Mit Messer und Gabel, Holzstäbchen, oder nur mit den Händen? Das Universal Cutlery (Universelles Besteck) ist eine Variante, allen Kulturen gerecht zu werden: Essbesteck- und Holzstäbchen-Elemente können so miteinander kombiniert und aufeinander gesteckt werden, dass man je nach Kultur die Wahl hat. Design als Vermittler – das ist der Ansatz, den die Deutsche Kathi Stertzig und ihr Partner, der Portugiese Álbio Nascimento, mit ihrem 2005 gegründeten Studio „The Home Project“ verfolgen.
Um die beiden Designer zu treffen, muss man an die Algarve fahren, ins Companhia das Culturas. Es ist eine Künstlerresidenz in Castro Marim, einem Ort in der Nähe der spanischen Grenze, eine knappe Stunde von Faro entfernt. Hier werden die beiden im Sommer ein Korkprojekt mit lokalen Handwerkern starten. Nascimento, mit schwarzem Haar und Dreitagebart, stammt aus Faro, hat in Mailand studiert und mit Stertzig in Antwerpen und Berlin schon häufig gemeinsam mit traditionellen Kunsthandwerkern gearbeitet.
Und so funktioniert ihre Idee: Vor dem Designprozess sammeln sie Informationen über das jeweilige kulturelle Umfeld. Sie erkundigen sich nach Material, Traditionen und Ressourcen, überlegen wie man sie fördern und kreativ umsetzen könnte. Dann tauschen verschiedene Akteure – Forscher, Designer, Hersteller und Käufer – ihre Kenntnisse aus. „So wollen wir Menschen zusammenbringen und deren Kulturgut bewahren”, erklärt die 35-jährige Stertzig. Der Name ihres Büros „responsible design innovation“ steht für Verantwortung, Nachhaltigkeit und Innovation. Den beiden gehe es nicht nur ums Produkt, sie verfolgten damit auch die Vision, Talente zu fördern und sie strategisch zu beraten.
Nachhaltige Salzstreuer
TASA, eines ihrer jüngsten Projekte in Portugal, steht exemplarisch für diesen Ansatz: „técnicas ancestrais, soluções actuais“ (uralte Techniken, heutige Lösungen). Um Macharten, Materialien und Marktchancen zu identifizieren, haben die Designer mit einem großen Team zusammengearbeitet. Potenzielle Kunden informierten sie über Verkaufsberichte oder Produktwünsche, Stärken und Schwächen der regionalen Kunsthandwerker. „Das war sehr hilfreich“, sagt Nascimento.
Auf der Basis dieser Erfahrungen konnten sie mit regionalen Handwerksbetrieben neue Produkte, wie Salzstreuer für die lokale Spezialität „Flor de Sal“ oder Korklampen, für ein Café vor Ort schaffen. Das Prinzip, Produkte lokal herzustellen, öffnet den regionalen Kunsthandwerkern eine neue Marktperspektive. Dass deren Traditionen in einem globalisierten Design weiterleben, hat auch die regionale Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Algarve beeindruckt, sie hat die Designer engagiert. Mit dieser Arbeit haben sie Geld verdient, aber das war nicht immer so, erzählt Stertzig. „Am Anfang war alles selbst initiiert, das Geld war knapp – dann wurde eine Woche spartanisch gegessen.“
Stertzig hat wie Nascimento in der ersten Zeit nebenher an der Universität gearbeitet. Seit dem vergangenen Geschäftsjahr trägt sich das „Home Project“ selbst, dank der wachsenden Nachfrage von Partnern, die vor allem aus Portugal kommen. „Die Krise bringt viele dazu, ihre Geschäfte zu überdenken“, erklärt Nascimento, „das passt genau zu unserem Konzept.“
USB-Lautsprecher aus Kork
In Deutschland werde Design häufig mit Aufträgen für die Industrie assoziiert. Dass es sozial etwas bewirken könne, sei schwer zu vermitteln, sagt Stertzig. Sie haben das vor drei Jahren in Berlin mit dem Workshop „Wrangelkiez on-site“ versucht: Was würde passieren, wenn man ein Viertel mit zehn Straßen und 12.000 Einwohnern einzäunte? Was könnten die Anwohner produzieren? Sie erkundeten lokale Produzenten, Konsumenten, Räume. Und sie brachten Nachbarn, Passanten und Geschäftsleute zu Diskussionen zusammen.
So entstanden Produktionsideen. Nähmaschinen waren in der Schule beispielsweise nur halbtags in Verwendung. Warum sie nicht auch die andere Hälfte des Tages nutzen? Man könnte mit ihnen spezielle Verpackungen mit Kiezbildern herstellen – vielleicht für lokal produzierte Marmelade? Das Projekt scheiterte schließlich aber an mangelnder Finanzierung.
Heute reichen die Waren von Stertzig und Nascimento von Containern aus recycelten Weinflaschen, die man als Insektenschutz nehmen kann, über schwarze Keramik-Tee-Sets bis zu Korkutensilien. In USB-Lautsprechern verhindert der Kork etwa die natürliche Vibration. Oder er wird für Obstschalen verwendet, die Früchte besonders frisch halten. Die zwei Kreativen kämpfen weiter darum, dass ihre Arbeit sich rentiert. Wie erfolgreich ihr Design nach dem Prinzip „global Denken, lokal Handeln“ wird, bestimmt am Ende dann doch die Nachfrage.
Social Design, eine noch junge Architektur- und Designform, widmet sich vor allem den Bedürfnissen der Menschen der potenziellen Nutzer und will sie in den Entstehungsprozess miteinbeziehen. Kathi Stertzig und Álbio Nascimento verwenden das Etikett Social Design jedoch für ihr Home Project nur ungern. Es sei schon zu oft für Social Washing, dem Vortäuschen vermeintlichen sozialen Engagements, missbraucht worden: Firmen geben sich nach außen ein humanes Image, halten sich im eigenen Unternehmen aber nicht daran. Unter anderem wurde dem Lebensmittel-Discounter Lidl Social Washing vorgeworfen.
Von der Wirkung verantwortungsvollen Produzierens sind Stertzig und Nascimento überzeugt. Wir können mit unserer Arbeit wirklich etwas verändern, sagt Nascimento. Da müssen wir aber doch nicht extra noch betonen, dass es auch sozial ist. Ungeachtet dessen differenziert sich der Begriff Social Design immer weiter aus und wird für immer mehr Projekte benutzt. Für ihr Büro fand das Designpaar nach langer Suche schließlich die Definition responsible design innovation. kafi
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