Es gab Momente im vergangenen September, da vergaß ich für einen Augenblick, dass es die Kohlekommission gab. An jenen Tagen im Hambacher Wald, als ein Baumhaus nach dem anderen geräumt wurde. Als die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen versuchte, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu räumen, ohne Rücksicht auf Verluste und den sozialen Frieden meiner Region. Tage, an denen traumatisierte Aktivisten getröstet werden mussten und die Frage der Wasserversorgung uns große Sorgen machte. „Hast du schon gehört, was die Kohlekommission heute…“, rief mir jemand im Vorbeigehen zu. „Die Kohlekommission, die gibt es noch?“, wunderte ich mich. Wie konnte die weitertagen, während der Konzern RWE darauf bestand, einen uralten Wald abzuholzen, nur um mit der Braunkohle darunter die Klimakrise weiter anzufeuern? Wie konnte Klimaschutz im Jahre 2019 überhaupt noch etwas sein, das verhandelt werden musste?
Jeder Schritt durch den Wald raschelte während dieser Tage. Wegen der anhaltenden Hitze und Dürre hatten die Stieleichen und Hainbuchen bereits im August begonnen, ihre Blätter zu verlieren. Die globalen Auswirkungen der Braunkohleverfeuerung, sie waren in diesem Sommer direkt an der Grenze zum Tagebau spürbar. In ganz Mitteleuropa ächzten die Ökosysteme, der Rhein führte monatelang Niedrigwasser und in Brandenburg flammten die Kiefernwälder auf.
2018 war das Jahr, indem auch wir in Deutschland wahrnahmen: Jetzt leben wir in einer Welt, ein Grad wärmer als sie unsere Uhrgroßeltern kannten. Ein Grad, das hört sich nicht nach viel an. Nach kaum spürbar. Aber das globale Klimasystem funktioniert anders als das tägliche Wetter. Global entscheiden wenige Grad mehr oder weniger der mittleren Temperatur unserer Atmosphäre über Eis- oder Warmzeiten. Darüber, ob sich von der Arktis aus Gletscher bis Berlin erstrecken oder ob der Meeresspiegel die pazifischen Inseln und die Megastädte der Küsten überflutet.
Das sechste große Artensterben
Ein Grad Erwärmung in einem Jahrhundert, das ist ein Schock für unsere Ökosystem. Weltweit geraten sie unter Druck und beginnen zu kollabieren. Die Menschheit, sie ist der Verursacher des sechsten großen Artensterbens der Erdgeschichte geworden. Wir haben die Wucht einer sich immer schneller aufheizenden Erdatmosphäre entfesselt. Keine Woche vergeht mehr, ohne dass uns neue Nachrichten über Wetterextreme erreichen. In den Ländern des globalen Südens verlieren bereits Millionen Menschen ihre Existenzgrundlage, müssen um schwindendes fruchtbares Land und Trinkwasser kämpfen, sind gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen.
Wir verwenden deshalb nicht länger den zarten Begriff Klimawandel. Wir befinden uns in einer Krise: Der Klimakrise. Die bisherigen sichtbaren Auswirkungen sind nur ein kleiner Vorgeschmack dessen was uns erwartet, wenn wir weiter ungebremst Treibhausgase emittieren. Wir rasen auf eine Welt vier bis sechs Grad heißer zu, noch in diesem Jahrhundert. Die Auswirkungen unserer Handlungen reihen sich ein zwischen großen Meteoriten oder Supervulkanen. Der einzige Unterschied: Ein Meteorit kann den Kurs nicht ändern. Wir schon. Wir müssen nur wollen.
Vor 30 Jahren hätten wir noch eine gute Chance gehabt, die Klimakrise aufzuhalten. Die letzte Chance ist genau jetzt und wir sind dabei sie leichtfertig zu verspielen. Denn schon bald werden wir die 1,5-Grad-Grenze nicht mehr halten können (wenn überhaupt noch). Positive Rückkopplungseffekte wie das Auftauen der Permafrostböden oder das Schmelzen der kontinentalen Eisschilde (z.B. auf Grönland) beginnt bereits und werden die Erdatmosphäre weiter aufheizen – egal, was die Menschheit dann noch tut.
Deshalb blockieren wir
Umweltverbände bedienen sich gerne der „Fünf-vor-zwölf“-Rhetorik, versuchen „Katastrophismus“ zu vermeiden und eine positive „Wir-können-es-noch-schaffen“-Stimmung aufrecht zu erhalten. Die Wahrheit ist aber, es ist bereits fünf nach zwölf. Wir müssen jetzt handeln, alle Bereiche unseres Lebens und Wirtschaftens grundlegend transformieren und unsere Emissionen massiv senken – laut dem UN-Weltklimarat (IPCC): 50 Prozent innerhalb des nächsten Jahrzehnts. Ich habe schon lange keine Lust mehr so zu tun, als könnten wir dies mit ein wenig mehr Ökostrom und ein bisschen weniger Auto fahren schaffen. Deshalb blockiere wir Tagebaue und Kohlekraftwerke. Mit zivilem Ungehorsam legt das Klimabündnis Ende Gelände still, was schon längst hätte abgeschaltet werden müssen.
Ein radikaler Ausstieg aus der Kohle wäre tatsächlich eine lebenserhaltende Sofortmaßnahme für den Klimaschutz. Und die Braunkohle in Deutschland ist im Vergleich zu den Sektoren Verkehr und Wärme ein Weg, sofort weniger Treibhausgase auszustoßen. Die schwachen Ergebnisse der Kohlekommission sind auch deshalb so desaströs. Jede Tonne CO2, die hier nicht reduziert wird, ist verschenktes Potenzial und ein Sargnagel für unsere Zukunft. Die „Research Group CoalExit“ der TU Berlin hat sich die Ergebnisse der Kohlekommission genauer angesehen und ausgerechnet: Alleine die Zwei-Grad-Grenze wird um mehr als eine Milliarde Tonne CO2 verfehlt und bis 2030 werden wenig mehr Kraftwerke als die stillgelegt, die aufgrund ihres Alters nicht sowieso abgeschaltet werden würden.
Die Kohlekommission, sie war von Anfang an ein vergiftetes Angebot. Hinter verschlossenen Türen mit den Vertretern der Kohlekonzerne und ohne die Stimmen des globalen Südens über Klimaschutz zu verhandeln, dies hatte von Beginn an keine Erfolgsaussicht. Solch runde Tische mit der Industrie konnten in der Vergangenheit bereits wenig bewirken. Und schlechte Ergebnisse, mit dem Segen der Umweltverbände, haben das Potenzial, Bewegungen zu spalten und zu demobilisieren. Eine fatale Entwicklung angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise.
Proteste am 23. März
Die drei Gigawatt Braunkohle, die bis 2022 im Rheinland zusätzlich reduziert werden sollen, könnten eine Grundlage sein, um wenigstens den Hambacher Wald und die Dörfer bei Garzweiler zu retten. Aber weder RWE noch die Landesregierung haben dies bisher zugesichert. Viele betroffene Anwohner fühlen sich von der Kohlekommission im Stich gelassen. Ein neues Bündnis „Alle Dörfer Bleiben“ hat sich gegründet und plant für den 23. März Proteste – gemeinsam mit der Klimabewegung. Unser Widerstand gegen die Tagebaue wird weitergehen und auch die Besetzung des Hambacher Waldes bleibt stabil, den beständigen Räumungsdrohungen der Landesregierung trotzend.
Eine Beruhigungspille für die Bewegung, so sind die drei Gigawatt und die Formulierung „wünschenswert“ den Wald betreffend, zu verstehen. Der große Druck, den die Bewegung im Herbst schuf, machte diese Formulierung erst möglich. Nur eine starke und große Bewegung wird es schaffen, radikalen Klimaschutz durchzusetzen. Dabei werden wir uns warm anziehen müssen: Das neue Polizeigesetz in NRW wurde unter anderem als Antwort auf die Proteste für den Hambacher Wald geschaffen. In Cottbus sitzen aktuell Klimaaktivisten von Ende Gelände weiter in Untersuchungshaft, die enttäuscht von den Ergebnissen der Kohlekommission einen Kohlebagger in der Lausitz besetzen hatten. Drohende zwei Monate Untersuchungshaft wegen „Hausfriedensbruch“ ist an Unverhältnismäßigkeit schwer zu überbieten.
Unsere Bewegung für Klimagerechtigkeit, die einfordert, dass wir Menschen im globalen Norden unserer Verantwortung nachkommen und Schluss machen mit der fossilen Industrie und die das Bestehende in Frage stellt, hat wahrlich starke Gegner. Gegner, die versuchen unsere vielfältige Zivilgesellschaft einzuschüchtern und nicht davor zurückschrecken, Schüler mit Repressionen zu drohen, wenn sie für Klimaschutz in Streik treten.
Aufhalten und einschüchtern werden sie aber weder die Schüler noch die Aktivisten von Ende Gelände. Die Klimakrise ist für uns kein Zukunftsszenario mehr. Sie ist grausame Realität und wir wissen: Es wird niemand kommen, um uns zu retten. Wir können uns auf Niemanden mehr verlassen, auf keine Regierungen und schon gar nicht auf solche Kohlekommissionen. Es ist die Aufgabe unserer Generation geworden die Klimakrise aufzuhalten, das Zeitalter der fossilen Brennstoffe zu beenden und eine anderen, eine solidarische Weltgemeinschaft zu erschaffen. Klimaschutz ist für uns einfach nicht verhandelbar.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.