Berater des iranischen Präsidenten Mohammed Chatami dürfte in diesen Tagen kein leichter Job sein. Die Studentenproteste in Teheran haben einmal mehr vor Augen geführt, in welcher Bre douille der Präsident steckt. Chatami hatte seinen Wählern Freiheit und Rechtsstaatlichkeit versprochen. Seine Wähler, zum überwiegenden Teil Jugendliche, sind nun auf die Straße gegangen und haben die Umsetzung dieser Versprechen eingefordert. Belohnt wurden sie in der Nacht nach der Demonstration mit einem Überfall von Schlägertrupps und Sicherheitskräften auf ihr Studentenwohnheim.
Zwar hat Chatami diesen Überfall verurteilt, er hat aber auch ganz herzlich zur Teilnahme an einer Gegendemonstration der Konservativen aufgerufen. Für die Studente
e Studenten muß dies ein Schlag ins Gesicht gewesen sein. »Chatami muß nichts tun, um uns zu unterstützen, er muß nur seine Reformpolitik weiterführen«, hatte ein Studentenvertreter vor Chatamis Einladung in einem Interview gesagt. Doch distanziert sich der Präsident mit einem solchen Aufruf nicht von seinen eigenen Wahlversprechen und von seinen Wählern?Chatami taktiere zu viel hinter den Kulissen und vergesse dabei, daß seine einzige Macht der einfache Bürger auf der Straße sei. Das werfen ihm viele seiner Wähler heute vor. Es fragt sich jedoch, welche Alternative Chatami hätte. Er hat das Schicksal derer vor Augen, die weniger behutsamen Schrittes die Islamische Republik reformieren und öffnen wollten. Ayatollah Montazeri war der designierte Nachfolger Chomeinis, bis er kurz vor dem Tod des Revolutionsführers begann, die Menschenrechtsverletzungen der Islamischen Republik anzuprangern. Er wurde abgesetzt, und noch heute werfen ihm viele Iraner vor, daß er mit seiner Kritik nicht warten konnte, bis er in Amt und Würden war. Dann hätte er die Macht gehabt, Veränderungen durchzusetzen. Ähnliches ist Abdolhassan Bani-Sadr widerfahren, dem ersten Präsidenten der Islamischen Republik. Chatamis bedächtige Taktik hat bisher zumindest den einen Erfolg gehabt, daß er noch im Amt ist. Und noch immer scheint ein Großteil der Bevölkerung hinter ihm zu stehen, will ihn sogar für eine zweite Amtszeit wählen. Doch wieviel Geduld haben die Iraner noch mit ihm? Es könnte sein, daß Chatami auf dem besten Wege ist, alle in ihn gesetzten Hoffnungen zu enttäuschen und seine Sympathisanten zu verprellen. Aufgrund der Machtverhältnisse hätte niemand von ihm verlangt, seine Anhänger nach der von den Konservativen organisierten Gegendemonstration zu einer Gegen-Gegendemonstration aufzurufen. Daß die Gefahr eines Putsches besteht, und daß die Armee, die den Konservativen untersteht, in die Menge schießen könnte, weiß jeder. Aber Chatami hätte schweigen können und die Einladung der Hardliner nicht unterstützen müssen.Andererseits ist es vielleicht doch nicht so schwer, Berater von Präsident Chatami zu sein. Lassen doch alle Analysen der Person und der Politik des Präsidenten einen wichtigen Punkt außer acht. Nicht Chatami ist der Motor der Veränderung in Iran. Nicht er hat den gesellschaftlichen Wandel auf den Weg gebracht, sondern die gewandelte Gesellschaft hat Chatami an die Macht gebracht. Er war die einzige Alternative, der einzige unter den Kandidaten, den man nicht mit dem Status quo identifizierte. Und er versprach, was die Iraner schon lange wollten: Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Chatami hat das Volk diese Werte nicht gelehrt, sie waren lange da. Und zwar nicht nur innerhalb der westlich orientierten Mittelschicht. Sogar unter ehemals radikalen Islamisten sind sie seit einigen Jahren salonfähig. Zumindest, seitdem ehemalige Ideologen der Revolution wie Abdolkarim Sorusch und Mohammad Modschtahed Schabestari eine Islam-Interpretation vorstellten, die Islam und Demokratie miteinander versöhnt. Sie boten einen Weg aus der Misere an, denn auch ihre eigene Hoffnung hatte sich nicht erfüllt. Der Islam war keine Lösung für alle Probleme, und die Religion, die beiden lieb und teuer ist, begann Schaden zu nehmen an der Ideologisierung und dem Mißbrauch, den die Herrschenden mit ihr trieben.Beide Denker forderten eine Säkularisierung der Macht in Iran, und ihnen tat es ein großer Teil der Bevölkerung gleich. Ob aus eigenem Antrieb, oder weil er unter ihrem Einfluß stand, sei dahingestellt. Das Ergebnis bleibt dasselbe. Die Mehrheit der iranischen Bevölkerung will diese ideologisierte Islam-Interpretation, die den Menschen die Freiheit nimmt und diesen Raub auch noch religiös begründet, nicht mehr. Wenn es gut fundierte theologische Argumente für solch eine Umorientierung gibt, die einem auch dann noch den Weg ins Paradies öffnen, wenn man bekennender Säkularist ist, um so besser. Wenn nicht, dann eben nicht.Schabestari und Sorusch sind der intellektuelle Ausdruck einer Gegenöffentlichkeit, die sich schon lange Bahn bricht. Die iranischen Studenten haben allen hartnäckigen Versuchen, sie zu ideologisieren, widerstanden. Die Frauen haben sich nicht mit Heim und Herd abspeisen lassen, und selbst die Studentenschaft der theologischen Hochschulen, der Nachwuchs der iranischen Theokratie, nimmt wieder Zuflucht zum Quietismus, der politischen Abstinenz. Das ist die religiöse Ausdrucksweise, die dem Wesen der Schia eigentlich entspricht. Erst Ayatollah Chomeini brach mit dieser klassischen Doktrin und lieferte eine radikal neue, revolutionäre Interpretation der Religion.Heute wenden sich auch die jungen Mullahs der quietistischen Interpretation zu, die im Grunde auf dasselbe hinausläuft, wie die modernen Theorien von Sorusch und Schabestari: auf den Säkularismus. Irans Nachwuchstheologen plädieren also für den Säkularismus, und was, so schrieb ein westlicher Kommentator treffend, kann einer Theokratie Schlimmeres passieren, als wenn ihr die Theologen ausgehen?Inzwischen ist in Teheran wieder Ruhe eingekehrt. Grabesruhe. 1.400 Personen sind verhaftet worden, den »Drahtziehern« droht eine Anklage wegen Hochverrats. Das iranische Fernsehen verbreitet bereits die »Geständnisse« einiger Studentenführer, unter ihnen Manutschehr Mohammadi. Er gibt zu, vom Ausland Geld bekommen und einen bewaffneten Umsturz geplant zu haben. Selbst jene, die eher zögern, wenn es darum geht, die Islamische Republik zu kritisieren, gaben zu, daß sein Gesicht Zeichen von Folter trug.Und Chatami? Er bereitet seinen Deutschlandbesuch vor. Für Irans Außenpolitik ist dieser Besuch zweifelsohne sehr wichtig. Wie sein Gastgeber Kanzler Schröder hat Chatami in der Innenpolitik weit weniger Erfolge vorzuweisen als auf außenpolitischem Gebiet. Doch die iranische Bevölkerung tut sich leichter ein »Bündnis für ...« zu unterstützen als die deutsche. Zwar steht es im Moment schlecht um Irans Gegenöffentlichkeit. Sie ist niedergeschlagen, doch keineswegs am Ende. Sie wird sich auch, so zynisch es klingen mag, durch einige Todesurteile nicht davon abbringen lassen, ihre Ziele weiter zu verfolgen. Vielleicht sollten die Berater ihrem Präsidenten raten, diese gesellschaftliche Bewegung nicht zu unterschätzen. Vielleicht sollte Chatami darauf bauen, und nicht so sehr auf Verhandlungen und Taktierereien innerhalb des Herrschaftsapparates.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.