Das FrauenundKinder" Syndrom

WIDERSPRÜCHLICH Wer den Interessen weiblicher Flüchtlinge wirklich dienen will, darf sie nicht mit anderen Flüchtlingsgruppen vermischen

Das Problem dieses Buches über Flüchtlingsfrauen deutet sich bereits im Titel an: "Frauen - Opfer ihres Geschlechts." Geschlecht kann aber kein Täter sein, also ergibt der Satz nur einen ungefähren Sinn. So ist es auch mit dem Buch. Es widmet sich der Situation von Frauen auf der Flucht, in Flüchtlingslagern, bei nationalen Asylverfahren. Dabei öffnet es die Augen dafür, wie sich die Lage der Frauen von denen der Männer unterscheidet. Das bedeutet oft, dass sie benachteiligt sind: Sie sind immobiler, weil sie meist weniger Geld haben und sich viel häufiger um Kinder und Alte kümmern. Und sie sind sexueller Gewalt besonders ausgesetzt - von fremden, wie auch von den eigenen Männern.

Das Buch zeigt, dass viele Gesetze und Hilfsorganisationen diese Diskriminierung unterstützen, indem sie Männer zum Maßstab machen. Wie zum Beispiel 1991 in den Flüchtlingslagern im Nordirak. Dort ließ man kurdische Männer die gespendeten Lebensmittel verteilen. Nach einigen Tagen fiel den Hilfsorganisationen auf, dass nur männliche Familienvorstände ihre Ration bekamen. Alleinstehende Frauen oder Witwen mit Kindern gingen leer aus, denn irgendwie galten sie nicht als richtige Haushalte.

Daraus die Forderung abzuleiten, sich besonders um die Belange von Frauen zu kümmern, ist richtig. Vor allem erscheint plausibel, dass die Lagerplanung sofort sinnvoller wird, wenn sich Frauen an ihr beteiligen. Dass Flüchtlingsunterkünfte (übrigens auch in Deutschland) abschließbare, helle Waschräume haben sollten, leuchtet offenbar erst dann ein, wenn es, wie in diesem Buch "im Interesse von Frauen" gefordert wird.

Die Benachteiligung von Frauen zu betonen, führt aber oft zu Argumenten, die dem Anliegen schaden. In dem Buch heißt es, für Frauen brauche man mehr Geld. Als Beleg dient ein absurdes Beispiel: "Für die Gesundheit der Frauen macht es einen deutlichen Unterschied, ob eine Betonplattform errichtet wird, damit die Frauen beim Waschen nicht bis zu den Knien im Schlamm stehen." - Falls es sich um Waschplätze für den eigenen Körper handeln sollte, wären solche Betonplattformen für Männer ebenso bedeutsam wie für Frauen. Sollte ein Waschplatz für die Kleidung gemeint sein, kann die Ausstattung eines Orts, an dem Frauen traditionell Arbeit für die Familie leisten, nicht als "Sonderausgabe" für Frauen gebucht werden.

Wenn man betont, dass Flüchtlingsfrauen besonders hilflos sind, strickt man außerdem an einem Mythos, der sie instrumentalisierbar macht. So wie wir es im Kosovo-Krieg gesehen haben. Dort behaupteten die Medien wieder und wieder, dass vor allem Frauen und Kinder flüchteten. Auch in diesem Buch heißt es in fast jedem Aufsatz: 80 Prozent der Flüchtlinge auf der Welt sind Frauen und Kinder. Das stimmt aber nur, wenn man Frauen und Kinder zusammenzählt. Das stimmt nicht mehr, wenn man differenziert: Dann sind unter Flüchtlingen weltweit, wie auch unter den KosovarInnen, ungefähr 60 Prozent Kinder, 20 Prozent Frauen und 20 Prozent Männer. Das "FrauenundKinder" Syndrom verweiblicht die Flüchtlinge und infantilisiert die Frauen. Es ruft nach ihrem Schutz und legitimiert schnell alles, was für sie unternommen wird. Sogar einen Krieg.

Auch die im Buch beschriebene Kampagne "Verfolgte Frauen schützen" hat eine widersprüchliche Wirkung. Sie schärft den Blick für die Situation von Frauen - und sie verwischt den größeren politischen Rahmen.

Durch die Kampagne wurde deutlich, dass es vor allem zwei Gründe dafür gibt, dass geschlechtsspezifische Gewalt in Deutschland nicht anerkannt wird. Erstens meinen viele deutsche Gerichte, die Verfolgung von Frauen könne nicht mit westlichen Werten gemessen werden. Sie gehöre, wie im Iran, zur kulturellen islamischen Ordnung. Zweitens wird die Verfolgung von Frauen oft nicht als staatlich, also asylrelevant, anerkannt. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen stufte selbst Massenvergewaltigungen in Sri Lanka als Exzesse Einzelner und alkoholbedingte Disziplinlosigkeit ein.

Das Grundgesetz ließe es durchaus zu, aus geschlechtsspezifischen Gründen Asyl zu gewähren. Um die Gerichte dazu zu bringen, dies auch zu tun, unterstützt die Kampagne "Verfolgte Frauen schützen" einen Gesetzentwurf des deutschen Flüchtlingshochkommissariats der UNO und der Frauenministerinnenkonferenz. Er sieht vor, sexuelle Gewalt und die Zugehörigkeit zu einer verfolgten sozialen Gruppe explizit als Asylgrund ins Ausländergesetz aufzunehmen. Wie begrenzt diese Strategie ist, zeigt eine andere Information aus dem Buch: Kanada erließ 1993 noch weitgehendere Richtlinien, gewährte in den drei Folgejahren aber trotzdem nur 624 Frauen aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung Asyl.

Den Grund dafür kann man den Zahlen entnehmen, die Klaus-Henning Rosen in der Einleitung nennt. Zahlen, die zeigen, dass das Asylrecht in Deutschland faktisch nicht mehr existiert. Die Zahl der Bewerber ist seit 1993 drastisch gesunken. Zusätzlich wurden jedes Jahr weniger Bewerber anerkannt: neun Prozent 1996, fünf Prozent 1997 und 3,7 Prozent 1998! Leider schlüsselt Rosen diese Zahlen nicht für Frauen und Männer auf, so dass man sich an den allgemeinen Hinweis von Angelika Gardiner an anderer Stelle des Buches halten muss, dass unter den Asylbewerbern in Europa fast nur Männer sind.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sinnvolle Vorschläge zum Schutz von Flüchtlingsfrauen nicht einfach von der restriktiven Asylpolitik zunichte gemacht werden. So dass auch Flüchtlingsfrauen von einem liberaleren Asylrecht viel stärker profitieren würden als von spezifischen Richtlinien. Das Buch erinnert aber auch daran, dass die Parteien im letzten Bundestagswahlkampf ungewohnt heftig versucht haben, auf Kosten von Ausländern Stimmen zu gewinnen, ungeachtet der sinkenden Zahlen von Asylbewerbern. Seither setzt die rot-grüne Regierung die restriktive Flüchtlingspolitik fort.

Eventuell ist es also sinnvoll, auf die besonderen Härten für flüchtende Frauen und Kinder hinzuweisen, um überhaupt eine aussichtsreiche Debatte über das Asylrecht anzustoßen. Zumal auch unter der rot-grünen Regierung Kinder allein inhaftiert und abgeschoben werden. Man sollte aber den politischen Rahmen im Blick behalten und auch nicht auf die eigene Dramatisierung hereinfallen, so wie Rita Süssmuth im Grußwort zu dem Buch. Darin macht sie aus den 80 Prozent "FrauenundKindern" kurzerhand 80 Prozent Frauen und Mädchen.

Flucht. Frauen - Opfer ihres Geschlechts. Jahrbuch der Deutschen Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe 1998/1999. Hrsg.: Klaus Henning Rosen. Ost West Verlag. Berlin Bad Honnef 1999. 110 S., 19,80 DM

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