Willkommen in Ihrem neuen Zuhause

Report Ein Investor kauft ein belebtes Mietshaus mitten in Berlin – um es abzureißen. Die Bewohner wehren sich, so gut sie können
Ausgabe 52/2014
Optische Täuschung: Der böse Geist der Gentrifizierung tobt auch hinter faderen Fassaden
Optische Täuschung: Der böse Geist der Gentrifizierung tobt auch hinter faderen Fassaden

Bild: Andreas Muhs/Ostkreuz

Etwas Geduld braucht man, will man das Ehepaar Stoll* besuchen. Es dauert zwei, drei Minuten, bis die Haustür sich öffnet. Zwölf Namensschilder befinden sich an dem sechsstöckigen Mietshaus, in dem sie wohnen. Die Klingelanlage funktioniert. Aber Heinz Stoll muss durch das Treppenhaus herunterkommen und die Tür von Hand öffnen. Der Mann trägt zwei künstliche Hüftgelenke. Glücklicherweise wohnt er mit seiner Frau Elke in der ersten Etage, daher ist der Schlüsselgang für ihn ganz gut zu bewältigen. „Die Haustür ist immer verriegelt, auch tagsüber“, sagt er. „Das haben wir, die hier noch wohnen, so vereinbart.“ Das Haus sei eben furchtbar leer inzwischen, das wecke ungute Gefühle. „Wir, die hier noch wohnen, passen aufeinander auf.“

Die, die da noch wohnen: Das sind drei Mietparteien. Drei von einem Dutzend. Die anderen neun sind längst ausgezogen. Dunkel, still, recht unheimlich ist es jetzt im Haus, vor allem natürlich im Winter. „Kein Leben mehr hier drin“, sagt Heinz Stoll. Die Mauern sind ausgekühlt, kaum noch jemand ist ja da, der heizt. „Manche sind weggestorben. Die meisten sind mit Druck rausgedrängt worden.“

Für 2.000 Euro ins Altersheim

Das Haus, ein Nachkriegsbau von 1955 – keine architektonische Perle, aber funktional –, steht in West-Berlin, in der Schwäbischen Straße im Stadtteil Schöneberg, in einer zentralen, aber behaglich verwinkelten Ecke. Es ist bis heute eine gut durchmischte Gegend. Familien, Studenten und ältere Menschen hätten in dem Gebäude und im gleich geformten Nachbarhaus gewohnt, sagt Heinz Stoll. „Manche sind mit 2.000 Euro Abfindung gegangen, direkt ins Altersheim. Die haben sich leicht einschüchtern lassen, die alten Leutchen.“ Auch die Stolls sind nicht mehr die Jüngsten, beide sind 70. „Aber wir lassen uns nicht so einfach vertreiben. Was hier läuft, ist gezielte Entmietung. Aus Profitgier. Es geht hier auch um Gerechtigkeit.“

Tatsächlich haben sich rund ein Dutzend Prozesse an der Liegenschaft entzündet, manche sind vom Amtsgericht in die nächsthöhere Instanz, zum Landgericht, gewandert. Knapp skizziert, geht es dabei um Folgendes: Vor einer Handvoll Jahre ist die frühere Besitzerin, eine ältere Dame, gestorben. Ihre beiden Erbinnen, eine davon lebt in den USA, können sich nicht um die Häuser kümmern. So verkauften sie diese an einen Immobilienkonzern.

Zu jenem Zeitpunkt war fast jede Wohnung vermietet, beide Häuser waren praktisch voll besetzt. Der Immobilienkonzern Egena AG hat rund 1,3 Millionen für die Bauten und das Grundstück bezahlt. Er ist auf Gründerzeithäuser und Neubauten spezialisiert, die hochtrabende Namen tragen wie das „Charlottenbrunner Carré“ mit seinen Häusern „Roseneck“ und „Hohenzollern“. Kaum hatte die Egena AG die Mietshäuser gekauft, flatterten den Bewohnern die Kündigungen in die Briefkästen.

Die Gebäude würden abgerissen, teilte man ihnen mit. 28 Eigentumswohnungen sollen dort entstehen, zehn Millionen Euro würde man investieren, bestätigt Alexander Kindermann, der Vorstand der Egena. Direkt an die beiden 50er-Jahre-Häuser grenzt ein Altbau aus dem Jahr 1905. Auch dieser gehört längst der AG. Der Altbau ist nun kernsaniert, um ein neues Dachgeschoss aufgestockt und mit einem Fahrstuhl aufgewertet worden. „Willkommen in Ihrem neuen Zuhause“, heißt es im dazugehörigen Verkaufsprospekt. Ein „mit Spiegeln und Marmor gestaltetes Foyer“ wird versprochen. 3,5 Zimmer, verteilt auf 134 Quadratmeter, kosten 766.000 Euro.

Der Bezirk habe den Abriss und den Neubau genehmigt, betont Egena-Vorstand Kindermann. Im Zuge des Milieuschutzes und als soziale Ausgleichsmaßnahme übernehme die Egena die Bewirtschaftung der Vorgärten von der Stadt; außerdem beteilige sich die AG an der Neugestaltung des angrenzenden Barbarossaplatzes und stelle in den um- und neu gebauten Komplexen zwei Mietwohnungen zur Verfügung, die an die Mietobergrenze von 6,50 Euro pro Quadratmeter gebunden seien.

Der Kündigungsgrund, den man den bisherigen Mietern vorbrachte, lautet auf „mangelnde wirtschaftliche Verwertbarkeit“. Das klingt in Laienohren zynisch, ist aber juristisch korrektes Deutsch. „Übersetzt heißt das: Wir wollen mehr verdienen, darum müsst ihr gehen“, sagt Tanja Walter, die ebenfalls noch im Abrisskomplex ausharrt. Anfang 2012 habe sie ihre Kündigung erhalten, sagt die 39-Jährige, die – „Es ist irgendwie ironisch, ich weiß“ – als Justizobersekretärin arbeitet, im Schöneberger Amtsgericht. Wie die Stolls streitet sie auf dem Rechtsweg gegen die Räumungsklage.

Nein, die Fenster seien ihnen noch nicht zugemauert worden, sagt Tanja Walter und lacht spöttisch. Aber was sie in Schöneberg so alles erlebt hätten, sei auch nicht schlecht: Der Sanierungsschutt von nebenan sei in einen Container gekippt worden, den man direkt vor ihr Wohnzimmerfenster im Erdgeschoss gestellt hatte. „Monatelang rauschten die Brocken da rein, mit Wucht, aus dem fünften Stock, ohne jede Abdeckung.“ Das Baubüro war in der schon freien Wohnung gegenüber der alleinstehenden Frau untergebracht. „Da wurden Grimassen gezogen und durch meine Fenster geglotzt, ich lebte ein Jahr lang mit heruntergelassenen Rollläden.“ Ihr Fahrrad sei mehrmals beschädigt worden. „Als ich es zum fünften Mal zur Reparatur brachte, meinte der Fahrradmann: ,Da hat nun jemand die Bremskabel durchschnitten. Das ist eindeutig Absicht. Sind Sie schon mal zur Polizei gegangen?

Die Anwältin will kämpfen

„Den Fahrradkeller haben sie uns ja, wie alle anderen Gemeinschaftsräume, sofort gesperrt!“, sagt Elke Stoll. Dem älteren Paar habe man im Hochsommer die Mülltonnen vors Küchenfenster gestellt. „Ein Gestank! Als ich die Dinger wieder an ihren alten Platz rollen wollte, drohte der Bauleiter, das käme mich teuer zu stehen“, sagt Heinz Stoll. Eine Mediatorin habe, im Auftrag der Egena, öfters unangemeldet vor der Tür gestanden und die Restmieter in „gefühlige Gespräche“ verwickeln wollen.

„Und dann haben sie plötzlich die Heizanlage ausgebaut“, ergänzt Elke Stoll. „Es war September, wurde schon kühler, wir hatten noch knapp 17 Grad in der Wohnung.“ An diesem Punkt kam dann Frigga Döscher so richtig ins Spiel. Sie ist Anwältin – und seit 1981 die Vorsitzende des Berliner Mieterschutzbundes. Sie drohte mit einem Antrag auf eine einstweilige Verfügung, kurz vor Ablauf der Frist baute die Egena AG eine provisorische Ersatzheizung ein. „Die haben da wohl mal versucht, wie weit sie noch gehen können“, sagt Döscher.

Für die Juristin ist der Streit in der Schwäbischen Straße kein Einzel-, sondern ein hochpolitischer Fall. „Das Kündigungsargument ,Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung‘ spielte bis in die Nullerjahre kaum eine Rolle“, sagt sie. Seit der Immobilienmarkt verstärkt als Spekulationsmaschine diene, habe diese Taktik aber spürbar zugenommen. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe in einem solchen „Verwertungs“-Streit in Hamburg einmal zugunsten des Investors entschieden. Seither gehörten solche Entmietungsstrategien „fast schon zum normalen Geschäft“.

Die Egena behaupte nun, die Häuser in Schöneberg seien in einem unbewohnbaren Zustand. „Wir aber sagen: Das stimmt nicht! Wenn die nötigen Instandsetzungsmaßnahmen erfolgen und die Wohnungen wieder vermietet würden, könnte man sehr wohl Gewinne damit erzielen.“ Es gehe nun darum, „einen Dammbruch“ zu verhindern. „Wenn man solche Methoden weiter durchgehen lässt, könnte bis zu einem Drittel des Berliner Wohnungsbestands betroffen sein. Reihenweise können dann Mietshäuser für Durchschnittsverdiener auf diese Art plattgemacht werden. Das hat die Politik gar nicht auf dem Schirm.“

Menschen wie die Stolls und Frau Walter gelten gemeinhin vielleicht als „ganz normale Bürger“ – „Aber in der Immobilienbranche bezeichnet man solche Leute heute ganz offen als ,Schikaniermieter‘“, sagt Döscher. Am liebsten würde sie den Schöneberger Streit zum Präzedenzfall vor dem BGH machen. Aber sie sagt auch: „Die politische Kämpferin in mir will das durchfechten; als Anwältin muss ich aber das Beste für meine Mandanten herausholen.“ Und das Beste sei für Stolls und Frau Walter wohl doch eine möglichst hohe Abfindung von Seiten der Egena AG, und dann der Aus- und Um-, also: der Rückzug.

Nach einem Nervenzusammenbruch hat Tanja Walter die vergangenen Monate in einer psychosomatischen Klinik verbracht. Elke Stoll ist inzwischen schwer erkrankt. Einst führte sie ein Modegeschäft in der Nachbarschaft. Ihr Ehemann arbeitete als Einrichtungsberater. Seit 1962 leben sie in ihrer Dreizimmerwohnung. Besuchern zeigen sie gern, wie sie es sich eingerichtet haben: „Alles passgenau geschreinert. Der Granitboden: von uns verlegt. Das Bad: auf eigene Kosten komplett umgebaut, natürlich in Absprache mit der Vorbesitzerin, alles seniorengerecht, für unsere Zukunft.“

Das Geld, das ihnen für den Auszug geboten wurde, fanden sie zu wenig. Dann schlug die Egena einen Umzug ins Erdgeschoss im Altbau nebenan vor – für die kranke Frau unzumutbar, weil sie dort ja wieder an einer Baugrube wohnen würde, während des geplanten Abrisses und Neubaus. Heinz Stoll sagt: „Immerhin hat das Bezirksamt, nachdem unser Fall bekannt wurde, die Leitlinie für innerstädtisches Bauen leicht überarbeitet. Mieter für einen Neubau rauszuschmeißen wird in diesem Bezirk künftig nicht mehr ganz so leicht möglich sein. Leider kommt die Regelung für uns selbst zu spät.“

Eine Frage wurde den Stolls und Frau Walter schon oft gestellt: Warum sie jetzt nicht endlich klein beigeben? „Wenn wir alle Geld hätten, sähe es anders aus“, sagt Tanja Walter. Sie sitze, aus einer früheren Beziehung, noch auf Restschulden. Bis ihr Schufa-Eintrag wieder „sauber“ sei, habe sie keine Chance auf dem freien Wohnungsmarkt. Elke Stoll sagt: „Und wir haben unsere Lebensversicherung hier reingesteckt, eine fünfstellige Summe. Es sind alles feste Einbauten, die sollten für zum Rest unserer Tage halten. Wenn wir rausmüssen, haben wir so gut wie nichts.“ Ihr Ehemann beugt sich im Sessel vor: „Wir sind mutig, das kann man schon so sagen. Aber wissen Sie: Es ist auch der Mut der Verzweiflung.“

* Die Namen der Bewohner sind auf deren Wunsch geändert

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Geschrieben von

Katja Kullmann

Stellvertretende Chefredakteurin

Katja Kullmann

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