Wird hinter verschlossenen Türen über die Zukunft der europäischen Sozial- und Umweltstandards verhandelt? Viele Bürger sorgen sich, sind gegen das geplante TTIP-Freihandelsabkommen zwischen EU und USA. Alles kein Problem, sagt die EU-Kommission. Vor einigen Wochen hat sie groß eine Transparenz-Initiative angekündigt. Nun sollen regelmäßig Verhandlungstexte auf der Website der Behörde veröffentlicht werden. Doch es geht nicht darum, dass sich die Bürger selbst ein Bild machen können. Dafür sorgt die EU-Kommission schon – mit ihrer Propaganda-Offensive, die seit Monaten läuft und detailliert geplant wurde, wie interne Dokumente belegen.
Eigentlich sollten die Verhandlungen über TTIP in diesem Jahr abgeschlossen werden. Doch es gibt massive Proteste aus der Bevölkerung, vermutlich wird das Abkommen erst später kommen, falls überhaupt. In Deutschland will Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel den Vertrag notfalls gegen den Willen der SPD-Basis durchsetzen. Ein Parteikonvent hat zwar beschlossen, dass die umstrittenen privaten Schiedsgerichte „in jedem Fall abzulehnen“ seien. Gabriel hat aber schon deutlich gemacht, dass er dem Abkommen auch inklusive der Schiedsgerichte zustimmen würde.
Die Medien im Griff behalten
Den TTIP-Kritikern hatte er im Mai vorgeworfen, sie hätten „gegen etwas unterschrieben, was es noch gar nicht gibt“. Auf gut Deutsch: Der Vertrag soll erst zwischen den Staaten verhandelt und dann in der Gesellschaft diskutiert werden. Wenn alles zu spät ist. Wie abwegig Gabriels Kritik ist, zeigt sich besonders deutlich darin, dass die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten seit Monaten selbst Werbung machen für das Freihandelsabkommen – also für etwas, „was es noch gar nicht gibt“.
Am 22. November 2013 trafen sich Vertreter von EU-Kommission und Mitgliedsstaaten informell in Brüssel. Auf der Tagesordnung stand nur ein Thema: die gemeinsame PR für das Freihandelsabkommen mit den USA. Die Mitgliedsstaaten sollten ihre Bürger auf TTIP einschwören. Es gehe darum, „die Erzählung der Mainstream-Medien zu den Verhandlungen im Griff“ zu behalten, heißt es in einem internen Dokument der Kommission.
Die Strategie: die erhofften Vorteile als Tatsachen darstellen, die befürchteten Nachteile komplett ignorieren und in der Diskussion unter den Tisch fallen lassen. Die Frage nach Gut und Schlecht ist von vornherein geklärt. Die Kommission will etwa „sicherstellen, dass die breite Öffentlichkeit in allen EU-Mitgliedsstaaten ein grundlegendes Verständnis darüber hat, was TTIP ist (eine Initiative zur Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen) und was es nicht ist (ein Versuch, bestehende Regulierungen und Schutzmechanismen in Bereichen wie Gesundheit, Sicherheit und Umwelt zu unterwandern)“.
Zur Verteidigung der ökonomischen Heilsversprechen sollen Studien herangezogen werden, so sieht es der Plan aus Brüssel vor. Tatsächlich gab die EU-Kommission bei neoliberal angehauchten Forschungsinstituten gleich mehrere Untersuchungen in Auftrag. Sie alle preisen TTIP als Jobwunder und Wachstumsmotor. Studien anderer Institutionen – mit gegenteiligen Ergebnissen – sucht man auf der Internetseite der Kommission vergeblich.
Teil der PR-Strategie ist auch die systematische Beobachtung und Beeinflussung der Sozialen Netzwerke. Ein Twitter-Account wurde bereits eingerichtet. Unter dem Namen „EU_TTIP_team“ werden die Vorteile des Abkommens verbreitet, Kritik wird als Panikmache abgetan. Damit soll „eine große Gruppe von Individuen“ angesprochen werden, außerdem können EU-Mitgliedsstaaten das Gezwitscher als Material für die eigene Öffentlichkeitsarbeit verwenden.
Die PR-Kampagne für TTIP beschränkt sich aber nicht nur auf die EU. Bereits 2013 finanzierten einzelne EU-Staaten die Werbung in Übersee: Sie stellten Geld für Studien, Radiospots und Infobroschüren bereit, wie es in internen Dokumenten heißt, die dem Freitag exklusiv vorliegen. Die Botschaft: TTIP ist gut für die Menschen. Was aber TTIP genau ist, das müssen die Leute nicht wissen.
Eine Sorge der Kommission wird in den internen Dokumenten jedoch sehr deutlich. Immer wieder heißt es, jeder Vergleich von TTIP mit dem Urheberrechts-Abkommen ACTA müsse vermieden werden. ACTA war nämlich eine traumatische Erfahrung für die EU-Kommission. Auch damals wurden die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen geführt. Nur durch undichte Stellen kamen Details an die Öffentlichkeit. Der Protest gegen das Abkommen hat dann europaweit Hunderttausende Menschen auf die Straße gebracht und das Abkommen 2012 schließlich vom Tisch gefegt. Seitdem schwebt die Angst vor einem zweiten ACTA bedrohlich über dem Verhandlungstisch in Brüssel.
Transparenz? Mogelpackung!
Die Sorgen sind berechtigt. Schon mehr als 1,2 Millionen Menschen haben einen Appell gegen TTIP unterzeichnet. Eine selbstorganisierte europäische Bürgerinitiative, getragen von rund 300 Organisationen, trommelt zum Widerstand gegen das Freihandelsabkommen. Das erforderliche Quorum wurde inzwischen bereits in acht Ländern überschritten, doch die EU-Kommission weigert sich, die Bürgerinitiative offiziell anzuerkennen, und wird sich demnächst vor dem Europäischen Gerichtshof erklären müssen. In einem EU-Dokument vom Oktober 2014 heißt es schließlich, der immense Widerstand gegen TTIP übersteige bereits die Ressourcen der PR-Abteilung. Die öffentliche Deutungshoheit über TTIP ist der Kommission längst entglitten.
Da hilft auch keine neue Transparenz-Offensive, die in Wahrheit eine Mogelpackung ist. Als die EU-Kommission mit großem Brimborium verkündete, man habe das EU-Verhandlungsmandat für TTIP veröffentlicht, stand es schon seit Monaten im Netz. Kritische NGOs hatten es geleakt. Die Entwürfe der US-Seite findet man heute ausschließlich dort – und nicht bei der Kommission. Weil die Vereinigten Staaten das so wollen, sollen nämlich lediglich Verhandlungsdokumente der EU-Seite publik gemacht werden. Doch zwischen diesen Entwürfen und denen der US-Seite können Welten liegen. Der finale Text des Abkommens dürfte wohl kaum auf den EU-Vorschlag hinauslaufen. Die Verhandlungen finden nach wie vor hinter verschlossenen Türen statt.
Gleichzeitig versucht die EU-Kommission, die umstrittenen Schiedsgerichte und den Investitionsschutz zu verharmlosen. „Im Grunde sind diese Klauseln in internationalen Abkommen nichts Neues“, schreibt etwa die Handelskommissarin Cecilia Malmström in einem Gastbeitrag für die FAZ. In internen Dokumenten der Kommission wird TTIP allerdings ganz anders dargestellt: „Es geht um weit mehr als ein weiteres Freihandelsabkommen – allein schon wegen seiner Ausmaße. Es ist größer, bedeutender und potenziell auch tiefgreifender.“
Ist TTIP samt Investitionsschutz-Klauseln für Konzerne erst einmal ratifiziert, lässt es sich kaum mehr kündigen. Und selbst wenn das gelingt, können sich Unternehmen noch 20 Jahre lang auf den Investorenschutz berufen, und eine Regierung vor einem privaten Schiedsgericht verklagen, wenn sie ihre Profite schmälert.
Die PR-Strategie der EU-Kommission für die Zeit nach der lang ersehnten Unterzeichnung von TTIP passt wahrscheinlich auf einen Bierdeckel: „Deal with it.“ Finde dich damit ab.
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