Medien, Message, Massage

Medientagebuch Marshall McLuhan zum 90.: »Ich wünschte, keine dieser Technologien wäre je entstanden«

Die niederländischen Medienaktivisten der Agentur Bilwet haben ihn als Philosophen des Einzeilers bezeichnet. Nicht zu unrecht, denn aus seinem Werk, das von seiner ersten Publikation, The Mechanical Bride (1951), bis zu seinem Tod 1980 rund zwanzig Bücher umfasst, gelangte ein Slogan derart zu Berühmtheit, dass er bis heute nicht selten jeder weiteren, eingehenden Auseinandersetzung mit diesem wilden Denker im Wege steht: »The medium is the message.« Die Texte des Kanadiers Marshall McLuhan, Vater der zeitgenössischen Medientheorie, strotzen vor markanten Sätzen dieser Art, doch keiner besaß auch nur annähernd dieselbe Durchschlagskraft: »Am Anfang war Montage.« »Im Zeitalter der Elektrizität wird die ganze Menschheit zu unserer eigenen Haut.« »Die neue elektronische Interdependenz formt die Welt zu einem globalen Dorf um.«

Das Medium ist die Botschaft - das klingt heute so selbstverständlich, dass man vielleicht schon wieder daran erinnern kann, was damit gemeint war. Marshall McLuhan hat andererseits nie bestritten, dass Medien Information verbreiten - nur dass diese den Mediennutzer sozusagen ablenkt, während das Medium seine ureigenste Wirkung am menschlichen Wahrnehmungsapparat und Zentralnervensystem verrichtet. Zu verstehen, welche Dramen sich an der Schnittstelle Mensch/Maschine abspielen, darum ging es McLuhan. Medien definierte er aus einer ökologischen Perspektive als »extension of man«, als Ausweitungen des Körpers, Technologien, Werkzeuge, die die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen vergrößern und beschleunigen. Sie schaffen ein verändertes »environment«, eine neue Umwelt, die im Gegenzug auf den Körper zurückwirkt und diesen umformt. Die dabei auftretenden Schockwirkungen auf das psychosoziale Gleichgewicht des Gesellschaftskörpers wollte McLuhan verhindern helfen. Künstler hatten für ihn in dieser Hinsicht die Aufgabe eines Frühwarnsystems, weil sie in der Lage sind, ein altes Medium an eine neue technologische Umwelt anzuschließen: James Joyce´s »stream of consciousness« nimmt sozusagen die sinnliche Erfahrung des Fernsehens im Medium des Buchdrucks vorweg und reguliert das ökologische Gleichgewicht.

Dabei war McLuhan alles andere als ein Medienfreak. Bei Erscheinen seines ersten Buches hatten die darin angestellten Überlegungen zur gesellschaftlichen Wirkung der Printmedien das aufkommende Fernsehen bereits eingeholt. Im Grunde genommen, gestand er einmal, machten ihn die neuen Technologien krank: »Ich würde eine stabile Umwelt ohne größere Veränderungen mit maßvollen, menschlichen Oberflächen bei weitem vorziehen. Ich finde Popkultur überwiegend monströs und krankmachend. Ich forsche für mein eigenes Überleben. Die Effekte der neuen Medien auf die menschliche Gesellschaft haben nie auch nur den leisesten Enthusiasmus in mir hervorgerufen. Nur wenn man den Wandel versteht, lässt sich die Last der Erfahrungen ertragen - und daher ist die einzige Erweiterung des Menschen, die ich ersehne, die des Bewusstseins. Ich wünschte, keine dieser Technologien wäre je entstanden. Sie beeindrucken mich höchstens als Katastrophen. Sie nutzen ausschließlich den unzufriedenen Menschen. Warum ist der Mensch so unglücklich, dass er meint, die Welt verändern zu müssen?« McLuhan benutzte einfach einen gedanklichen Trick, um dem eigenen Dilemma, der Antiquiertheit eines literarisch gebildeten, an Linearität gewöhnten Bewusstseins, zu entkommen: Er schrieb über alles, was ihm nicht gefiel, mit Begeisterung, in der Hoffnung, sich mit den eigenen Ideen ins Heute zu katapultieren.

Die vor allem durch das Fernsehen steigende öffentliche Beteiligung am politischen Geschehen ebenso wie an nationalen und internationalen Katastrophen war etwas, was McLuhan nicht nur positiv - im Sinne von aktiv ausgeübter Demokratie - bewertete, sondern geradezu idealisierte. Was er für die amerikanischen Studentenproteste als Reaktion auf die Fernseh-Kriegsberichterstattung aus Vietnam tatsächlich zutreffend beschrieben hat, war jedoch kein grundsätzlicher Medienwirkungsmechanismus, der irgendeinen späteren Krieg zu verhindern in der Lage gewesen wäre. Auch die weltweit via Fernsehbilder verbreiteten Segnungen der westlichen Zivilisation wie Kühlschränke und Automobile haben längst nicht zu dem von McLuhan erhofften Wohlstand für alle geführt. Dennoch lassen sich seine Texte heute wie ein sehr zeitiger Vorgriff auf Phänomene lesen, deren ganzes Ausmaß erst in den letzten Jahren unter den Vorzeichen der Globalisierung begriffen werden.

Eines der wichtigsten Medien war für McLuhan übrigens der Humor. Und so konterte er den öffentlichen Verschleiß seiner Gedanken und die immer wieder an ihm geübte Kritik, seine Thesen würden keiner wissenschaftlichen Überprüfung standhalten, mit der Verballhornung seiner eigenen Grundthese, indem er ein Buch mit dem Titel The medium is massage (1967) produzierte. Visuell gestaltet von Quentin Fiore, macht es sinnlich erfahrbar, weshalb das Buch eine Erweiterung des Auges ist. Gleichzeitig trägt es noch deutliche Spuren des Ausgangspunktes der weitverzweigten McLuhan-Galaxis: die Analyse und Interpretation von Zeitschriftenwerbung, Filmplakaten der vierziger und fünfziger Jahre und den Titelseiten der New York Times. »Auf welche Weise ist die jazzige Ragtime-Diskontinuität von Zeitungsartikeln mit anderen modernen Kunstformen verbunden? Können Sie sich etwas Effektiveres vorstellen als diesen Kubismus der Titelseite, um eine Berichterstattung von China bis Peru bei gleichzeitiger Bildschärfe zu erreichen? Dachten Sie nie, dass eine Zeitungsseite eine symbolische Landschaft ist?« Die Gleichzeitigkeit und Sprunghaftigkeit der Wahrnehmung, das Zappen durch die Kanäle, ist so gesehen also keine Erfindung des Fernsehens. Die wichtigste, bleibende Botschaft McLuhans ist seine Einsicht, dass die einzige Möglichkeit, den Medien ihre Macht zu nehmen, darin besteht, ihre Gesetze zu durchschauen. Am morgigen Samstag wäre er 90 Jahre alt geworden.

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