In Wiepersdorf bellen die Vögel, wiehern die Hunde und zwitschern die Pferde. Die Allianz der Tiere macht, dass man sie immer gleichzeitig sieht und erst ordnen muss, welcher Ton von wem kommt. Jetzt ist es Frühling, und es ist schön hier. Abgeschieden von der Welt, bekommt man ein Gefühl für sie, das vorher so nicht herstellbar war: Noch nie zuvor habe ich so lange Zeit mit Künstlern verschiedenster Nationalität und unterschiedlicher Sparten auf solch engem Raum verbracht. Vier Monate sollen es werden, und was man in dieser Zeit wahr- und auf- und mitnimmt, wird erst die Zukunft unter Beweis stellen. Eine Zukunft, die es für das Schloss Wiepersdorf als Aufenthalts- und Begegnungsstätte von Künstlern aber gar nicht geben soll: Die Stiftung Kulturfonds, Trägerin dieser Einrichtung befindet sich in Liqiudation und ein neuer Träger ist nicht in Sicht. Sagen die Getragenen. Die Zukunft des Hauses sei "einhundertprozentig" gesichert, meinte hingegen der Brandenburger Bildungs(!)minister Steffen Reiche letzte Woche. Das überrascht die Getragenen, denn davon hörten sie zum ersten Mal, und nähere Erläuterungen dazu machte Reiche nicht.
Die "Stiftung Kulturfonds" ist als Rechtsnachfolgerin des Kulturfonds der DDR angetreten, SED-Gelder einem guten Zweck zuzuführen. Ursprünglich waren das 184 Millionen Mark der DDR, also 92 Millionen DM, umgerechnet ungefähr 46 Millionen Euro. Als sei die virtuelle Vermögensschrumpfung aber noch nicht genug, stieg zunächst Sachsen zum Ende des Jahres 1997 aus der Stiftung aus und nahm seinen Kapitalanteil von 15 Millionen Euro mit. Dem schlossen sich nun Sachsen-Anhalt und Thüringen zum Ende 2004 an, und der Stiftung blieb nichts anderes übrig, als sich in Liquidation zu begeben. Wegen der Solvenz!, man höre und staune, denn wieder sind 16 Millionen Euro futsch, die die beiden Länder mitnehmen. Sie wollen mit dem nicht von ihnen in die Solidargemeinschaft eingebrachten Geld eigene Kulturstiftungen auf die Beine stellen. Der mit Kulturstaatsministerin Christina Weiss entwickelte Plan, die beiden Künstlerhäuser ab 2005 in die Obhut der gemeinsamen Bund-Länder-Kulturstiftung zu übergeben, ging im Dezember 2003 unter, weil Bayern die Verschmelzung der Kulturstiftung des Bundes mit der der Länder hintertrieb. In der halbinformierten Öffentlichkeit sieht sich Brandenburg mit dem Schuldvorwurf konfrontiert, weil das Schloss auf brandenburgischem Boden steht. Aber dieses Land ist nun gerade nicht ausgetreten und mit der Buhmann-Rolle falsch bedient.
Es ist mit der Stiftung Kulturfonds wie mit vielen mehr oder weniger vergleichbaren Einrichtungen des "Ostens": Nur das Fußvolk ist von hier. Die Chefin und ihre Stellvertreterin kommen aus dem "Westen". Das ist so wenig schlimm wie es, andersherum, gut wäre. Aber wie die Lorenzschen Graugänschen sind sie geprägt von den (Lebens- und Lese-)Erfahrungen ihrer frühen West-Zeiten. Deshalb, denke ich, merken sie gar nicht, dass sie für die derzeit angereisten Autoren aus der ostdeutschen Provinz, aus Sachsen und Sachsen-Anhalt, keine Lesung angesetzt haben, während die ausländischen und die West-Autoren, aber auch die Künstler alle durch die Bank ihre Chance bekamen, sich einer interessierten Öffentlichkeit vorzustellen. Da ist Doris Mandel, die mit hervorragenden Nachdichtungen der chorsinfonischen Werke von Mikis Theodorakis auf sich aufmerksam gemacht hat, von Odysseas Elytis und Tasos Livadhitis zum Beispiel, und die heute einen eigenen kleinen Verlag in Halle an der Saale betreibt. Da ist Làszló Csiba, ein respektabler Hallenser Lyriker, immerhin Chamisso-Förderpreisträger, und da ist Paula Schneider, eine noch sehr junge Autorin und Absolventin des Leipziger Literaturinstituts. Woran liegt es, dass sie nicht wahrgenommen werden? Auch hier nicht, wo sie sich als Gleiche unter Gleichen fühlen sollten? Die Frage muss gestattet sein, denn "Zweck der Stiftung ist die Förderung zeitgenössischer Kunst und Kultur, insbesondere der Künstlerinnen und Künstler im Zuständigkeitsbereich der Vertragsparteien", wie es in der Satzung heißt.
Sei es, wie es sei: Die Vögel bellen, die Hunde wiehern, und das Zwitschern der Pferde soll über Landesgrenzen hinaus hörbar bleiben. So schön ist es hier, dass ich Angst habe, nach Hause zu kommen und mich nach Wiepersdorf sehnen zu müssen wie nach dem Paradies, das mir durch den eigenen Sündenfall abhanden kam. Der könnte darin bestehen, nicht genug getan zu haben für den Erhalt der Einrichtung, und das will ich nicht auf mir sitzen lassen ...
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