17 Tote, 14 Verletze – das ist die Bilanz des jüngsten school shootings in den USA. Tatort diesmal: eine High School in Parkland, einem Vorort von Fort Lauderdale in Florida. Täter: ein 19-Jähriger, der im Jahr zuvor wegen Disziplinarvergehen von der Schule verwiesen worden war. Tatwaffe: ein semiautomatisches Sturmgewehr vom Typ AR-15, eine der beliebtesten Schusswaffen dieser Art. Jeder Bürger, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und keine Vorstrafen aufweist, kann solche Langwaffen legal erwerben; bei Handfeuerwaffen liegt die Schwelle bei 21 Jahren. Der body count des Massakers läge noch höher, wenn der Schütze sämtliche Magazine verwendet hätte, die er mit auf das Schulgelände brachte.
Schießereien an Schulen sind in den USA keineswegs ungewöhnlich, es ist aber nicht zu übersehen, dass sich solche Vorfälle in den letzten Jahren häufen. Wenn es dabei keine Todesopfer gibt, nimmt man außerhalb des gerade betroffenen Bundesstaats wenig Notiz davon. Seit dem schrecklichen Massaker an der Sandy Hook-Grundschule in Connecticut im Dezember 2012, als ein 20jähriger mit einem Schnellfeuergewehr 20 Kinder im Grundschulalter sowie sechs Erwachsene ermordete, wurden in den USA 291 school shootings gezählt. Was den Blutzoll betrifft, rangiert die jüngste Schießerei direkt nach Sandy Hook. Unabhängig vom Tatort Schule stellen die Vorgänge in Parkland das 30. sogenannte mass shooting im laufenden Jahr dar. Gemäß der Definition des FBI handelt es sich dabei um einzelne Vorfälle, bei denen vier oder mehr Menschen - der Täter ausgenommen - durch Schusswaffen getötet oder verletzt werden. Die Summe der dieser Kategorie zugeordneten Opfer bildet im Hinblick auf die Gesamtzahl der in den USA durch Schusswaffen zu Tode gekommenen Menschen nur die Spitze eines Eisbergs. Bis zum Tag des school shooting in Parkland wurden 2018 bereits 1.859 Todesfälle registriert, dazu kommen 3.100 Verletzte.
Die Tatsache, dass Jahr für Jahr in den USA mehr als 30.000 Personen mittels Schusswaffen ihr Leben verlieren (die Mehrzahl durch Selbstmord), hat bislang nicht dazu geführt, die überaus liberalen Waffengesetze einer Revision zu unterziehen. Im Gegenteil: in den letzten Jahren wurden die Rechte von Waffeneignern immer weiter ausgedehnt. Dies wurde dadurch begünstigt, dass der Oberste Gerichtshof im Jahre 2008 den seit 1791 geltenden Zweiten Verfassungszusatz entgegen der bis dahin üblichen Auslegung und Rechtsprechung mit 5:4 Stimmen im Sinne eines individuellen Rechts auf Waffenbesitz interpretierte. Heute erlauben fast alle Bundesstaaten das verdeckte Mitführen von Waffen in der Öffentlichkeit, in einigen ist auch das offene Tragen gestattet. Die Zahl der Bundesstaaten nimmt zu, wo stand your ground-Gesetze gelten, welche die Rechtfertigung für einen Einsatz von Schusswaffen erleichtern, sollte sich der Schütze auf seinem Grundstück einer akuten Gefahr ausgesetzt sehen. Die Waffenlobby und die Befürworter laxer Waffengesetze sehen in der Bewaffnung „rechtschaffener“ Bürger die beste Methode, um sich gegen Kriminelle zu schützen. Wayne La Pierre, der Chef der einflussreichen National Rifle Association (NRA) propagiert die These, dass das ideale Mittel gegen einen bad guy with a gun ein good guy with a gun sei. Die meisten Verursacher der letzten mass shootings waren ursprünglich good guys, die Waffen und Munition vollkommen legal erworben hatten.
Verständlicherweise sind es gerade die Ereignisse mit zahlreichen Todesopfern, welche die Diskussion über die Waffengesetzgebung neu entfachen. Im Regelfall erleben die Waffengeschäfte nach solchen Vorfällen einen Ansturm von besorgten Waffenenthusiasten, die eine Verschärfung beim Waffenrecht befürchten und sich präventiv mit zusätzlichem Schießgerät und Munitionsvorräten eindecken. Das war unter Präsident Obama so, der sich mehrfach nach Schusswaffenmassakern für strengere Gesetze einsetzte. So nach dem Vorfall in Sandy Hook, als der Senat einer Ausdehnung der verpflichtenden Überprüfung der Käufer durch das FBI bei allen Waffentransaktionen die Stimmenmehrheit verweigerte. Solche background checks sind bislang nur bei Käufen in lizensierten Waffengeschäften vorgeschrieben, nicht aber auf so genannten gun shows, bei denen vor allem gebrauchte Waffen veräußert werden. Das Scheitern der Gesetzesinitiative ging auf das Stimmverhalten der Republikaner zurück, die mit ganz wenigen Ausnahmen jeglicher Verschärfung des Waffenrechts ablehnend gegenüber stehen. Senatoren aus Bundesstaaten, in denen Waffenbesitzer einen überproportionalen Teil der Wähler stellen, riskieren ihr Amt, wenn sie sich für strengere Vorschriften einsetzen. Diese Gefahr ist vorerst gebannt, weil es unter Donald Trump, der sich als enger Verbündeter der NRA geriert, keine Initiativen für Waffengesetzreformen geben dürfte.
Fatal ist, dass sich gerade jene schrecklichen mass shootings, die den Ruf nach mehr gun control regelmäßig wiederaufleben lassen, auch durch noch so rigorose Beschränkungen im Waffenrecht kurz- bis mittelfristig nicht verhindern lassen. Wer eine solche Tat plant, wird Mittel und Wege finden, sein Vorhaben umzusetzen. In den USA existieren heute mehr als 300 Mio. Schusswaffen inklusive eines gut sortierten Schwarzmarkts. Kein mass shooting in den USA hat bisher so viele Todesopfer verursacht wie die Wahnsinnstat des Norwegers Breivik im Jahre 2011 (77 Tote) – wohlgemerkt in einem Land mit überaus strengen Waffengesetzen. Ebenso ernüchternd ist aber auch die Einsicht, dass die bislang von den gun control-Befürwortern geforderten Maßnahmen zur Verschärfung des Waffenrechts – sollten sie denn jemals politisch mehrheitsfähig sein - wenig bis nichts bewirken werden. In einem derart üppig ausgestatteten Waffenmilieu gelangt jeder Kriminelle und jeder potenzielle school shooter an die Mittel seiner Wahl.
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