An jenem Tag klingelte eine fremde Frau an meiner Tür, um mir mitzuteilen, dass sie und mein Freund seit zwei Jahren ein Paar sind. Es ist vier Jahre her. Ich erinnere mich an jedes Detail. Ich lebte mit meinem Freund in einer Wohnung in Berlin-Mitte. An diesem Tag war ich allein. Mein Freund war verreist. Es war ein kühler, trockener Frühlingstag. Ich trug Stiefel, eine Tweedjacke und kam von einem Treffen mit meiner Tochter nach Hause. Ich war verwundert, als die fremde Frau ihren Namen an der Sprechanlage nannte, den ich bis heute nicht aussprechen kann, ohne dass ich dieses Gefühl der Ohnmacht wieder spüre, das mich während unserer Begegnung lähmte. Ich öffnete ihr. Sie war hübsch. Langes, lockiges Haar fiel ihr über die Schultern. Sie trug einen schwarzen Mantel, dessen Gürtel sie lässig löste, nachdem sie eingetreten war.
Später genügten ein, zwei Fragen an ihn, um zu begreifen, dass die Frau nicht gelogen hatte. Mir war sofort klar, dass wir auseinander gehen müssen. Aber er wollte das nicht und versprach mir, die Geschichte mit der Anderen zu beenden. Ich spürte, wie er mit sich kämpft. Er wirkte verzweifelt. Er sagte, er liebe uns beide. Ich glaubte ihm nicht.
Wir bewegten uns auf einmal in einer seltsamen Grauzone, in der nichts richtig und nichts falsch schien. Ich fand mich darin nicht zurecht. Wie kann man ein so intensives Gefühl für zwei Menschen gleichzeitig empfinden? Freunde sagten mir damals, es sei möglich und normal. Sie hätten das selbst erlebt. Monogames Verhalten sei anerzogen, eine Frage der Kultur. Ich wollte die Eifersucht nicht, aber sie war da. Ich wollte keine Frau sein, die ihrem Mann hinterher spioniert. Wir waren nicht verheiratet. Unsere Wege hätten sich sofort trennen können. Aber wir konnten einander nicht loslassen. Mein Freund wollte sich nicht völlig zu ihr bekennen. Und er wollte mich nicht verlieren.
Bisher war diese Dreiecksbeziehung einfach für ihn gewesen. Er hatte in zwei Städten gelebt und gearbeitet. Er hatte zwei Leben geführt. Ich war die Einzige, die nichts gewusst hatte. Warum war ich nicht so souverän wie Jules in François Truffauts Film Jules und Jim aus dem Jahr 1962? Anfangs möchte Jules Jim aus Eifersucht am liebsten töten. Später, als Jim begreift, dass er seine Frau nicht vollkommen glücklich machen kann und Angst davor hat, dass sie ihn verlassen wird, bittet er seinen Freund Jim: „Liebe sie!“
Was war geschehen? Wieso hatte ich nicht damit gerechnet, dass so etwas passieren könnte? War er überhaupt der Mann, den ich jahrelang geliebt hatte? Und wer war ich? Ich war hin- und her gerissen zwischen verschiedenen Identitäten. Die Frau, die es ideal fand, gemeinsam durch diese Krise zu gehen, dachte und fühlte komplett anders als die Frau, die sich trennen wollte und auf Wohnungssuche ging. Ich war diese beiden Frauen.
Wenn ich meinen Freund in der anderen Stadt besuchte, war sie immer da, nicht körperlich, aber ich spürte ihre Anwesenheit. Sie war durch diese Räume gegangen, hatte in diesem Bett geschlafen. Sie hatte bei ihm geduscht und gegessen. Sie hatten miteinander geredet, auch über mich. Ich fürchtete sie als die Fremde, Unbekannte. Ich fürchtete die Rivalin in mir selbst, die mich verurteilte, weil ich meinem Freund nicht alles geben konnte, was er brauchte, weil ich nicht sie sein konnte.
Die andere Frau
In Jules und Jim weiß Jules genau, wer er nicht ist, was Catherine fehlt: Die Eleganz und Wildheit des draufgängerischen Frauenschwarms Jim. Doch Jules scheint aus anderen Quellen ausreichend Selbstwertgefühl zu ziehen, aus seiner Arbeit zum Beispiel, aus seiner Empathie. Auch ich hatte mich eigentlich für empathisch gehalten. Bis diese andere Frau auftauchte. Wusste Jules, dass Helen ihn nie verlassen würde? Genügte ihm diese Gewissheit?
Dieser Jules hat wirklich gelebt. Es war der Schriftsteller Franz Hessel, dessen Sohn Stéphane Hessel mit seiner Streitschrift Empört euch! weltberühmt wurde. Helen Hessel, die Frau von Franz Hessel und Mutter von Stéphane, ist Catherine aus dem Film. Henri-Pierre Roché, dessen Roman Truffaut als Filmvorlage diente, ist Jim, der Liebhaber von Helen Hessel.
Sein Vater habe seine Mutter sehr geliebt und beschützt, erzählt Stéphane Hessel, er sei „unegozentrisch“ gewesen und konnte die leidenschaftliche Liebe seiner Frau zu dem gemeinsamen Freund befürworten. Er habe gesehen, dass Helen ihn brauchte. Seine Mutter habe immer beide Männer verstanden. Die leidenschaftliche Liebe zu Roché habe die starke Beziehung zu ihrem Mann nicht zerstört.
Es gab ähnliche Konstellationen im Leben von Simone de Beauvoir, oder in der Welt der Schriftstellerin und Feministin Benoîte Groult (Salz auf unserer Haut). Wie lebten diese Menschen? Was gab ihnen die Souveränität, so miteinander umzugehen, scheinbar frei von Angst?
Funktionieren solche Modelle nur in besonderen Milieus? Helen Hessel wohnte mit ihren beiden Kindern in Paris, ihr Mann Franz in Berlin. Helen Hessel und Henri-Pierre Roché gehörten zur künstlerischen Avantgarde und begegneten Marcel Duchamp, Man Ray, Max Ernst und Pablo Picasso. Die Familie war frei von dem Druck ökonomischer Abhängigkeiten, die Verlustängste und Aggressionen verstärken. Aber offensichtlich besaßen sie auch Mut zur Selbstreflexion. Sie begegneten dem anderen, dem Gefährlichen, ohne Furcht. Ich war zwar auch niemals finanziell von meinem Freund abhängig, aber ich ahnte, dass das Leben allein sehr viel härter werden würde. Ich hatte Angst vor diesem „reduzierten“, dem Leben ohne ihn.
Dreiecksbeziehungen waren immer Stoff fürs Kino, und sie beschäftigen Filmemacher noch heute. Obwohl ich Drei, den Film des Regisseurs Tom Tykwer, sehr mag, weil er über eine moderne Version der Ménage à trois hinausgeht – finde ich mich in keiner dieser Personen wieder. Er ist eine schöne Utopie, eine Idee davon, wie wir miteinander umgehen könnten. Auch dort bewegen sich die Protagonisten in einem privilegierten Milieu. Jeder hat einen Liebhaber. Das ist gerecht.
In meiner Geschichte empfand ich mich als Verliererin. Ich beneidete meinen Freund, der scheinbar alles hatte: Gute Jobs, genügend Geld und eine Affäre. Für mich stand viel auf dem Spiel: Gemeinsame Radtouren, Zärtlichkeiten, Anrufe, das Miteinandersein.
Der Vertrauensbruch blieb
Eines Abends hatte ich beschlossen, wenn mein Freund nach Hause zurückkommen würde, nicht mehr da zu sein. Eine Freundin hatte mir vorübergehend ihr Sofa angeboten. An diesem Abend war ich ins Yogastudio gegangen. Als ich herauskam, war es dunkel und stürmte. Ich machte mir Sorgen um meinen Freund, der gerade im Flugzeug saß. Vielleicht würde er wegen des Unwetters nicht landen können. Auf der Straße las ich seine Nachricht: ‚Komme gegen neun‘.
Ich rief ihn an, kaufte schnell etwas zu essen. In dieser Nacht schworen wir, uns niemals im Stich zu lassen, sondern füreinander da zu sein, wo auch immer wir gerade sind, mit wem auch immer. Ich beschloss, dass das, was wir miteinander erleben, uns allein gehört. Aber der Vertrauensbruch blieb. Wir haben es trotzdem noch eine Weile zusammen versucht.
Ich schaue mir Paare jetzt genauer an. Ich bin umgeben von lauter angestrebten, vermuteten und gelebten Dreiecksbeziehungen. Sie scheinen normal zu sein. Für mich sind sie es nicht.
Jules, Jim und Catherine haben von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Jeder hatte die Möglichkeit, sich zu entscheiden. Diese Chance hätte ich gerne gehabt. Ich weiß nicht, wie ich mich dann verhalten hätte. So blieb mir nur, zu gehen.
Kathrin Schrader bloggt über Alltags- und Beziehungsthemen auf .kathrinschrader.de
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