Her mit dem schönen Leben - eine andere Welt ist möglich," unter diesem Motto demonstrierten am vergangenen Samstag rund 25.000 Menschen in Köln. Die Demonstration sei "größer als alles, was es bisher gab", so Sven Giegold von Attac bei der abschließenden Pressekonferenz. Auch die Gewerkschaftsvertreter zeigten sich "sehr zufrieden". Die Jugendlichen hätten eindrucksvoll gezeigt, dass sie selbst für ihre Interessen eintreten. Peter Wahl, erfahrener NGO-Kader (WEED) konterte schlagfertig die Frage einer Journalistin, ob die Programme der versammelten Organisationen ebenso männlich seien, wie ihre Sprecher. "Wir haben unsere besten Leute auf der Bühne, dort finden Sie die Frauen," so Wahl.
Attac hat schnell gelernt, den Ansprüchen des Medienmarktes zu genügen. Presse- und Leitungszelt bei der morgendlichen Auftaktkundgebung am Kölner Rudolfplatz befinden sich in einer Art Wagenburg. Dicht um den "VIP-Bereich" stapeln sich doppelte Lagen Biertische übereinander. Nur an einer schmalen Stelle darf man hindurch. Die Übersicht müsse gewahrt werden, sagt der Kontrolleur am Eingang.
Als um 11 Uhr auf der Attac-Bühne die erste Rednerin ans Mikrofon tritt, haben sich erst wenige hundert Menschen versammelt. Die professionelle Bühnentechnik steht in krassem Gegensatz zu den selbstgemalten Transparenten, Info- und Futtertischen. Auf einem Dutzend Beine schwankt ein chinesischer Drachen vorbei, auf seinem Rücken steht: "IWF und WTO hab ich zum Fressen gern." Wegen des "Fressens" ist auch Ani hier, der "fliegende Brezelmann aus Hesse". Für den Brezelverkauf hat er keine Lizenz. Eigentlich verkauft er auf Mittelaltermärkten, doch für sein Geschäft ist auch die Zukunft wichtig. Nur wie man eine gerechte Welt schaffen soll, "das ist nicht so einfach", meint er nachdenklich. Phrasen über Gut und Böse reichen da nicht aus. Irgendwie, so Ani, "müssten wir aus diesem System heraus".
Der Kundgebungsplatz füllt sich langsam. Abschiebegegner, Greenpeace, der Revolutionäre Sozialistische Bund stehen einträchtig nebeneinander. Phantasievoll geschminkte "Nixen verteidigen das Recht auf Wasser" und "Schöner leben ohne Kapitalismus" bietet die Antifa-K aus Köln an. "x-1000 x Nein zum Krieg gegen den Irak" heißt es auf Transparenten, die in Richtung Friedensbühne getragen werden. Der Bundeskanzler wird aufgefordert, "die Panzer jetzt" zurückzuholen und eine Demonstrantin will "Waffeninspekteure in die USA" schicken. Die Red Community, ein Zusammenschluss antifaschistischer Gruppen aus Nordrhein-Westfalen, fordert "Bundeswehr zurück in die Kasernen".
Doch ein buntes Allerlei politischer Forderungen macht noch keine starke Bewegung. Dass merken auch die Organisatoren an diesem Vormittag in Köln. Christian Golla, vom Bonner Netzwerk Friedenskooperative antwortet ausweichend auf die Frage, wie viele Leute gekommen seien. Die "Planzahlen waren 35.000", sagt er. 11 Uhr sei vielleicht noch etwas früh?
Vor der Bühne mit dem "Runden Tisch der Erwerbslosen" versammeln sich bis zum Mittag rund 1000 Leute. Das jedenfalls schätzt Angela Klein, eine der Organisatorinnen. Ausschließlich Erwerbslose interessieren sich für die Diskussion, bei der es um die Vorschläge der "Hartz-Kommission" geht. Michael Wendl vom baden-württembergischen Landesbezirk ver.di widerspricht klar der offiziellen Gewerkschaftslinie und lehnte die Hartz-Vorschläge ab. Nach der Bundestagswahl seien verstärkte Proteste gegen die "neue Arbeitspolitik" zu erwarten, so Angela Klein. Ein Aufbrechen der Gewerkschaftslinie sei zu bemerken, die starke Beteiligung von ver.di und der IG-Metalljugend sei ein Indiz dafür. Das sei wichtig, um ein neues großes Bündnis für einen Politikwechsel zu schaffen.
Auf der Friedensbühne wickelt das Moderatorenteam professionell ein dichtes Programm ab. Die Stimmung wirkt gedämpft. Im Mittelpunkt der Reden steht der drohende Krieg gegen den Irak. Eine "andere Welt für den Irak" sei möglich, fordert Dr. Al Biladi, ein irakischer Arzt, der seit 20 Jahren in Chemnitz lebt. Die Kriegsdrohungen versetzten die Welt in einen "globalen Herbst", so Andreas Buro, friedenspolitischer Sprecher vom Komitee für Grundrechte und Demokratie. Deutlich positioniert Buro die Friedensbewegung "unabhängig von politischen Parteien". Da braust Beifall auf, eine Friedenstaube aus Pappe wackelt im Rhythmus klatschender Hände. Sie trägt auf den Flügeln ein Transparent: "Scheißüberstunden" steht darauf. "Es sind viel zu wenig Menschen", sagt eine Friedensaktivistin aus dem Main-Taunus-Kreis enttäuscht. Um den Hals trägt sie ein Schild, auf dem steht: "Die Friedensbewegung traut dem Frieden nicht." "Die Bundesregierung hat uns schon bei den letzten Kriegen enttäuscht," sagt die Frau bitter. Wählen geht sie, doch "da ist nur noch eine Partei".
Der Wahlkampf spielt sonst keine große Rolle. Die Kandidatinnen der PDS-Landesliste NRW werden beim Flugblattverteilen freundlich geduldet. Ein grüner Fahnenschwenker hingegen muss heftige Kritik einstecken: "Wenn ich hier Organisatorin wäre, würde ich es nicht erlauben, dass ein Grüner hier mit der Fahne von einer Partei rumläuft, die zwei Kriege hinter sich hat," meint eine Frau aufgebracht. Der Fahnenschwenker gibt zerknirscht zu, dass "unser Kriegsminister Fischer Blut an seinen Händen hat".
Peter Strutynski, Sprecher vom Kasseler Friedensratschlag freut sich, "dass Schröder unsere Positionen eingenommen hat", zumindest in der Irakkriegsfrage. Vier Forderungen "liegen auf dem Tisch", so Strutynski und er zählt auf: "Abzug der Füchse aus Kuwait, Abzug der Marine aus dem Golf, keine Überflugrechte und Nutzung der US-Militärstützpunkte in Deutschland für diesen Krieg." Strutynski denkt schon jetzt an eine Demonstration gegen den Irakkrieg "koordiniert mit den amerikanischen Friedenskräften und anderen europäischen Ländern".
Schließlich zieht der Demonstrationszug in Richtung Jahnwiesen, acht Kilometer westlich der Kölner Innenstadt. Nicht alle laufen mit. In der Straßenbahn sitzt eine Gruppe Jugendlicher, schon reichlich beschwipst. Alle tragen das gleiche T-Shirt mit dem Aufdruck "Jetzt wird umverteilt". Die gibt´s bei der IG-Metall-Jugend wenn man eintritt, erzählt ein junger Werkzeugmacher aus Lennefeld im Sauerland. Er und seine Freunde wollen "zum Konzert". Demonstration? Nee, das interessiert sie nicht so.
Auf den Jahnwiesen bestimmen die Gewerkschaftsverbände die Szenerie. Trotz überhöhter Preise bilden sich lange Schlangen vor den Würstchen- und Frittenbuden. Die Lizenz für den Brezelverkauf hat hier eine Frankfurter Firma. Eine Dose Bier kostet drei Euro, nix für die Erwerbslosen.
Johan Galtung, der norwegische Friedensforscher, hat eine Vision einer anderen Welt: Eine Welt, in der "nicht nur Männer, nicht nur Weiße, nicht nur eine Nation oder eine Handvoll Staaten" Entscheidungen treffen. In der weder Staaten noch Identitäten beleidigt würden, in der es freie Medien gibt, Geld für Bildung statt für Waffen, ein Recht auf Leben und Wohlsein, auf die eigene Kultur.
Dann, endlich, beginnt das Konzert, dem die Jugendlichen entgegengefiebert haben. Die Alten überlassen ihnen den Platz. Auf dem Rückweg steht da wieder Ani, der "fliegende Brezelmann". Müde sieht er aus, besonders gut war das Geschäft nicht, meint er. Da mischen sich zwei Männer ein und beschimpfen ihn. Er habe keine Lizenz und solle verschwinden. Außerdem seien seine Brezeln nicht frisch. Einer stellt sich als Besitzer der Frankfurter Brezelkette vor, die auf dem Kundgebungsplatz verkauft. "Ich habe die einzige Lizenz," tobt der Mann und drohend baut sein Begleiter sich vor dem fliegenden Händler auf. Dessen Augen zucken unruhig, er weicht zurück. "Ja, ja," murmelt er müde. "Ich gehe schon." Wie hatte er am Morgen noch gesagt? "Um die richtigen Antworten zu finden, müssten wir aus diesem System heraus."n
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