Ein bisschen schräg sind sie schon, die Geschichten über lesbische Schwangerschafts-Herbeiführungsstrategien. Da ist zum Beispiel J., eine Musikerin Mitte Dreißig, die sich, wenn man den Erzählungen ihrer Schwester Glauben schenken darf, den Wunsch nach einem Kind nun mit Hilfe des Mannes der Frau erfüllen wird, mit der sie vor zehn Jahren ihr Coming out hatte. Von einem vormals heterosexuellen Paar weiß ein schwuler Freund zu berichten: Nach beiderseitigem Coming out hätten Frau und Mann zusammen noch zwei entzückende Kinder gezeugt, die nun, von allen gleichermaßen geliebt und geschätzt, abwechselnd bei ihren schwulen Vätern und bei ihren lesbischen Müttern aufwachsen.
n lesbischen Müttern aufwachsen. Und gab es nicht, wie eine feministisch beschlagene Freundin sich sofort erinnert, dieses Gerücht um die US-amerikanische Starfotografin Annie Leibovitz? Der biologische Vater ihrer Tochter sei der Sohn von Leibovitzs Lebensgefährtin Susan Sontag, hieß es, und das Mädchen somit gleichzeitig Sontags soziale Tochter und ihre biologische Enkeltochter? Genetisch wäre Sarah Cameron folglich mit beiden Müttern verwandt - auch wenn Leibovitz das stets bestritten hat.Lesben und Kinder - was heute zum lockeren Berliner Partytalk taugt, war in der öffentlichen Wahrnehmung lange ein Tabu. Ein Oxymoron, "so glühend heiß wie Schnee" sei die schwangere Lesbe, schrieb die Buchautorin Uli Streib 1991 in ihrer längst zum Klassiker avancierten Aufsatzsammlung über lesbische Mutterschaft. Nicht nur in der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern auch innerhalb der feministischen Szene, so ihr Befund, blieben lesbische Mütter weitgehend ausgeblendet - "ungeachtet der Tatsache, dass Schätzungen zufolge jede dritte Lesbe Mutter ist, das heißt, von mindestens zwei Millionen in der BRD lesbisch lebenden Frauen sind 650.000 Mütter."Wer das Buch heute durchblättert, wundert sich, wie politisch und leidenschaftlich kontrovers das Thema damals angegangen wurde: Ein flammend-feministisches Plädoyer für die lesbische Mutterschaft und ihr anti-patriarchales Potenzial bei der Erziehung des künftigen Menschengeschlechts (vornehmlich lesbischer Töchter) steht da neben harscher Kritik an überkommenen Mütterlichkeitsideologien und unreflektiertem Kinderwunsch. Auch Lesben seien nicht frei von eugenischem Gedankengut, heißt es mit einem dicken Ausrufezeichen, gefolgt von einem Aufruf für den verstärkten Einsatz im schwul-lesbischen Kampf um Pflege- und Adoptionskinder. Lauter Pro und Kontras, die heute kaum noch öffentlich diskutiert werden. Nichts ist mittlerweile natürlicher (aber auch privater) als der Wunsch nach einem genetisch eigenen Kind, so scheint es - auch für lesbische Frauen.Kein DefizitSystematische Forschung darüber, was die Kinder lesbischer Mütter und schwuler Väter von Gleichaltrigen unterscheidet, gibt es hierzulande bislang kaum. Die Autoren der vom nordrhein-westfälischen Frauenministerium herausgegebenen Studie Lesben, Schwule, Kinder haben daher vor allem Ergebnisse US-amerikanischer Studien herangezogen und ausgewertet. Deren Resultate sind eindeutig: Bei der Untersuchung von Kindern, die bei ihren homosexuellen Müttern und Vätern aufwuchsen, fanden die WissenschaftlerInnen keinerlei spezifische Defizite - weder im Hinblick auf ihre Geschlechtsidentität, noch was ihre psychosoziale Entwicklung im Allgemeinen betrifft. Auch das Vorurteil, dass Kinder, die von Lesben und Schwulen großgezogen werden, später automatisch selbst lesbisch oder schwul werden, widerlegen die Forschungsergebnisse. Dafür fanden die WissenschaftlerInnen heraus, dass lesbische Frauen offenbar stärker als allein erziehende heterosexuelle Frauen den Kontakt ihrer Kinder zum leiblichen Vater oder zu anderen männlichen Bezugspersonen fördern. Szenenwechsel: Ein beschaulicher Vorort nördlich von Darmstadt. Hier werden die Bürgersteige noch von Frauen in geblümten Kittelschürzen gefegt, in breitem Hessisch tauschen Nachbarn Grüße über den Gartenzaun. Inmitten dieser kleinstädtischen Idylle leben Cordula Tressen* und Gesine Wächter* mit ihrer 18 Monate alten Tochter Elisa*. Zwei herzliche, offene Frauen, die als Sozialarbeiterinnen schon von Berufs wegen viel mit Menschen und ihren Milieus zu tun haben. Bedenken, von den Leuten hier im Ort nicht als Familie anerkannt zu werden, hatten sie schon, erinnert sich Cordula, als sie vor drei Jahren begannen, sich ein eigenes Kind zu wünschen. Zumal ein Leben mit Kind fast zwangsläufig Offenheit bedeutet: Wer dem eigenen Nachwuchs nicht verheimlichen will - und wer wollte das schon? - wen und wie sie liebt, muss gewahr sein, dass künftig alle davon erfahren, denen das Kind die frohe Nachricht mitzuteilen beliebt.Das Baby kam, die Bedenken sind verschwunden. "Das Kind hat´s aber gut, das hat zwei Mütter, so was kriegen wir hier öfter zu hören", sagt Cordula. Auch in ihren Familien seien sie alle drei gerne gesehen. "Meine Eltern sehen Elisa als ihr Enkelkind und haben eine sehr herzliche Beziehung zu ihr." Und so exotisch seien sie hier nun auch wieder nicht, fügt Gesine hinzu, schließlich gebe es außer ihnen noch zwei weitere lesbische Familien im Ort. Negative Reaktionen? Eigentlich gar keine.Einen Nachmittag pro Woche wird Elisa von Cordulas Eltern betreut. Ansonsten teilen beide Frauen sich seit kurzem wieder die Erwerbs- und Familienarbeit: Zweieinhalb Tage die Woche arbeitet Gesine als Familienhelferin in der Behindertenbetreuung, drei Tage widmet sich Cordula ihrer Arbeit im Frankfurter Mädchenhaus. Im ersten Jahr, als Alleinernährerin der Familie, sagt Cordula, habe es bei ihr "schon so eine Tendenz gegeben, in die Vaterrolle hineinzugehen". Damit, dass beide sich nun beides teilen, habe sich nun manches relativiert. Ihre Einstellung heute? "Ich bin Mutter geworden, ohne schwanger gewesen zu sein."Klar mache die Schwangerschaft einen Unterschied, sagt Gesine. "Natürlich gibt es im ersten Jahr eine ganz andere Bindung. Allein über das Stillen - die Zeit, die man da miteinander verbringt. Aber das verändert sich spätestens im zweiten Jahr: Die Beziehung, die Elisa und Cordula heute haben, ist sehr eng." Wie sie die Entscheidung, wer welche Mutter wird, getroffen haben? "Dass Gesine das Kind bekommen würde, war schnell klar, weil sie den größeren Schwangerschaftswunsch hatte", erinnert sich Cordula. "Aber ich hab mich schon gefragt, wer bin ich für das Kind, wenn ich es nicht selbst bekomme?" Konkurrenz zwischen beiden Müttern sei auch jetzt immer mal wieder ein Thema zwischen ihnen: "Wenn ich mir vorstelle, Elisa ist irgendwann verliebt und geht damit als erstes zu Cordula", so Gesine, "da werde ich schon schlucken. Da kommt dann dieses Aber ich hab sie doch geboren bei mir durch. "Die Asymmetrie in der verwandtschaftlichen Beziehung zwischen zwei Frauen und ihrem Kind - merkwürdigerweise wird sie, wenn es um lesbische Mutterschaft geht, selten so explizit thematisiert. Dabei können auch die ausgetüfteltsten Inseminations-Rituale, die lesbische Kinderwunsch-Ratgeber ihren Leserinnen mit auf den Weg geben, nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Kind, das eine Frau einer anderen macht, genetisch nicht ihr eigenes ist. Ist der Unterschied so evident, dass nicht darüber gesprochen werden muss? Oder das Trauma so tief, dass es nicht berührt werden darf? Eine Art lesbischer Kastrationskomplex also?Soziale, nicht biologische Mutterschaft ist kulturelles Neuland, soviel ist sicher. Vor allem für Lesben ist das auch eine Chance: Die böse Stiefmutter im Märchen ist - natürlich - heterosexuell, genauso wie das ideologisch zu Recht verbrämte Übermutter-Tier, das außer der Aufzucht der eigenen (und nur der selbstgeborenen eigenen) Jungen keinen Daseinszweck kennt. Die andere Seite der Medaille: Als Co-Mütter bewegen sich Lesben rechtlich auf ungesichertem Terrain. Eine Möglichkeit zur Adoption ihrer Kinder haben sie, anders als in Dänemark, hierzulande nicht.Für den Alltag hat Gesine Cordula deshalb nach Elisas Geburt die nötigen Vollmachten erteilt. Arztbesuche, die Anmeldung beim Kindergarten, Behördengänge - viel mehr umfasst auch das neu geschaffene Kleine Sorgerecht nicht. "Der einzige Vorteil, den ich von einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gehabt hätte, wäre, dass das Kind meinen Namen tragen könnte", kritisiert Cordula. Was die Dauerhaftigkeit der Beziehung zu ihrer Tochter angeht, gehöre einfach eine Portion Vertrauen dazu. Denn rechtlich bindend - etwa im Falle einer Trennung - sind die Vollmachten für die biologische Mutter nicht.Ein DefizitAuch Kinder von Schwulen und Lesben können zur Zielscheibe homofeindlicher Vorurteile werden. Dies zeigt eine Umfrage unter TeilnehmerInnen einer Tagung zum Thema Regenbogenfamilien, die im Herbst 2000 in Berlin stattfand. Knapp ein Drittel der befragten Eltern gaben an, ihre Kinder hätten bereits negative Reaktionen auf die sexuelle Orientierung ihrer Eltern erlebt. Die Bannbreite der Diskriminierungen, über die sie berichten, ist lang und reicht von Hänseleien über eher unterschwellige Ressentiments bis hin zu offener Ablehnung. Homophobe Ansichten bei Gleichaltrigen, aber auch bei LehrerInnen und ErzieherInnen sind offenbar immer noch verbreitet, auch wenn letztere sie heute oft unter dem Deckmantel der Pseudotoleranz vortragen. "Wissen Sie, wir haben auch Eltern mit anderen Krankheiten", bekam beispielsweise ein lesbisches Paar von der Grundschullehrerin ihrer Tochter zu hören.Und die betroffenen Kinder? Sie forderten von ihren Eltern, dass diese offensiver mit ihrer Homosexualität umgehen und die Aufklärungsarbeit in Schule und bei Freunden nicht ihnen überlassen sollen. Außerdem, so die Ergebnisse des Jugendlichen-Workshops, der parallel zur Tagung statt fand, wünschten sie sich mehr Möglichkeiten zum Austausch mit anderen Jugendlichen in ihrer Situation, eine größere Akzeptanz für Schwule und Lesben insgesamt und einen zweiten homosexuellen Bundestag, der den bereits existierenden kontrolliert und korrigiert. Weil sie nicht heiraten dürfen, aber gerne würden, hat sich das Paar, das bewusst nicht "verpartnert" ist, im vergangenen Jahr von ihrer Gemeindepastorin segnen lassen - ein Politikum dann doch, in der beschaulichen Gemeinde. Aber obwohl es auch ein paar Gegenstimmen gab und ein Ehepaar sogar mit Austritt drohte, wurde die Entscheidung des Kirchenvorstands, homosexuelle Paare zu trauen, nicht zurückgenommen. Sehr gut und würdig hätten sie sich bei der Zeremonie behandelt gefühlt, berichten beide. Aber auch, dass sie mit ihrer Entscheidung politisch in der Provinz etwas bewirkt haben, zählt für sie.Und Elisa? Daran, dass sie in einer Familie groß wird, in der sie viel Liebe und Geborgenheit erfährt, besteht kein Zweifel. Zwei Mütter - das heißt im Idealfall auch: doppelt soviel mütterliche Zuneigung, Zärtlichkeit durch zwei, die trösten, zuhören, aufmuntern und unterstützen können. Von zweien, die sich streiten, kann man lernen. Von zweien, die viel miteinander reden, lässt sich erfahren, dass es (fast immer) mindestens zwei Sichtweisen gibt. Ob eine davon männlich ist und eine weiblich, ist dabei vermutlich von untergeordneter Bedeutung, sagen ExpertInnen. Und selbst wenn: Auch Männer gibt es in Elisas Welt, dafür sorgt sie, so klein sie ist, schon selber. Vor allem ihr Großvater und ein Nachbar hätten es der Kleinen angetan, erzählen ihre Mütter.Und weil das Leben in der Provinz allemal näher an der Realität ist als jeder Berliner Partytalk, klingt auch der Wunsch nicht schräg, sondern spannend, den Gesine und Cordula derzeit für ihre Familie haben: ein zweites Kind, co-bemuttert von Gesine, ausgetragen diesmal von Cordula. Ein Rollentausch, auf den sich beide freuen. Gleich bleibt indes der Samenspender, von dem sie lediglich wissen, dass er äußerlich wohl eher Gesine als Cordula ähnelt. Und dass, sollten Elisa Co später einmal den Wunsch haben, ihren genetischen Vater kennenzulernen, ihnen dieser Weg dann gemeinsam offen steht.* Namen von der Redaktion geändert
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