Zur Rechten Erich Böhmes saß der Star des Abends, Jörg Haider, ihm Aug in Aug gegenüber Ralph Giordano, zur Rechten Haiders der Medienbeauftragte der OSZE, Freimut Duve (SPD), daneben Michael Glos (CSU). Böhme war eitel genug, noch einmal darauf hinzuweisen, dass seine Sendung Talk in Berlin, eine Neuauflage von Talk im Turm, aus gegebenem Anlass nicht erst am 20. Februar, sondern zwei Wochen früher beginnt. Der Anlass ist Jörg Haider. Nachdem ARD-Christiansen vergangene Woche Haider erst ein- und dann wieder ausgeladen hatte, ließ sich der kleine Sender n-tv die Chance nicht entgehen, diese Scharte des öffentlich rechtlichen deutschen Fernsehens auszuwetzen. Böhme war sichtlich erfreut, den "derzeit umstrittensten Politiker Europas" seinen Zuschauern präsentieren zu können. Mal etwas anderes als die Leichenbittermienen deutscher Politiker zur Spendenaffäre. Ein stimmungsmäßiger Kontrapunkt sozusagen. Rund 1,2 Millionen Zuschauer haben sich die Talkshow angesehen, weniger als ein Viertel der Einschaltquote von Sabine Christiansen, die zur selben Zeit Wolfgang Schüssel zu Gast hatte.
Was wollte Böhme Jörg Haider eigentlich fragen, was mit den anderen Gästen diskutieren? Sollte er tatsächlich gedacht haben, dass einer wie Haider so naiv sein würde, sich gleich von der ersten Frage: Ob er, Haider glücklich sei, dass Schüssel unter ihm jetzt Kanzler ist, aufs Glatteis führen zu lassen? Haider überhörte die kleine Provokation souverän und stellte den Sachverhalt richtig. Er bleibe auf seinem Posten in Kärnten und bei dem Wort, das er seinen Wählern gegeben habe. Das macht ihn sympathisch, und man konnte mit ansehen, auf welche Art und Weise Haider sich die Treue seiner Anhänger zu sichern weiß. Er sollte noch häufiger in dieser Talkrunde Gelegenheit bekommen zu betonen, wie wenig machtbesessen er sei. Überhaupt hatte man zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, als wollte Böhme seinen Gast aus Österreich demontieren. Im Gegenteil: Böhmes Gestus entsprach eher einer freundlich entgegenkommenden Einladung an Haider, die Sendung zu nutzen, um sich von seiner besten Seite zu zeigen. Das gelang ihm auch deshalb mit Leichtigkeit, weil sowohl der Moderator als auch die anderen Gesprächsteilnehmer außer den immer selben, inzwischen in allen Medien wiederholten Verbalinjurien des Herrn Haider nichts gegen ihn vorzubringen hatten. Schlecht vorbereitet. Wenn schon keinen österreichischen Haider-Gegner, so hätte Böhme doch wenigstens einen kompetenten Österreichkenner in die Runde einladen sollen. Nachdem Haider ein Zitat nach dem anderen, das seine faschistische Gesinnung hätte belegen sollen, als falsch, aus dem Zusammenhang gerissen oder sonstwie nicht belegt, abgetan hatte, blieb Böhme nichts anderes, als die Frage direkt an Haider zu richten: "Sind sie ein Neonazi, Neofaschist, ein Rechtspopulist oder der liebe Jörg?" Haiders Antwort: "Ein freiheitlicher Reformpolitiker".
Jörg Haider verkörpert den Typus eines charismatischen Führers. Selbst der altersweise Ralph Giordano erlag seinem Charme. ("Haider ist ein politischer Bösewicht, aber er hat nicht das Zeug zu einem großen politischen Bösewicht.") Kennzeichen eines charismatischen Führers ist, dass er ein Gefolge von Anhängern oder Jüngern um sich zu scharen vermag, die ihm in totaler persönlicher Hingabe ergeben sind. Die neue österreichische Vizekanzlerin soll gesagt haben, ihr einziges politisches Ziel sei, "den Jörg zum Kanzler zu machen". Ein solcher Parteiführer umgibt sich nicht mit professionellen Mitarbeitern, die nach Kompetenzkriterien ausgewählt sind, sondern mit "Personen seines Vertrauens". Macht verteilt sich nach den Sympathien des Führers. (Man denke an den französischen Sonnenkönig, dessen Kammerdiener stärker an seiner Macht partizipierten als seine Minister.) Dass Haider den Bundespräsidenten des "Hochverrats" bezichtigt hat, zeigt, auf welche Werte und Tugenden er schwört beziehungsweise die Öffentlichkeit einzuschwören versucht.
Absurderweise gelingt es Haider vor laufender Kamera, sich als Vorkämpfer für wahre Demokratie im Sinne von unmittelbarer Volksherrschaft aufzuspielen. Und empfiehlt gleich noch den deutschen Kollegen, das Plebiszit einzuführen. Aha, wirft Böhme ein, Sie wollen direkt gewählter Kanzler werden ... Haider, beruhigend: "Das wird schon noch kommen". Eine Antwort ganz im Sinne des anwesenden CSU-Mannes, der auch findet, dass man in Fragen der Aufnahme von Asylsuchenden zuerst mal das Volk fragen sollte, ob es das verkraftet. (Erinnert sich eigentlich noch jemand an die Unterschriftenkampagnen der CDU gegen den Gesetzentwurf der Regierung zur doppelten Staatsbürgerschaft?)
Haider ist ein Produkt der Mediendemokratie. In dieser Hinsicht übrigens das rechtspopulistische Pendant zu Schröder und Blair. Da kann Duve noch lange behaupten, Medienstars interessierten ihn nicht. Haiders Retourkutsche: "Ich wär' auch für Sie ein guter Berater, dann würden Sie auch noch ein Typ werden." So ein Erfolgstyp wie Haider eben, den angeblich besonders "die Frauen" mögen, diese Mischung aus Versicherungsvertreter, Dressman und Skilehrer, der die dickbäuchigen Altherren-Talker neben sich alt aussehen lässt.
Ralph Giordano muss geahnt zu haben, dass Haider diesen Auftritt im deutschen Fernsehen als Selbst-PR nutzen würde. Kurz vor Ende der Sendung verließ er plötzlich die Runde. Auf seinen freiwerdenen Stuhl setzte sich ein junger Mann, der ein T-shirt trug, auf dem unter einem Foto von Haider zu lesen stand: "Bitte jetzt zappen". Ob ihn jemand eingeladen hatte? Erich Böhme jedenfalls fühlte sich überflüssigerweise bemüßigt, klar zu stellen, dass er den Demonstranten nicht gebeten habe.
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