So etwas geschieht unter gut abgehangenen, Pop-erfahrenen, vielleicht auch schon etwas abgeklärten Erwachsenen aus der Altersklasse 30+ eher selten: Dass es schon Tage vor einem groß angekündigten Konzert zu einer derart hitzigen Grundsatzdiskussion im Freundes- und Kollegenkreis kommt – ob man hingehen soll oder nicht. Entzündet hat sich der kleine Musikliebhaber-Streit am Namen „Andreas Dorau“. Der wurde kürzlich 50 Jahre alt und lud zu zwei großen Geburtstagsgalas mit musikalischen Gästen, einmal in Hamburg, einmal in Berlin. Die einen winkten sofort ab: „Nein Danke. Mit diesem Nonsens kann ich nichts anfangen.“ Und sie erklärten, dass der Texter und Musiker Andreas Dorau ein aus der Zeit gefallener Pop-Dandy sei, ein verschrobener Scherzkeks, dessen Humor sich längst überholt habe. „Aber ja doch!“, intervenierten die anderen, „Dorau ist ein Gott, ein wort- und melodiemächtiges Genie!“, und sie schimpften: Wer Doraus Werk und Methode nicht goutiere, der müsse ziemlich träge im Gehirn sein, begriffsstutzig und von fadem Gemüt.
Scherzkeks oder Genie?
Nicht nur individuell-geschmäcklerische Vorlieben oder Abneigungen wurden da verhandelt. Nein, beim Andreas-Dorau-Pro-und -Contra geht es, wenn man genau hinhört, um eine übergeordnete, vielleicht um eine der ganz großen Fragen. Sie lautet im Kern: Wieviel „Sha-na-na“ und „La-la-la“ kann die Welt heute (noch oder wieder) vertragen? Beziehungsweise: Wäre nicht genau das – „La-la-la“ – jetzt die Rettung, stilistisch, emotional und intellektuell? Brauchen wir in einer Gegenwart, die sich in eine verbiesterte Empörungslust hineinsteigert und sich allen Ernstes etwa an einer Markus-Lanz-Verachtungs-Verachtung aufreibt, nicht dringend so viel „Dum-di-Dum“ wie möglich? Als garstiges Gegengebet zur Shitstorm-Hysterie?
33 Jahre ist es her, da trat Fred vom Jupiter in die irdische Sphäre ein, ein Besucher aus dem All, „Der Traum aller Frau’n“ – und Doraus erster und bislang größter Hit. Gerade mal 16 war er, als er den Song in einem Schulprojekt komponierte und ihn 1981 auf einem kleinen Label namens Ata Tak herausbrachte. Eine süße Melodie, ein angenehm un-virtuoser Fauenchor („Die Marinas“), ein harmlos wirkender Text. Bald spielten die Mainstream-Radios das Lied rauf und runter und feierten Fred vom Jupiter als Meilenstein der sogenannten Neuen Deutschen Welle. Bis heute ist der Song in Sendereihen zu hören, die allerschrecklichste Namen wie „Das Beste aus den Eighties und Nineties“ tragen. „Die bürgerlichen Sender“ hätten „das Kinderhafte“ daran gemocht, sagt Dorau heute. Und macht in allen Interviews aufs Neue klar, was er schon seit 33 Jahren sagt: Dass er diese Fred-Rezeption verabscheut und nichts damit zu tun haben will.
Nach einigem Kritikerlob und einer Handvoll Insiderhits – Das Telefon sagt Du (1995), Girls in Love (1996), 40 Frauen (2005) – ist jetzt sein achtes Album erschienen. Aus der Bibliothèque heißt es, und Dorau singt darauf unter anderem über die Hamburger Zentralbibliothek, in der er sich regelmäßig Bücher und CDs ausleiht, auch, weil er keine Lust hat, den Klicke-di-Klick-Befehlen des Internets zu folgen. Hühnerposten heißt der Song, was wieder etwas albern wirken mag. Tatsächlich liegt die Bücherei aber in einer Straße namens „Am Hühnerposten“. Genau das macht Doraus Text-Kunst aus: Die Absurditäten der Realität, seien sie auch noch so klein, supergenau wahrzunehmen, sie zu isolieren, heraus zu destillieren, bis da nur noch etwas Knappes, Klares, scheinbar Unkompliziertes übrig bleibt – was in seiner Reinheit aber letztlich wieder ziemlich gekünstelt wirkt, oder, um einen lupenrein pop-istischen Begriff zu verwenden: Doraus Refrains klingen sehr oft einfach sehr„sexy“.
Und manchmal wirkt es eben auch so fluffig wie ein Kinderreim: „Auf Plätzen und Straßen und in engen Gassen, da suchen heute Menschen nach leeren Flaschen“, heißt es etwa in seinem neuen potenziellen Hit Flaschenpfand, an dem der Künstler Wolfgang Müller, auch einer aus der altgedienten postpunkigen Kohorte, mitgeschrieben hat. „8, 15, 25 Cent, ein jeder diese Zahlen kennt, die Kinder rufen im ganzen Land: Fli-Fli-fla-fla-Flaschenpfand.“ Das ist eine ganz andere Methode, als gegen „Investoren“ oder „Politiker“ oder, äh, „Umweltverschmutzung“ anzugreinen. Der „Hass“ sei sein Antrieb, sagt Dorau. „Sha-na-na-na“ – Fingerschnipsen – yeah.
„Fli-fli-fla-fla-Flaschenpfand“
„Ich höre eh lieber Peter Licht, der übt ernsthafte Kritik am System“, sagte eine Dorau-Skeptikerin, als sie erfuhr, dass das Geburtstagskonzert in Berlin so schnell ausverkauft war wie das in Hamburg. Als Dorau-Anhängerin bleibt einem da nur Kopfschütteln. Peter Licht, ein Liedermacher aus der, nun ja, etwas jüngeren, digital verwirrten Generation, meint es sicher gut, wenn er vom Ende des Kapitalismus singt oder wenn er in einem Lied bittet: „Begrabt mein iphone an der Biegung eines Flusses.“ „DAS ist Kindergarten!“, sagt dazu aber der Dorau-Fan. „DAS ist mal ein billiger Effekt! Ein pseudo-ironisches Geheule, das voll auf den twitterigen Errgegungsmodus zugeschnitten ist. Insgesamt also doch wieder nur: ein Großes ,Ja’ zu allem!“
Ja, wie denn das Konzert nun war, zum Flaschenpfand noch mal – wollten Freunde und Kollegen dann unbedingt noch wissen. „Großartig! Ein Fest der Liebe und der Liedkunst!“, rief die Dorau-Anhängerin. Spitzen-Bands und Musiker wie Stereo Total, Justus Köhncke und Der Plan traten auf und sangen Dorau-Lieder. Sogar zwei der legendären „Marinas“ waren dabei. Sie gaben den Fluch- und Segensong zum Besten, den der Meister selbst nicht mehr singen mag: Fred. Es war eine Party, wie sie freundlicher, fröhlicher und verschwörerischer – das auch! – kaum sein kann. Alle wussten ganz genau, was Dorau meinte, als er mitten in einem Song über den herzlich pumpernden Disco-Stampf hinweg, in den Saal fragte: „Ist da auch genug Strobo, hinter mir?“
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