Unternehmen und überzyklische Branchenkrisen bis zu einer Vergaben von Aufträgen durch die öffentliche Hand, bei denen ein "Wettbewerb über die Lohntüte" stattfindet. Genau deshalb verpflichten Tariftreuegesetze Unternehmen zur Zahlung von Tariflöhnen, wenn sie sich um öffentliche Aufträge bewerben. Da sich das gesamte öffentliche Auftragswesen auf rund 360 Milliarden Euro (17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) beläuft, ist davon auszugehen, dass Flächentarife durch Tariftreueregelungen wesentlich aufgewertet werden.
Nachdem die rot-grüne Bundesregierung 2002 mit ihrem Vorhaben eines bundesweit geltenden Tariftreuegesetzes an der CDU-Mehrheit im Bundesrat scheiterte, ist das Thema Tariftreue zu einem landespolitischen Dauerbrenner geworden. Aktuell gelten in sieben Ländern Tariftreueregelungen, die allerdings recht unterschiedlich ausfallen: Immer erfasst ist der Baubereich, teilweise sind auch der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) oder andere Sektoren dabei. In den Flächenländern sind die Kommunen nicht immer verpflichtend einbezogen. Nach dem Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen ist das noch 2002 erlassene Tariftreuegesetz im Vorjahr durch die neue Landesregierung unter Jürgen Rüttgers (CDU) wieder kassiert worden. Anlass war ein Gutachten zum NRW-Tariftreuegesetz, bei dem unter anderem bemängelt wurde, dass es an konsequenten und systematischen Kontrollen fehle. Wenig verwunderlich, da für diesen Zweck kein zusätzliches Personal eingestellt wurde.
Schlagwort Bürokratieabbau
Zu einem ganz anderen Ergebnis als in NRW kommt folgerichtig der im Sommer erschienene "Bericht zum Hamburgischen Vergabegesetz": Auch wenn hier kleinere Mängel beklagt werden, gilt dieses Gesetz als erfolgreich, was entscheidend der so genannten Soko Bau zu verdanken ist, die - bundesweit einmalig - aus zehn hierfür qualifizierten Personen besteht und gegebenenfalls auch direkt vor Ort überprüft, ob Tariftreuebestimmungen respektiert werden.
Auftrieb bekommen haben Initiativen für Tariftreuegesetze durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2006 zum Berliner Vergabegesetz. Danach ist es statthaft, durch die Erstreckung der Tariflöhne auf Außenseiter einem Verdrängungswettbewerb über die Lohnkosten entgegenzuwirken. Angeregt durch dieses Urteil haben die Gewerkschaften in etlichen Bundesländern neue Vorschläge für Tariftreuegesetze vorgelegt oder - im Falle schon bestehender Regelungen - für deren Ausweitung geworben. So wird neben Hessen auch Rheinland-Pfalz im laufenden Jahr ein Tariftreuegesetz verabschieden, während in Schleswig-Holstein die schon bestehende Regelung auf den ÖPNV - auch dank der Initiative des arbeitnehmerfreundlich agierenden Südschleswigschen Wählerverbandes - ausgedehnt wurde. In Bremen und Berlin wird demnächst möglicherweise die gesamte öffentliche Auftragsvergabe in die schon bestehenden Gesetze aufgenommen. Zusätzlich ist im Gespräch, in beiden Stadtstaaten dort, wo keine Tariflöhne existieren, verbindliche Mindestlöhne vorzuschreiben - dies wären dann die ersten in ihrer Höhe durch den Staat festgesetzten Mindestlöhne in Deutschland.
Wirkung freilich können Normen zur Tariftreue nur dann entfalten, wenn tatsächlich kontrolliert wird, ob sie eingehalten werden. Steht dafür kein qualifiziertes Personal zur Verfügung, können Tariftreuegesetze auch schnell wieder abgeschafft werden. Nordrhein-Westfalen liefert hierfür die Blaupause: Wer wie Jürgen Rüttgers sicher im Sattel zu sitzen scheint und sich erfolgreich als arbeitnehmerfreundlich inszeniert, der kann unter dem Banner des Bürokratieabbaus ein bestehendes Tariftreuegesetz schnell kassieren.
Dr. Kai Eicker-Wolf arbeitet für die Abteilung Wirtschafts- und Strukturpolitik im DGB Hessen-Thüringen.
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