Story telling ist mal wieder in Mode. Vor allem bei jüngeren Künstlern und Künstlerinnen. Egal, wo sie öffentlich auftreten, fast immer plaudern sie aus ihrem Leben, und fast immer spielt die Sozialisation durch Popmusik dabei eine wichtige Rolle. In die Zeit vor den Beatles reicht die Erinnerung dabei allerdings so gut wie nie zurück. Und nun kommt Maren Kroymann mit einem Liederprogramm (arrangiert von Jo Roloff und begleitet von seiner Band), das sie "Gebrauchte Lieder" nennt. Es besteht aus Songs vor allem der sechziger Jahre, die die Schauspielerin - oder wie man nach diesem Liederabend künftig mit Fug und Recht wird sagen müssen: "die Schauspielerin und Sängerin" - in ihrem Leben "sehr gebraucht" hat. Vor allem in der Kindheit und Pubertät. Lieder, von denen sich lernen ließ, wie das geht, mit dem Sex und der Liebe. Und wer kommt da als Ur-Idol der Teenager-Menschheit des 20. Jahrhunderts überhaupt nur in Frage? Der King of Rock'n' Roll natürlich: Elvis Presley. Der hat immerhin auch schon dem noch amtierenden US-Präsidenten zum Wahlsieg verholfen: Als bei Wahlumfragen 1992 die Prognosen für Bill Clinton nicht besonders gut standen, setzte er sich eine dunkle Sonnenbrille auf, blies in einer TV-Show "Heartbreak Hotel" auf seinem Saxophon und gewann 1993 gegen Bush. Und Madonna feierte am Tag, als Elvis starb, ihren 19. Geburtstag.
Frau Kroymann befindet sich also in guter Gesellschaft, was die Verknüpfung ihrer Biografie mit Elvis angeht. Einschränkend weist sie jedoch darauf hin, dass es der frühe Elvis sei, der es ihr angetan hat. Elvis also, bevor er König wurde und die minderjährige Priscilla in Graceland zu seinem Geschöpf machte, der "Poor Boy"-Elvis - ein unschuldiger Junge, der Mama und Papa liebt und zugibt, dass er aus Liebeskummer weint. Man erinnert sich an den androgynen Elvis ("the pelvis"), der nicht nur die Mädchen und Frauen fast um den Verstand brachte, sondern auch die Männer, weil er so wenig dem entsprach, was man sich unter einem "richtigen Mann" vorstellte. Das kennzeichne ihn als Avantgardisten, behauptet Maren Kroymann. Aber vor allem erbringt sie den lebenden Beweis, indem sie selbst in Cowboystiefeln und mit Cowboyhut auf der Bühne stehend Elvis-Lieder singt. Das ist interessanterweise nicht die Art von Travestie, wie man sie etwa von Georgette Dee und anderen Diven kennt, die viel "weiblicher" wirken als jede echte Frau, wenn sie in Frauenkleider schlüpfen und beispielsweise Edith Piaf singen.
Maren Kroymann spielt auf der Bühne keinen Mann, vielmehr identifiziert sie sich mit dem, was man als das Weibliche in Elvis' Gesang bezeichnen könnte. Oder genauer gesagt, mit dem Mädchen, das, ohne es zu wissen, eine Frau wie Elvis sein wollte. Elvis the Queen sozusagen. Oder Elvis als männliche "Treet me nice"-Domina. Klingt vielleicht kompliziert, ist aber auf der Bühne als eine sehr charmante Form der Geschlechter-Parodie anzuschauen und bietet dem männlichen wie weiblichen Publikum ungeahnt vielfältige, hetero- wie homosexuelle Identifikationsmöglichkeiten.
Oder, anderes Beispiel, Hank Williams - "Take these chains from my heart" -, den vor Selbstmitleid triefenden Melancholiker-Säufer. 40 Jahre später seien sie auch hierzulande zum Leitbild geworden, die traurigen, die heulenden Männer. Selbstmitleid als etwas Negatives zu betrachten und vorzugsweise den Ostdeutschen als unzeitgemäße Haltung vorzuwerfen, beruhe auf einem großen Missverständnis. Selbstmitleid müsse vielmehr als Ausdruck einer sehr vitalen Lebensenergie gesehen werden. Zum Beweis führt Maren Kroymann das Schluchzen in der (Kopf-) Stimme der Country- und Western-Sänger vor: "I've got the Lovesick-Blues", was auf deutsch, wenn ich mich nicht irre, als "Ich will 'nen Cowboy als Mann" zum Hit wurde.
Nach einem kleinen "Pädophilie-Block" steht Maren Kroymann im zweiten Teil ihrer Mitternachtsshow im schwarzen, bodenlangen, rückenfreien Pailettenkleid auf der Bühne, um Catharina Valente mit "Kismet" als Prä-Feministin zu outen. Seither ist vieles komplizierter geworden, auch in Sachen Liebeslyrik. Sich einem Mann einfach in bedingungsloser Hingabe mit "I need you" schmachtend an den Hals zu werden, sei nach dem Achtziger-Jahre-Bestseller Wenn Frauen zu sehr lieben schier unmöglich geworden. So richtig zu bedauern ist das nicht. Und so endet der Abend, allen Gender-Trouble der Neunziger souverän vom Tisch wischend, mit einem selbstbewussten, optimistischen "Top of the world".
Aufführungen bis zum 17.6. jeden Fr./Sa., 23.30 Uhr
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