Freier Handel mit Bildung

Bildung und GATS Die weltweite Öffnung des Bildungsmarktes wird unüberschaubare Folgen haben. Wo sich die einen freuen, im Ausland investieren zu können, befürchten die anderen, keinen Einfluss mehr auf den Standort zu haben

GATS (General Agreement on Trade in Services) ist ein seit 1995 bestehendes Abkommen für die weltweite Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte. Seit 2000 und noch bis 2004 wird darüber neu verhandelt. Das GATS fordert, dass allen in- und ausländischen Unternehmen gleicher Marktzugang gewährt werden muss.

Saxon Spence macht sich Sorgen um die mobilen Bibliotheken in Devon. Sie ist dort als Labour-Vertreterin in der Regionalversammlung für "life-long learning" zuständig. Eine Folie auf der Bühne des Brixener Forums zeigt, wie groß der englische Ort Devon ist, und wie ländlich. Die Bibliotheksbusse bringen nicht nur Bücher aufs Dorf, bald werden sie auch einen gebührenfreien Internetzugang bieten. Kostenlose Bibliotheken gehören zur Informationsfreiheit, sagt Saxon Spence. Doch wenn GATS, das Abkommen über den Freihandel mit Dienstleistungen, auf die Bibliotheken angewendet wird, dann könnte die Bezirksregierung von Devon nicht mehr selbst entscheiden, wen und was sie subventionieren will. Dann könnten die Betreiber von Internetportalen und Datenbanken die gleichen Subventionen wie die öffentlichen Bibliotheken verlangen. Und würden natürlich keine Busse in die hintersten Winkel Devons schicken.

Nur wenige Tage vor dem Treffen des Europäischen Sozialforums in Florenz kamen im Südtiroler Brixen Parlamentarier, Minister und Politiker für Kultur und Bildung aus über 100 europäischen Regionen zusammen, unter ihnen viele Konservative, wie zum Beispiel der gastgebende Südtiroler Kulturminister Bruno Hosp.

Was zur Zeit von der EU-Kommission mit, der Welthandelsorganisation (WTO) über die Neuauflage von GATS verhandelt wird, sickert zu den Vertretern der europäischen Regionen nur zufällig durch. Allein diese Geheimnistuerei sei schon Grund genug, sich mit diesem Globalisierungsthema zu beschäftigen, meint Hosp, der - wie praktisch jeder in dieser norditalienischen Bergregion - zur konservativen Südtiroler Volkspartei gehört. Er ist erschrocken darüber, wozu das Handelsabkommen GATS verpflichtet, nämlich: Entweder bekommen alle Anbieter die gleiche Förderung - oder niemand. Staatliche Kulturförderung für Theater, Bibliotheken und Museen steht ebenso zur Disposition wie die Finanzierung von Schulen, Universitäten, Rundfunkanstalten und Filmproduzenten.

Dienstleistungen im weltweiten Handel

Das Abkommen gilt seit 1995 - von den befürchteten Folgen hat man noch nicht viel gemerkt - alles Panikmache also?

Das GATS bezieht sich auf praktisch alles, was nicht niet- und nagelfest ist, von Finanzdienstleistungen - also Banken und Versicherungen, über Transport, Kommunikation, Energieversorgung bis hin zu Gesundheit, Kultur, Tourismus und eben Bildung. Alle - mittlerweile 144 - Unterzeichner sichern sich Meistbegünstigung zu, das heißt - kein ausländischer Marktteilnehmer darf schlechter als andere behandelt werden. Darüber hinaus stand es 1994 bei Abschluss des Vertrages allen frei, sich für einzelne der zwölf im Abkommen genannten Dienstleistungsbereiche weiter zu verpflichten: Allen Anbietern freien Marktzugang zu gewähren und Ausländer wie Inländer zu behandeln.

Die Europäische Union ist für ihre Mitgliedsländer diese Verpflichtung für fast alle Bildungsbereiche vom Kindergarten bis zum Seniorenstudium eingegangen. Im deutschen Bildungsministerium hatte man damals keine Ahnung davon, wie heute der zuständige Abteilungsleiter einräumt. Die Bundesregierung wurde bei diesen Verhandlungen vom Wirtschaftsministerium vertreten, und für das waren Bildungsdienstleistungen damals Peanuts.

In der Tat: Die Auswirkungen waren zunächst gering. Dienstleistungen "im hoheitlichen Interesse" und die Entscheidung über Subventionen waren bisher vom Gebot der Gleichbehandlung nicht betroffen, weil die Europäische Union Ausnahmeklauseln vereinbart hatte. Doch die kommen automatisch alle zehn Jahre auf den Prüfstand. Sie werden gerade neu verhandelt. Bis Mitte dieses Jahres konnten Staaten weitere Öffnungsforderungen einreichen. Japan, die USA, Australien, Neuseeland und andere Länder verlangen von der EU, die Ausnahmeregeln nicht zu verlängern. Doch eigentlich weiß man nichts Genaues. Es geht zwar um Markttransparenz, doch verhandelt wird darüber hinter verschlossenen Türen.

Bildungspolitik und offener Markt

Gäbe die EU bei der GATS-Überarbeitung nach, so wären die Folgen kaum absehbar: Darf die städtische Oper noch einen subventionierten Zigeunerbaron geben, wenn die Firma Stella Miss Saigon zu Marktpreisen verkauft? Dürfen Bibliotheken Internetdienste kostenlos anbieten, während private Konkurrenten das mit Gebühren oder Werbebannern finanzieren? Schließlich: Darf der Staat eigene Einrichtungen noch finanziell bevorzugen, wenn der Markt für Schulen und Hochschulen freigegeben wird? Oder muss er sich darauf beschränken, die Qualität der Bildungsangebote zu bescheinigen, die von gemeinnützigen Stiftungen oder auch von kommerziellen Firmen wie der in den USA schon agierenden Schul-AG Edison erbracht werden? Und selbst die Qualitätssicherung bleibt möglicherweise nicht unter staatlicher und damit immer noch irgendwie öffentlicher Kontrolle.

Die USA fordern, dass die EU ihre letzte Hemmung fallen lässt und auch noch den Markt für die sogenannten "sonstigen Bildungsdienstleistungen" öffnet. Das sind Testing- und Akkreditierungs-Agenturen, Bildungsbroker und Recruitment-Büros. In den Schulen wird standardisiert, genormt und getestet - ein rasch expandierender Markt für entsprechende Institute. Der amerikanische Educational Testing Service ist bereits in nahezu 200 Ländern aktiv und führt jährlich zwölf Millionen Tests durch. Künftig brauchen alle Studiengänge in Deutschland eine Akkreditierung durch eine entsprechende Agentur. Werden das nur deutsche sein? Schon heute holen sich etwa die Mannheimer Wirtschaftswissenschaftler lieber ein Prüfsiegel aus den USA, das macht mehr her. Doch letztlich geht es nicht nur darum, wer am Testen und Akkreditieren verdient, sondern wer die Standards setzt, an denen sich Bildungseinrichtungen messen lassen müssen. Für den konservativen Südtiroler Kulturpolitiker Bruno Hosp eine Horrorvorstellung: "Das würde letztendlich zu einer Art Disneyisierung führen. Man kann im Europa der Regionen, zu dem wir uns so gern bekennen, nicht zulassen, dass der Kultur- und Bildungsbereich einer ausschließlichen reinen Wirtschaftslogik unterworfen wird." Das Problem könne man nicht im Rahmen von GATS lösen, meint Bildungsministerin Edelgard Bulmahn.

Deutsche Interessen im Ausland

Globalisierungskritiker und gegen Gebühren protestierende Studierende haben GATS auf die Tagesordnung gesetzt. Nun haben auch die Kultusminister und das Bundesbildungsministerium in der BLK (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung), eine gemeinsame Position zu GATS formuliert. Und die ist zwiespältig. Hat man doch gerade eine "Konzertierte Aktion Marketing für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland" gegründet, ein gemeinsames Bildungsportale GATE geschaffen, um deutsche Aktivitäten auf Auslandsmärkten zu forcieren. Deutsche Hochschulen richten selbst Filialbetriebe ein, sie verkaufen Studiengänge ins Ausland. Von Russland bis Brasilien, von Ägypten bis Thailand reichen ihre Aktivitäten. Auch beim Anwerben ausländischer Studenten sind sie gar nicht so schlecht, wie sie immer glauben machen wollen. Weltweit liegt Deutschland als Zielgebiet für ausländische Studierende an dritter Stelle. Die USA können zehn Milliarden Dollar Einnahmen von ausländischen Studierenden verbuchen, in Australien sind die Auslandsstudenten der drittgrößte Faktor in der Außenhandelsbilanz, da sieht es in Deutschland noch mager aus, weil die ausländischen Studis keine Gebühren zahlen.

Ungeheuer expandiert in den vergangenen Jahren der Exportmarkt über das Internet: Virtuelle Universitäten bieten ihre Abschlüsse weltweit an, Corporate Universities kaufen "Contents" en gros von den führenden US-Anbietern. Auch auf diesem Markt möchte Deutschland nicht zu kurz kommen.

Teures Gut Wissen

Also: Grundsätzlich steht man dem Bildungshandel aufgeschlossen gegenüber, das steht so auch in der gemeinsamen Stellungnahme. Doch umgekehrt steht man allen Forderungen ablehnend gegenüber, deutsche Märkte weiter zu öffnen oder gar die Ausnahmeklauseln bezüglich der Subventionen fallen zu lassen.

Den Ländern - sie werden nicht genannt, denn das ist alles geheim, die für sich die "Inländerbehandlung" und den freien Marktzugang fordern, halten die deutschen Kultusminister entgegen, sie sollten doch erst einmal selbst ihre eigenen Märkte so weit öffnen wie es die EU-Mitglieder getan haben. Denn ausgerechnet die Marktführer im Bildungshandel, die USA, haben für ihren Bildungssektor bisher so gut wie keine Verpflichtungen unterschrieben.

Die Forderungen der deutschen Bildungsminister gehen nun erst einmal an das deutsche Wirtschaftsministerium. Das wird, sofern es sie übernimmt, damit in Brüssel im sogenannten 133er-Ausschuss vorstellig - das ist das Gremium, in dem sich die EU-Mitglieder über handelspolitische Fragen verständigen. Dort kommen dann alle möglichen Interessen zusammen, und es wird gehandelt: Vielleicht lassen sich die Marktbeschränkungen für Agrarprodukte erhalten, wenn wir dafür im Bildungsbereich etwas nachgeben?

Man muss kein Pessimist sein, um sich vorzustellen, dass bei diesem Schacher die Bildungsinteressen keine starke Lobby haben werden. Die Gefahren liegen in der Struktur von GATS: Ist man einmal dabei, dann wird die nationale Politik ständig von der Welthandelsorganisation auf Handelshemmnisse überprüft. Bildungs- und Kulturpolitik sind nicht mehr möglich, alles ist nur noch Handel. Und schließlich: Wer heute noch eine Ausnahme durchsetzen kann, wird künftig keine Ruhe haben.

Nein, nicht alle blicken trübe auf GATS. Der niedersächsische Wissenschaftsminister und Sozialdemokrat Thomas Oppermann zum Beispiel versteht zwar die Sorge um walisische Gesangsgruppen und deutsche Männerchöre, doch die Konkurrenz mit amerikanischen Hochschulen sei für ihn kein Horror, im Gegenteil - das belebt das Geschäft.

Die Forderung der Regionalminister auf ihrer GATS-Konferenz in Brixen ist trotzig, aber hilflos: Die EU soll grundsätzlich auf keine Forderung eingehen, auch selbst keine Forderungen stellen, stattdessen soll der Kultur- und Bildungsbereich ganz aus dem GATS-Verhandlungsprozess ausgenommen werden.

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