Als Rot-Grün und Schwarz-Gelb sich das letzte Mal im Wahlkampf gegenüber standen, schien es - wenn schon nicht unterschiedliche Gesellschaftsentwürfe, so doch zumindest kulturelle Differenzen zu geben, die auf beiden Seiten unterschiedliche politische Konzepte nach sich zogen. Am deutlichsten in der Familienpolitik, die damit zum heiß umkämpften Terrain wurde: Während Stoiber jungen Müttern im Wahlkampf 2002 das Zuhausebleiben mit einem höheren Elterngeld schmackhaft machen wollte, versprachen SPD und Grüne ihren WählerInnen endlich eine Reform des Ehegattensplittings. Schluss mit der Subventionierung des westdeutschen Sonderwegs! Her mit einem Steuersystem, das nicht diejenigen belohnte, deren Frauen zu Hause den Haushalt versorgten! Sogar ein bisschen Umverteilung war dabei - schließlich sollten mit den höheren Steuern, die westdeutsche Chefärzte, Rechtsanwälte, Unternehmensberater künftig durch das Abschmelzen des Splittingvorteils bezahlen würden, Krippen- und Hortplätze für alle eingerichtet werden. Ein bisschen DDR im Westen, sozusagen.
Wie es ausging, ist bekannt: Schon in den Koalitionsverhandlungen wurde das ambitionierte Projekt gekippt. Noch bevor konkrete Vorschläge dazu auf dem Tisch lagen, war der Druck der Medien auf Schröder und Co. zu groß geworden und das Reformvorhaben landete in der Schublade. Gleichwohl erklärte Bundesfamilienministerin Renate Schmidt in dieser Zeitung wenig später, ihre Partei sei in dieser Frage keineswegs eingeknickt (Freitag 15/2003). Vielmehr hätten neue Berechnungen ergeben, dass das steuerliche Mehraufkommen durch die Reform nicht im einstelligen Milliardenbereich, sondern "nur in der Größenordnung von hundert Millionen Euro" gelegen habe. Also bloß um den Faktor zehn verrechnet vor der Wahl?
Die Wahrheit ist, wie so oft, komplizierter. Wie viel Geld mit der Reform des Ehegattensplittings in die Staatskasse kommt, hängt von der konkreten Ausgestaltung ab. Und die ist durchaus eine Frage des politischen Willens. Wer das gesamte Splittingverfahren abschafft und durch eine Individualbesteuerung ersetzte, käme auf Mehreinnahmen von über 22 Milliarden Euro jährlich (würde damit allerdings nach Ansicht von Experten am Bundesverfassungsgericht scheitern). Wer hingegen all jene von der "Abschmelzung des Splittingvorteils" ausnehmen will, die Kinder oder Alte pflegen oder dies in der Vergangenheit jemals getan haben (wie seinerzeit die SPD), kommt in der Tat nur auf minimale Zuwächse, die eine so umfangreiche Reform nicht mehr zu rechtfertigen scheinen.
Von der politischen Agenda ist das Ehegattensplitting jedenfalls im Herbst 2002 ziemlich sang- und klanglos verschwunden. Und wäre wohl auch nicht wieder aufgetaucht, wenn nicht die Juristin Ulrike Spangenberg, gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung und gestützt auf Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, nun die wesentlichen Argumente noch einmal zusammengefasst und ein alternatives Modell präsentiert hätte. Gegen das Ehegattensplitting ist danach vor allem einzuwenden, dass es gleichstellungspolitisch falsche Anreize setzt und zutiefst ungerecht ist. Im Einzelnen: Weil der Splittingvorteil dann am größten ist, wenn in der Ehe eine oder einer alles verdient, hat bereits ein geringer Zuverdienst erhebliche Steuernachteile zur Folge. Meist sind es dann die Frauen, die aus steuerlichen Gründen auf einen existenzsichernden Job verzichten und sich mit einer geringfügigen Beschäftigung begnügen. Auch das Argument, das Ehegattensplitting sei letztlich eine De-facto-Familienförderung, zieht - wie Spangenberg belegt - nur beschränkt: Zwar entfallen 65 Prozent des Splittingvolumens (14,5 Milliarden Euro) tatsächlich auf Eltern, die Kinder versorgen. Umgekehrt profitieren jedoch 43 Prozent der Verheirateten vom Splitting, obwohl sie keine oder längst erwachsene Kinder haben, während gleichzeitig ein Viertel aller Lebensgemeinschaften mit Kindern mangels Trauschein leer ausgeht. Dazu kommt, dass der Splittingvorteil umso größer ausfällt, je höher das Einkommen ist und je einseitiger es erwirtschaftet wird. Womit Sozialhilfeempfänger und Geringverdiener vor Vornherein das Nachsehen haben und der Splittingvorteil unter der Hand zur Solidarabgabe West mutiert: 93 Prozent der Steuerentlastung fallen in den alten Ländern an.
Das Alternativmodell, für das Spangenberg plädiert (und das in ähnlicher Form auch die Grünen sowie die Linkspartei.PDS favorisieren) sieht eine Individualbesteuerung vor, bei der ein nicht ausgeschöpfter zweiter Grundbetrag auf den/die PartnerIn übertragen werden kann. Bis zu einem Jahreseinkommen von 20.000 Euro bliebe damit auch für Einverdienst-Ehen steuerlich alles beim Alten. Stärker belastet würden vor allem hohe Einkommen: Bei 120.000 Euro Jahreseinkommen sänke der maximale Entlastungsvorteil von 7.918 auf 3.219 Euro. Die so jährlich erzielten steuerlichen Mehreinnahmen könnten in den Ausbau der Kinderbetreuung sowie ein höheres Kindergeld gesteckt werden. Die Autorin prognostiziert sie in ihrer Studie auf 7,5 bis 8 Milliarden Euro.
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