Jeder ist ein Experte

Medientagebuch "make world" - Das Münchner Medienfestival der Globalisierungsgegner

Zufällig (?) parallel zu den Münchner Medientagen, dem Almauftrieb der entscheidenden Köpfe aus Print, Rundfunk, Film, Telekommunikation und Multimedia, fand in der Stadt ein Medienfestival statt, das trotz des kulturellen Schwerpunkts weit von purer Ästhetik entfernt blieb. "MediaWorld - Neue Dimensionen, neue Realitäten" das Motto ersterer Veranstaltung. "make world" der enthusiastisch affirmative Imperativ der zweiten - hier fand man sich zusammen im Geiste des Widerstands. "Destroy", schreit die Performancekünstlerin von der punkigen VolxTheaterKarawane - und meint damit die Grenzen zwischen Haben und Nicht-Haben, Ansammeln und Abgeben, die Denkschranken, die den Süden der Welt arm und den reichen Norden selbstsicher machen. Auch natürlich die nationalen Grenzen, die gegen den Zuzug des Mangels abdichten. Denn "make world" ist ein UNIX-Befehl, bei dessen Ausführung das Betriebssystem sich vollständig erneuert, während es läuft. Also: Die Welt soll umgekrempelt werden. Aktivisten, Akademiker, Web-Artisten stürzen sich aufs Internet und balancieren in umgekehrter Richtung auf den Netzwegen der Globalisierung. Deren Vorreiter, hört man, "sind längst nicht mehr die Konzerne, sondern die Globalisierungsgegner".

Auf ihrer Agenda stehen: Medien und Migration. Weltweite Mobilität, gefeiert und gefürchtet, und Kommunikation, Phänomene, die auf die Kosenamen "Informatisierung", "Digitalisierung" und eben "Globalisierung" hören. Welchen Menschen produzieren diese globalen Modulationen? Welche Lebensformen, Arbeitsformen, Ausschlusskriterien? Shu Lea Cheangs Datenbank-Projekt behauptet tapfer "Everyone is an Expert". Jede/r darf sich mit ihren/seinen besonderen Kompetenzen eintragen, in der Hoffnung, auf Nachfrage zu stoßen. Selbstverständlich ungeachtet des Aufenthaltsstatus´. Die andere Seite weltweiter Bewegungsfreiheit ist die Errichtung von Zugangsschranken. Gibt es eine sinnvolle Verwendung moderner Technologie zur Unterwanderung oder Überbrückung dieser Grenzen? Freier Eintritt in gemeinsame virtuelle Handlungsräume abseits paranoider Mechanismen von Innerer Sicherheit? Dafür fanden die Veranstalter Muffathalle, Kulturreferat und die Galerie "Lothringer 13" den kryptischen Untertitel "border = Ø location = Yes". In Workshops, Podiumsdiskussionen, Vorträgen, Performances und einer Ausstellung wurde daran gepuzzelt.

Zufriedenheit, gesteht der Anthropologe Ghassan Hage (Sydney), sei die radikalste Antwort auf den Kapitalismus, die ihm begegnet sei. Wo die Weltweitausdehnung von Märkten und Gesetzen an so vielen Orten die Hoffnung auf sozialen Aufstieg und die Anhäufung von Konsumgütern erlöschen lässt, ist es auch Zeit, diese Ziele kritisch zu betrachten. Wie wäre es anstelle von Macworld mit Ökotopia? Der Migrant als Komplize seiner Unterdrückung. Und Hoffnungsproduktion als Aufgabenstellung für die Herkunftsländer.

Abschottung hinter Nationalstaatsgrenzen ist Folge und Zeichen von Verunsicherung, da stimmte ihm die Soziologin Saskia Sassen (Chicago) zu. Aber: "Wir können uns nicht länger hinter den Mauern des Wohlstands verstecken." Nie war das geschlossene Weltbild der USA so brüchig wie nach dem 11. September. (Perfide Koinzidenz: "911" kürzt man den Tag der Attentate jetzt ab - wie die Notrufnummer der Polizei.) Diese Destabilisierung, die leider nicht zur notwendigen Selbstreflexion der eigenen Verwundbarkeit geführt habe, lässt Lücken. "Seize the cracks!" ihre Aufforderung, "bemächtigt Euch der Lücken!". Es müssen Formen der Globalisierung gefunden werden, denen das Lokale nicht zum Opfer fällt.

Während Sassen Eintrittsöffnungen für neue Akteure, souveräne politische Subjekte sieht, sind die Aktivisten aus Erfahrung skeptisch. Ja, meint einen Tag später Marko Peljhan, Experte für Kommunikationstechnologie aus Slowenien, blank spaces, schön und gut, nur die andere Seite weiß Bescheid. Und ist vorbereitet. Will man sich in diese Lücken zwängen, gibt es keine Zeit zu verlieren.

"Informational Self-Defense" ist nötig. Es findet ein Panel à propos statt. Wie schützt sich also der aufklärerische Netzaktivismus gegen Kontrolle und Verhinderung durch die avisierten Gegner? Datenverschlüsselung? Zu kompliziert und bei großen Netzwerken unsicher. Eveline Lubbers, die ein Buch über Corporate Counterstrategies geschrieben hat, rät zum geschärften Bewusstsein als wichtigstem Instrument gegen die Überwachung durch Konzerne oder deren Agenten. "Führt Besucherstatistiken, sprecht die Beobachter direkt an." Ökosite-Cookie an Shell: Wie schön, dass Sie sich für Umweltthemen interessieren - so oder ähnlich.

Andererseits nutzen die so genannten Netzaktivisten erst einen winzigen Bruchteil vom Potenzial der Webs. Jenseits von simplen Homepages und Initiativen vom Schlage Indymedia, dem unüberlegte Beiträger zu schaffen machen, passiert zu wenig. Und hier entdecken wir eine entscheidende neue Barriere im grenzenlosen Internet: Die Grenze zwischen "Techies" mit den entsprechenden technischen Kompetenzen auf der einen Seite und Aktivisten und Medienleuten auf der anderen.

Kompetenz ist in der "Lothringer 13" bei den Medienkünstlern da. Offenbar arbeiten sie an der Ironisierung von Medium, Individuum und gesellschaftlichem Korsett. Die subversive Kunst besteht en gros darin, die Kraft des unbesiegbaren Giganten gegen ihn selbst zu wenden, die Bestimmung der Technik umzudrehen, sie nutzlos zu nutzen. So wie jeder Teenager, der auf sich hält, pausenlos SMS-Kontakte pflegt? Sind das dann die "Vorreiter"?

Am effektvollsten agieren, so Saskia Sassen, bislang das globale Kapital und der globale Terrorismus. Über die gleichen Kanäle könne auch Mikropolitik betrieben, Informantion, Solidarität, Knowhow und Protest transportiert werden. Kapitalismuskritik, Medientheorie, New Media Art vereint unter dem Banner der Anti-Globalisierung - als andere Globalisierung. Inzwischen steigt die Dichte öffentlicher Cybercafés in New Delhi. Und wer als Festivalbesucher überzeugt war, konnte sich auf dem "Virtualienmarkt" gleich nach Vernetzungsmöglichkeiten umsehen.

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