Wald

linksbündig Klagenfurt und der Kapitalismus

"Wald und Welt versausen, schaudernd hört der Wandrer zu", dichtete Freiherr Joseph von Eichendorff. Es scheint, als währte die Liebe deutscher Autoren zum gefährdeten und daher umso kostbareren Symbol nationalcharakterlicher Innerlichkeit ewiglich - so auch in Klagenfurt zu erleben, bei den 27. Tagen der deutschsprachigen Literatur. Vor allem das junge weibliche Erzähler-Ich duckt sich, von familiären Verwerfungen erschüttert, am liebsten kläglich und klagend ins Unterholz, ganz allein mit seinem blassen Text. An Sünje Lewejohanns Zwillingsschwestern-Drama Im Farnschatten bestätigte sich die Welt-, sprich Erfahrungsarmut vieler Absolventen des Leipziger Literaturinstituts. Entrückte, spinnwebenzarte Ichs ließen den geballten Sachverstand der erstmals weiblich dominierten Jury des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs - mit der Vorsitzenden Iris Radisch walteten fünf Frauen gegenüber vier Männern ihres Amtes - oft ins Leere beziehungsweise in die erklärte Ratlosigkeit laufen.

In anderen Wäldern war muffig altdeutsches Raunen zu vernehmen, verkindlichtes Sippengebrummel von Protagonisten, deren wunderliche Namen besser in Runen gemeißelt werden sollten. Doch selbst ein formal avancierter Autor wie Henning Ahrens ließ sein eklektisches Science-Fiction-Personal namens Commander Coeursledge oder Queen Zeta mitten im Winter nach einer globalen Katastrophe auf silberne Eicheln beißen: auch hier die überraschende, triumphale Rückkehr des deutschen Waldes. Immerhin gestattete Ahrens der Welt nicht, im Eichendorffschen Sinne zu versausen, sondern beamte einen dominanten Aspekt des zeitgenössischen Bewusstseins - Stichwort Matrix Reloaded - in die Literatur. Dennoch drohte dieser Aneignungsversuch dem ewigen Dilemma der Science Fiction zu erliegen: Jede Aufwertung des Genres ist selbst von Trivialität bedroht.

Statt Waldesrauschen der Versuch, eine Welt zu imaginieren: Das kam beim Bachmann-Wettbewerb selten genug vor. Es musste ja nicht gleich die ganz große Politik sein wie in Gregor Hens´ John F. Kennedy und der Ausbruch des Irazú, erneut ein ambitioniertes, diesmal panamerikanisches Zwillingsdrama. Dessen historischer Anmerkungsapparat knarrte jedoch hörbar in den Scharnieren: eine geschliffene Novelle aus dem synthetischen Geiste Guido Knopps. Wenn schon realitätsbezogen, dann am besten kapitalismuskritisch, schien sich mancher der 18 Kandidaten ernsthaft vorgenommen zu haben. Feridun Zaimoglu etwa, durch ein Standardwerk des Soziolekts wie Kanak Sprak längst etabliert, nahm erfolgreich die Pose des gesellschaftskritischen Schriftstellers ein. In seiner abstrakt orientalischen Dorfgeschichte beschreibt er den Ausverkauf einer archaischen Welt. Es findet eine Entwertung aller Werte statt, von nutzlos gewordenen Antiquitäten bis zur Heiratsprostitution der weiblichen Dorfjugend. In Klagenfurt war dieses ungebrochene Verhältnis eines Autors zu seinem Erzählfluss und seinen Figuren den Preis der Jury wert. Auch kapitalismuskritische Ausflüge nach Indien und Polen inklusive Auschwitz kamen vor - Geschmack ist eben Glückssache.

Erst recht entwert und völlig waldfern waren die Existenzen, die Lukas Hammerstein in seinem rasanten Ensembleroman Die 120 Tage von Berlin vorführte: Trockenwohner in einem jener fehlkalkulierten Glaspaläste in Berlins Mitte, die leer stehen. Nebenbei lieferte er damit einen beinahe essayistischen Kommentar zur Rezession. Willkommen in der Wirklichkeit, und doch hieß es gleich wieder Willkommen und Abschied, als es um die Preisvergabe ging. Mit Ulla Lenze (Ernst-Willner-Preis) und Farhad Showgi (3sat-Preis) wurden zwei ätherische Außenseiter gekürt. Wie so oft trieb die Dynamik der öffentlichen Abstimmung wunderliche Blüten.

Große Themen wie Kapitalismus und Konsumwelt brauche der Text nicht, hieß es fast einmütig über Inka Pareis noch titellosen Romananfang. Die verdiente Bachmann-Preisträgerin dieses Jahres (gleichzeitig Siegerin des Kelag-Publikumspreises, eine seltene Übereinstimmung) holt ein unscheinbares Eckhaus aus Frankfurt-Rödelheim inklusive Metzgerei in die Literatur. In versierter personaler Erzählhaltung begleitet sie einen verunsicherten, gehbehinderten alten Mann auf seinen letzten Wegen durch das Haus. "Wenn unsere Seele sich lange geübt hat, über Vollkommenheit und Unvollkommenheit der Dinge zu urteilen, so ist der Geschmack da", schreibt Herder in seinen Betrachtungen Kritische Wälder. Nie waren diese Wälder so wertvoll wie heute.

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