Der Beamer surrt, die Bleistifte liegen bereit. Das Klassenzimmer ist abgedunkelt, aber auch der Rotwein ist entkorkt. Das Ganze soll dann doch nicht zu sehr an die Schulzeit erinnern. Denn in die Modern Life School kommen Erwachsene, die etwas lernen wollen – und zwar nichts weniger als den Sinn des Lebens. Die Lektion des heutigen Abends lautet: "Von der Kunst, ein guter Freund zu sein."
Der Raum füllt sich. 50 Euro Gebühr und drei Stunden Zeit kostet der Weg zum Vorzeigefreund. Für diesen Einsatz könnte man hier auch lernen, seine Familie zu genießen oder sich glücklich zu shoppen. Es ist eine Schule für Lebensfragen, die vor ein paar Wochen in die stylischen Räumlichkeiten im Hamburger Gängeviertel gezogen ist. Ein Ort, an dem nachgedacht und philosophiert werden soll. Im vorderen Café-Bereich treffen Cicero und Schopenhauer auf Richard David Precht. Bücher zum Ausleihen und Postkarten mit Sinnsprüchen von Tolstoi oder Winnie Puuh stapeln sich in den Regalen. Es gibt selbst gebackenen Kuchen. Inhaberin Pia Schaf steht hinter dem Tresen, sie schenkt Kaffee und warme Worte aus. "Die Leute fangen an, mehr Fragen zu stellen", beginnt sie ihr Konzept zu erklären. Sie spricht dabei auch von sich selbst. 20 Jahre hat die 49-jährige Schaf in der Werbung gearbeitet. Dann war da dieses Gefühl, dass das noch nicht alles gewesen sein kann. In London stieß sie auf die School of Life des Philosophen und Autoren Alain de Botton. Dort wird gelehrt, wie man die Liebe am Leben hält, den Job lieben lernt oder dem Tod entgegengeht. Für Schaf war klar: „Das ist es, was die Welt braucht“ – Philosophie zum Anfassen.
Die Heidegger-Expertin wartet
Im Hinterzimmer wartet bereits Dr. Ina Schmidt. Eine zarte Frau, 38 Jahre alt, mit dem Lächeln einer Vertrauenslehrerin. Schmidt ist Heidegger-Expertin und Inhaberin einer philosophischen Beratungspraxis in der Hamburger Peripherie. Der Beamer wirft das Thema des Abends an die Wand. Aber ein guter Freund zu sein – kann man das überhaupt lernen?
Gekommen sind ein Dutzend Leute zwischen 30 und 60 Jahren. Wieviele Freunde haben die Teilnehmer? Einer hat nur zwei, ein anderer gibt stolze 15 an. Es ist im Raum tatsächlich ein bisschen wie früher in der Schule: Es gibt den Streber, den Nörgler, das Kichern in den hinteren Reihen.
Einige Teilnehmer haben diesen Kurs geschenkt bekommen, andere waren einfach nur neugierig auf die Sinn-Schule und hofften auf ein unverfängliches Thema. Wieder andere suchen wirklich Hilfe, weil sie an ihren zwischenmenschlichen Bindungen verzweifeln. Da ist die genervte Freundin, die sich nach der Scheidung ihres besten Kumpels seit zwei Jahren sein Gejammer anhören muss – und es nicht mehr aushält. Oder das Pärchen, das jeweils in dem Partner den besten Freund sieht und sich fragt, wo Liebe eigentlich aufhört und Freundschaft anfängt – und umgekehrt. Oder die ältere Dame, die an dem Humor ihrer Freundin verzweifelt, weil sie im Kino immer an den falschen Stellen lacht. Sie alle wollen wissen, was es eigentlich bedeutet, ein guter Freund zu sein. Was man besser machen kann. Für welche Freundschaften es sich zu kämpfen lohnt, welche man besser auflösen sollte.
Vertrauen, Nähe, Gemeinsamkeiten
Bevor in Dreiergruppen Max Frischs Fragebogen zur Freundschaft durchgearbeitet wird („Halten Sie die Natur für einen Freund? Wie reden Sie über verlorene Freunde? Gibt es Freundschaft ohne Affinität im Humor?“), wird die zentrale Frage diskutiert: Was erwarten wir von einem guten Freund? Die Antworten der Teilnehmer lassen sich auf drei Dinge reduzieren: Vertrauen, Nähe, Gemeinsamkeiten.
Freundschafts-Expertin Schmidt erklärt, dass nicht erst Mark Zuckerberg oder gar Christian Wulff mit ihrem Verständnis von Freundschaft solche Fragen aufgeworfen haben, sondern sie seit mehr als 2000 Jahren Thema der Philosophie sind. Das Bedürfnis nach Seelenverwandtschaften überdauert auch soziale Netzwerke. „Wir haben nicht verlernt, ein guter Freund zu sein“, sagt Schmidt. „Facebook bereichert die Freundschaftskultur, so lange man die realen und virtuellen Beziehungen nicht verwechselt.“ Diese Unterscheidung traut sie jedoch jedem zu. „Facebook ist nicht der Tod der Freundschaft.“ Es verbrenne nur die Zeit, um wahre Freunde zu treffen.
Auf den Holzstühlen lauschen die Kursteilnehmer Poesiealbum-Zitaten von Aristoteles oder Michel de Montaigne, die die Dozentin in den Raum wirft. Von der einen Seele in zwei Körpern und so weiter. Am Ende sind es jedoch vor allem die Kursteilnehmer, deren Geschichten zum Nachdenken anregen. So wie die eines mitteilungsbedürftigen Geschäftsmannes aus der ersten Reihe, dessen bester Freund mit seiner Ehefrau durchgebrannt ist. Eben saß man noch beim Feierabendbier zusammen, ein paar Tage später ist der Kumpel mit der eigenen Frau im Urlaub. Es liegt auf der Hand, warum er in einem Kurs wie diesem nach Antworten sucht.
Eindeutige Aussagen bekommt er hier allerdings nicht. Schließlich, so erklärt Schulleiterin Schaf in der Pause, gehe es in der Modern Life School vor allem um das Miteinanderreden. Und dafür komme sowohl der Apfelbauer als auch die Frührentnerin, der Marketingmanager und die Teenietochter hierher.
Der Bedarf ist da
„Früher hat man sich an der Fleischtheke oder beim Friseur ausgetauscht“, sagt Schaf. „Heute gibt es Supermarktketten und Cut Es bleibt wenig Raum für Gespräche – und Antworten.“ Dabei ist der Bedarf groß. Das zeigt nicht nur Schafs Schule. Gerade erst wurden mit dem Philosophie Magazin und Hohe Luft zwei Hochglanzmagazine gelauncht, die auf Popularisierung der Philosophie für die Masse abzielen. Und im ZDF soll bald eine Show mit Bestsellerautor und Pop-Philosoph Richard David Precht auf Sendung gehen. Wird Denken das neue Kochen?
„Philosophie ist ein Abfallprodukt der Langeweile“, hat Precht mal gesagt. Und die Modern Life School? Eine Lifestyle-Erscheinung für Gelangweilte? Abzocke oder Erleuchtung? Weder noch: „Das ist hier keine Esoteriknummer“, betont Schaf. „Hier predigen keine Gurus vom Licht am Ende des Tunnels, so etwas wäre Ratgeber-Bullshit.“ Es geht um Inspiration, einen netten Abend, darum, neugierig zu bleiben.
Der Platz des Geschäftsmanns bleibt nach der Pause leer. Vielleicht hatte er mehr erwartet. Vielleicht hatte er wirklich gehofft, als besserer Freund aus dem Kurs herauszugehen, anstatt nur mit Fremden darüber philosophiert zu haben.
„Würdest du mit dir selbst befreundet sein wollen?“, ist die letzte Frage der Dozentin an diesem Abend. Immerhin: Mehr als die Hälfte der Kursteilnehmer antwortet entschlossen: „Ja.“ Und das ist dann doch eine schöne Erkenntnis.
Für alle, die nicht so gut mit sich können: An der Modern Life School gibt es dafür sicher auch einen Kurs ...
Katharina Miklis hält sich selbst für eine gute Freundin. Sie kommt nur leider viel zu selten dazu, es zu beweisen.
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