Aus der Politik werde er sich heraushalten, hatte Ajatollah Khomeini damals, 1978, in seinem Exilort Neuphle-le-Château erklärt. Dass es anders kam, ist bekannt. Immer wieder mischte Khomeini ganz kräftig im aktuellen Tagesgeschäft mit: wenn er Salman Rushdie zum Tode verurteilte, den Waffenstillstand mit Irak hinauszögerte oder sich zur Geburtenkontrolle äußerte; sie erst geißelte, dann empfahl. Doch Khomeini schwebte weit mehr über den staatlichen Gewalten und den politischen Fraktionen als sein Nachfolger Ali Khamene'i dies heute tut.
Khamene'i ist in den vergangenen Monaten dabei, sein Amt zur wirklich obersten, aktiven politischen Instanz auszubauen. Laut Verfassung, war es zwar schon immer die letzte Instanz; ihm obliegt die Richtlinienkomp
linienkompetenz der Politik, er ernennt unter anderem die Chefs von Armee und Justiz. Früher jedoch hielt sich Khamene'i dezent im Hintergrund und vermied es, in den politischen Sumpf hinabzusteigen. Heute jedoch liegen die Machtverhältnisse in der Islamischen Republik anders. Bevor Mohammad Khatami im Mai 1997 zum Präsidenten gewählt wurde, machten Parlament und Präsident ohnehin, was auch Khamene'i vorschwebte, konservative Politik eben. Inzwischen aber sitzen sowohl in der Regierung als auch im Parlament Reformer. Deshalb der "Abstieg" Khamene'i in die aktive Politik. Ein Beispiel unter vielen: sein Umgang mit dem neuen Pressegesetz. Im August kam das neue Parlament zusammen, um ein neues, liberaleres Pressegesetz zu debattieren. Doch kurz bevor die Debatte beginnen sollte, hieß der Parlamentspräsident die Abgeordneten zu schweigen. Der Revolutionsführer habe den Entwurf verboten, er verstoße gegen den Islam und die nationale Sicherheit.Abgesehen davon, dass dieses Beispiel besonders deutlich macht, welche Grenzen dem Reformprozess in Iran gesetzt sind, wunderte man sich auch über das Verhalten Khamene'is. Wollte er beweisen, auch er sei noch ein Faktor in der Politik des Landes? Warum sonst dieser direkte Weg der Konfrontation? Nötig hätte er es nämlich nicht gehabt. Dem Parlament ist ohnehin der sogenannte Wächterrat übergeordnet, der alle Gesetzentwürfe auf ihre Vereinbarkeit mit dem islamischen Charakter der Verfassung hin untersucht. Dieses Gremium hätte das Gesetz blockieren können, und Khamene'is Handschrift wäre nicht so direkt auszumachen gewesen.Zu Einmischungen wie dieser kommt es zuletzt aber immer häufiger. Der Fall Mohadscherani beispielsweise. Der moderate Kulturminister hatte seinen Rücktritt eingereicht. In dem gegenwärtig herrschenden repressiven Klima sehe er keine Möglichkeit mehr, gute Kulturpolitik zu machen, erklärte er. Monatelang weigerte sich Khatami, den Rücktritt Mohadscheranis zu akzeptieren, bat ihn, nicht aufzugeben. Doch dann hieß Khamene'i den Präsidenten, den Rücktritt anzunehmen. Und Khatami, dem Mann, den 70 Prozent der Bevölkerung gewählt haben, bleibt keine andere Möglichkeit, als sich dem Wunsch der obersten religiös-politischen Autorität des Landes zu beugen.Andere aber beugen sich nicht. Kürzlich schwebte Khamene'i vor, auch die Kontrolle über den Etat der theologischen Hochschulen zu erlangen. Alle Geistlichen sollten die finanziellen Zuwendungen, die sie von ihren Anhängern erhalten, an ihn weiterleiten. Er werde dann die Verteilung übernehmen, hieß es. Hier jedoch biss Khamene'i auf Granit. Die schi'itischen Gelehrten wollten ihre Unabhängigkeit nicht verlieren und sich tunlichst fern halten vom herrschenden Polit-Islam. (siehe nebenstehenderArtikel).Khamene'i ist aus diesem Konflikt mit dem hohen Klerus geschwächt hervorgegangen. Kurz zuvor hatte er eine weitere Schlappe hinnehmen müssen. Sein größter Rivale, Ajatollah Montazeri, stellte seine Biographie ins Internet. Khamene'i hat den designierten Khomeini-Nachfolger, der wegen seiner Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Iran noch zu Lebzeiten Khomeinis in Ungnade gefallen war, vor Jahren unter Hausarrest gestellt. Heute plädiert Montazeri entschieden dafür, dass der religiös-politische Würdenträger sich jedweder Einmischung in die Politik enthalten solle.Es verwundert kaum, dass Khamene'i nun noch stärker im politischen Tagesgeschäft mitmischen will. Beispielsweise will er erreichen, dass kein Geistlicher - egal, was er sich zu schulden habe kommen lassen - dafür zur Rechenschaft gezogen werden kann. So verkündet im Vorfeld eines Prozesses, der gerade in Teheran stattfindet und in den einige Kleriker verwickelt sind.Viele Geistliche, über deren finanzielle Mittel Khamene'i die Kontrolle erlangen wollte, gehen sogar noch viel weiter als Montazeri. Sie sind der Meinung, Religion und Politik sollten komplett getrennt werden, nur das sei schi'itische Orthodoxie. Es scheint nicht ratsam, diese ranghohen Kleriker gegen sich aufzubringen. Zwar wollten sie selber von Politik nie etwas wissen und haben die politisch agierenden Mullahs immer gewähren lassen. Aber das kann sich ja ändern. Und diese Groß-Ajatollahs haben ganz offensichtlich die Chuzpe, sich Khamene'i zu widersetzen.