Bescheiden, freundlich und charmant beantwortet die Frau auf dem Podium die Fragen der JournalistInnen. Wie es sich denn als meistgefährdete Person der Niederlande lebe, will ein Reporter von ihr wissen. Es sei "ein bisschen wie leben bei den Eltern", sagt Ayaan Hirsi Ali freundlich lächelnd. "Man muss vorher immer Bescheid sagen, was man vorhat." Was sie nicht hindert, ihre Mission fortzusetzen: Mit populistischen Forderungen erobert Hirsi Ali nun auch deutsche Bestsellerlisten.
International bekannt wurde Ayaan Hirsi Ali im November 2004 durch den Mord an Theo van Gogh: In einem an sie adressierten Brief, den er an der Leiche des niederländischen Filmemachers hinterließ, gab der Mörder bekannt, dass sie das eigentliche Ziel seines Mordanschlags gewesen sei. Hirsi Ali hatte das Drehbuch für van Goghs umstrittenen Kurzfilm Submission Part I geschrieben, in dem fünf fiktive Frauen - allesamt Gewaltopfer - den Islam für ihre verzweifelte Lage verantwortlich machen. Nach dem Attentat musste die Abgeordnete, die seit 2003 für die rechtslastige VVD im niederländischen Parlament sitzt, für mehrere Monate untertauchen und steht seitdem rund um die Uhr unter strengem Personenschutz. Im April wählte das Time Magazine die 35-Jährige unter die hundert einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt. Nun ist ihr drittes Buch auf Deutsch erschienen.
Schon beim Lesen wird klar: Hirsi Alis wichtigstes politisches Kapital ist ihre Biografie. Daraus bezieht sie ihre Glaubwürdigkeit. Denn was sie "dem Islam" vorwirft, bewegt sich - vorsichtig formuliert - jenseits jeder ernstzunehmenden politischen Analyse. "Der Islam", so kritisiert Hirsi Ali, erlaube keine Freiheit des Denkens. Er sehe die Gleichstellung der Geschlechter ebenso wenig wie die der Homosexuellen vor. Die Beziehung eines Muslims zu seinem Gott sei "angsterfüllt", die islamische Kultur gekennzeichnet von "geistiger Stagnation". Als Beleg für die Gewalttätigkeit des Islam, taugt Hirsi Ali eine Liste des amerikanischen State Departements. Und natürlich ihre eigene Geschichte.
Wer die autobiographischen Mosaiksteinchen ihres neuesten Buches zusammenfügt, erhält folgende Biografie: Geboren wurde Hirsi Ali als Tochter eines somalischen Oppositionellen 1969 in Mogadischu. Nach der Zerschlagung der somalischen Demokratiebewegung musste die Familie fliehen, Hirsi Ali wuchs in Saudi-Arabien, Äthiopien und Kenia auf und entwickelte früh ein Bewusstsein für die Unterdrückung von Frauen in islamischen Ländern. Sie wurde - wie sie eher en passant erwähnt - gegen den ausdrücklichen Willen ihres Vaters beschnitten und von ihrem Islamlehrer schwer misshandelt. Doch sie lernte auch die Faszination des Islam kennen und trug stolz den Schleier: "Damals", so Hirsi Ali über die Begegnung mit ihrer Islamdozentin, "habe ich zum ersten Mal das Bedürfnis empfunden, Märtyrerin zu werden".
Eine moderne Märtyrerin ist sie geworden, wenn auch anders als geplant. 1992 floh Hirsi Ali vor der angedrohten Zwangsverheiratung mit einem kanadischen Cousin nach Holland. Dort finanzierte sie ihr Politologiestudium mit Übersetzungen für somalische Asylbewerberinnen, wurde Mitglied bei den niederländischen Sozialdemokraten und trat wieder aus, als diese sich nicht genug für ihr wichtigstes Thema engagieren wollten: Gewalt gegen Frauen. Stattdessen wechselte sie kurz nach dem Mord an Pim Fortuyn zu dessen Volkspartei und kämpft seitdem unerbittlich gegen die vermeintliche Ignoranz westlicher Intellektueller und PolitikerInnen und gegen das, was sie als Rückständigkeit der Muslime bezeichnet.
Wie verbreitet Schläge, Unterdrückung, Verbote unter MigrantInnen aus muslimischen Ländern sind, wie allgegenwärtig das Beharren auf der Jungfräulichkeit der Töchter und wie diese Form von Gewalt ihnen jede Möglichkeit auf ein selbst bestimmtes Leben nimmt, hatte Hirsi Ali bei ihrer Arbeit als Dolmetscherin in Frauenhäusern erfahren. "Ich sehe", schreibt sie in ihrer Dreyfus´schen Anklage, "eine direkte Verbindung zwischen der schlechten Stellung muslimischer Frauen auf der einen Seite und der Rückständigkeit der Muslime in der Bildung und auf dem Arbeitsmarkt, der hohen Rate von Straffälligkeit unter den Jugendlichen und ihrer starke Inanspruchnahme von Sozialeinrichtungen". Und weiter: "Tatsächlich verweigert die Erziehung den muslimischen Mädchen Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit - Werte, die von wesentlicher Bedeutung für das Vorankommen in den Niederlanden sind".
So berechtigt ihre Kritik, so falsch ist allerdings Hirsi Alis Analyse des Problems. Denn Gewalt gegen Frauen ist eben nicht, wie sie in ihrem Buch immer wieder unterstellt, ein spezifisch islamisches Problem - Mitarbeiterinnen westlicher Frauenhäuser können ein Lied davon singen. Geradezu haarsträubend sind jedoch die politischen Forderungen, die sie aus ihren Befunden zieht: Um Ghettobildungen zu vermeiden, sollen die Behörden Zuzugsbeschränkungen für Migrantinnen in bestimmte Stadtviertel verhängen können; um zu verhindern, dass Eltern ihre Töchter in den Niederlanden beschneiden lassen, sollen alle Mädchen "aus so genannten Risikoländern" einmal im Jahr von Amts wegen auf eine mögliche Beschneidung hin kontrolliert werden. Dass damit zur Disposition gestellt würde, worin der Wert westlicher Demokratien besteht - Würde und Freiheitsrechte des Individuums zu schützen - für Hirsi Ali ist das offenbar kein Problem.
Ayaan Hirsi Ali: Ich klage an: Plädoyer für die Befreiung der muslimischen Frauen. Piper, München 2005, 203 S., 13,90 EUR
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.