In der Zeit-Beilage »Leben« fand sich vor zwei Wochen noch einmal ein groß aufgemachtes Interview mit Herrn Pfeiffer. Seine Erkenntnisse hatten vor einigen Monaten für Wirbel gesorgt. Er hatte nämlich herausgefunden, warum die Ostdeutschen so aggressiv und anfällig für neofaschistische Einstellungen sind - selbstverständlich ganz im Gegensatz zu den Westdeutschen. Erinnern Sie sich an die Nachttopf-Geschichte?
Jedenfalls war Herr Pfeiffer, wie in der Zeit nachzulesen, erstaunt über die heftigen Reaktionen der Ostdeutschen. Herr Pfeiffer ist gesprächsbereit, denn er hat Verständnis. Er reist nun Land auf - Land ab, um aufzuklären. Freilich, er hat eigentlich keine Zeit, der Herr Pfeiffer - wegen der Wissenschaft - aber er nimmt sie
nschaft - aber er nimmt sie sich.Der mediale Vorgang wäre nicht weiter erwähnenswert, trüge er nicht symbolische Züge.Der Osten wird in den westdeutsch geprägten Medien vor allem als sorgenvoll beobachtetes Krisengebiet thematisiert. In einer Haltung moralischer Überlegenheit. Oder: Er taucht überhaupt nicht auf. Das ist aus ostdeutscher Perspektive ein äußerst unbefriedigender Zustand.Als die Wahlkampfstrategen vergangenen Sommer gezwungen waren, im Ringen um die entscheidenden Stimmen der Ostler mit ihren Parolen an deren Muster und Gewohnheiten anzuknüpfen, besann sich der Kohl-Berater Hans-Hermann Tiedje just der guten alten NBI. Und trat damit nach der verfehlten »Rote-Socken-Kampagne» in den nächsten Fettnapf. Im Gewande der von Gruner Jahr eingestellten Illustrierten erschien mit den gleichen Initialen (die ursprünglich für Neue Berliner Illustrierte standen) die Neue Bundesländer Illustrierte. Auf dem Titel posierte Kohl mit Miß Germany aus Halle. Der Inhalt erinnerte an die zweckoptimistischen Erfolgsmeldungen unseligen Andenkens, und die Ostdeutschen, selbst für jedes Anknüpfen an DDR-Kultur der Nostalgie bezichtigt, kamen sich ob der plumpen Anmache veralbert vor. Nun rächte sich, daß man die DDR-Medien, weil ideologisch gleichgeschaltet und daher vermeintlich nicht zukunftsfähig, als vernachlässigte Größe behandeln zu dürfen glaubte.Statt nach den spezifischen Qualitäten zu fragen, die journalistisch anspruchsvolle, handwerklich gediegene Presseprodukte wie die Wochenpost, Sibylle oder Sonntag auszeichneten, wurden die Eigenheiten ostdeutschen Mediennutzungsverhaltens als bloßer »Entwicklungsrückstand» fehlinterpretiert, der sich bald von selbst erledigt haben würde. Aber, wie Theodor Geiger zutreffend feststellt: »Mentalität ist eine Haut - Ideologie ein Gewand«. Waren auch die ideologischen Hüllen gefallen, so konnte doch der ostdeutsche Leser nicht aus seiner Haut. Und ein Zeitungsabonnement wechselt man nicht wie ein Hemd, sondern prüft, deprimiert oder wütend, erst mit dem gehörigen Abstand andere Angebote.Mit der Skepsis der enttäuschten Erwartung. Mit der Vorsicht des Genarrten, des Übergangenen, des Diffamierten. Die Rechnung bekommt die Presse in Verkaufszahlen präsentiert. Die Tages- und Wochenzeitungen der politischen Klasse vegetieren im Osten unter weitgehendem Ausschluß der Öffentlichkeit. Der Ostleser hält sich an regionale Tageszeitungen und bleibt zu den überregionalen ebenso auf Distanz, wie diese zu ihm. Wird ihm zu Ehren eine kleine Rubrik »Östliches» eingerichtet, ist ihm das peinlich. Zeitschriften für westliche Gruppen des mittleren bis gehobenen Lebensstils bekommen kaum einen Fuß auf die östliche Erde. Und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird sein Einsatz für die deutsche Einheit auch nicht fair vergolten.Die im Auftrag der Landesmedienanstalt Thüringen erstellte Studie »Ostdeutschland im Fernsehen« kommt zum Ergebnis: Solange der Osten aus der Perspektive des Westens gesehen wird, also mit dem »fremden Blick», den westdeutsche Medienmacher schließlich haben, wird sich dieser Zustand wohl kaum ändern.Die Ost-West Unterschiede in den Lebenswelten und Einstellungen produzieren »getrennte Medienmärkten«. Nun könnte man dem Problem abzuhelfen versuchen, indem man es thematisiert. Doch darüber herrscht weitgehendes Schweigen. Zwischen Ost und West. »Grund zur Kommunikation« - so die Fernseh-Studie - »gibt es mehr als genug, doch Kommunikation würde hier zunächst Streit bedeuten, auch Abarbeiten von Vorurteilen - wie die des Jammer-Ossis und des Besser-Wessis. Doch politisch korrekte Artigkeit herrscht vor«.Die Folge ist, daß aus den westlich geprägten Medienstrukturen ein gesamtdeutsches Forum bis heute nicht erwachsen ist. Das ist auch insofern bedauerlich, als das Auseinanderfallen von Lebenswirklichkeit und medienproduzierter Öffentlichkeit keineswegs ein exklusives Ostproblem ist. Nur tritt es hier in verschärfter Form in Erscheinung - was Anlaß geben könnte zu einer Diskussion, von der die bundesdeutsche Öffentlichkeit als Ganzes profitieren würde. Die ostdeutschen Eliten sind durchaus nicht gewillt, sich mit der partiellen Stimmlosigkeit des Ostens abzufinden und in den gewohnten Zustand innerer Distanz zum herrschenden System zurückzufallen. So diskutierte man beim vom Deutschen Medienclub Ost ausgerichteten 3. Ostdeutschen Kulturtag in Berlin im vergangenen Oktober folgerichtig die Frage: Brauchen wir eine ostdeutsche Presse?Nach einer aktuellen Studie des Marktforschungsinstituts Leipzig scheint hier »Au thentizität» gefragt. Nur 22 Prozent der Befragten möchten so sein, wie die Leute aus der Werbung, was ja umgekehrt heißt, daß 78 Prozent nicht so sein möchten, sich also nicht mit den westlichen Leitbildern des Hochglanzes identifizieren. Im Westen möchten 38 Prozent wie die Werbemodels sein.Wenn dieser Anspruch auf Alltagsnähe, auf Identität des Individuums ein tief verwurzeltes Bedürfnis ist, so liegt dies durchaus im Trend auch der westdeutschen Medien und Werbekommunikation. Auch hier wird zunehmend mit alltagsnahen Szenen und Charaktermodels geworben. Ein Überdruß an Hochglanz wird diagnostiziert. Nicht nur in der Werbung, sondern bei Medienangeboten generell. Dokumentationen als Serie sind ein neuer Schrei, die neue Beilage der Zeit bringt mehr Geschichten aus der Alltagswelt, als es das eingestellte Magazin-Supplement jemals getan hat, Gruner Jahr wird im Herbst mit einem Special interest »Biografien« auf den Markt kommen. All diese Trends könnten sich vereinen mit der guten alten ostdeutschen Tradition der genauen Sozialerkundung, mit den Geschichten über ganz normale Menschen.Die alte Reportage könnte sich zwischen den westdeutschen Tageszeitungen mit ihren elitären Selbstverständigungen der politischen Klasse und der Boulevardpresse plazieren. Die Alltagsgeschichte von Menschen wie »Du und ich« wäre wieder zeitgemäß. Die Krise des Gruner Jahr-Flaggschiffes Stern ist dem Mangel an Alltagsnähe geschuldet. Was dort steht, interessiert Lieschen Müller eben nicht mehr.Ein Redaktionskonzept ähnlich der Wochenpost findet sich nicht mehr auf dem deutschen Markt. Es entsprach einer Lebenspraxis, in der die traditionellen Rollenbilder aufbrachen und Frauen und Männer sich in ihren Einstellungen und Werten zusehends einander annäherten. Mit diesem speziellen Erfahrungshorizont finden sich die Ostfrauen, welche sich nicht mit Bild der Frau zufriedengeben mögen, in den westlichen Frauenzeitschriften bis heute kaum wieder.Seit der Ossi die Wahl hat, hat er nicht nur die PDS in den Bundestag gewählt und damit einen beträchtlichen Teil der ostdeutschen Elite als politisches Subjekt auf die parlamentarische Bühne gehoben. Er hat ebenso als Leser, Zuschauer, Käufer und Konsument die Produkte abgewählt, die ihm nicht schmeckten. Eine andere Art, Politik zu machen.Wie empfindlich auf jede Form von Vereinnahmung, auf jeden Verdacht von Diffamierung reagiert wird, erfuhr auch die Lindenstraße, die erfolgreichste aller deutschen Serien - allerdings nur im Westen. Ist hier am Sonntag 18.40 Uhr jeder dritte Fernseher auf die Münchner Szenen aus dem richtigen Leben eingestellt, flimmern im Osten Mutter Beimer Co. nur über jeden fünften Bildschirm. Selbst als das Lindenstraßen-Team im ehrlichen Bemühen, den Osten einzubeziehen, eine Folge im sächsischen Borna spielen ließ, hagelte es massenhaft Proteste statt Anerkennung. Trotz der aufwendigen PR-Tour durch fünfzehn ostdeutsche Städte mit Stars und Produktionsleitung. Sie wollten nicht nur für ihre Serie werben, sie wollten wissen, wie der Osten und die Menschen sind, was sie interessiert. Aufnahmeleiter Huth mußte feststellen: »Wir werden über den Osten völlig falsch informiert. Einen Großteil der für die Reise kalkulierten Finanzen hatten wir für Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen. Weil wir dachten, hinter jeder Ecke stehe ein keulenschwingender Glatzkopf.« Nebenbei mußten die Lindenstraßen-Macher zur Kenntnis nehmen, daß der Sachse als Präsentationsform für ostdeutsche Probleme zumindest heikel ist. Den Ossis steht es bis zum Hals, ihre Themen in satirischen Mustern schabloniert zu finden. Man will ernst genommen werden. Als Mensch. Nicht als sächselnde Kabarettnummer. Auch bei anderen Produkten entscheidet ihr Auftritt, ob sie bei Ostdeutschen eine Chance haben oder nicht.Diese Erkenntnis hat sich inzwischen bei Marketing- und Werbefachleuten durchgesetzt. Im Juni stellte das Institut für Marktforschung Leipzig eine Studie vor, in der der Frage nachgegangen wurde: Soll man im Osten anders werben? Man höre und staune: Schon im zehnten Jahr nach dem Mauerfall kommen die klassisch westlich geprägten Wirtschaftszweige Werbung und Marketing dahinter, daß der Osten anders ist.Noch zwei Jahre zuvor hatte man gefragt: »Der ostdeutsche Verbraucher - in Deutschland angekommen?« Mitnichten, wie viele Ostdeutsche schon damals wußten. Natürlich steht dahinter auch ein ökonomisches Problem. Das Durchschnittseinkommen (inklusive derer, die kein Arbeitseinkommen haben) liegt im Osten bei 49 Prozent des Westniveaus. Die Ersparnisse, die materielle Ausstattung, die Besitzstände insgesamt dürften etwa 10 Prozent des materiellen Kapitals des Westens ausmachen. Doch mit der Ökonomie allein läßt sich die östliche Abneigung gegenüber der westlichen Life-style-Ästhetik nicht erklären. Es geht um Heimat und Geborgenheit, um Vertrautheit geht es und damit um Vertrauen.Im »Kaufland«, wo ich häufig einkaufe, empfängt einen beim Eintreten eine einschmeichelnde Lautsprecherstimme: »Bei uns können Sie über 3000 Produkte aus den neuen Bundesländern kaufen«. »Kaufland« erinnert an »Kaufhalle«, das ist ostdeutsch für »Supermarkt«. Aber kein Mensch über dreißig sagt »Supermarkt«. Schon gar nicht mehr in den letzten Jahren. Durch die Westpresse watschelt das Wort »Kaufhalle« auf Gänsefüßchen wie einst die ganze DDR. Unsere Kaufhalle bietet neben Florena (der Nivea des Ostens), Fit (dem Pril des Ostens), Rotkäppchen-Sekt (dem Mumm des Ostens) und Filinchen - ohne Gegenstück - nun auch wieder »Rondo» an: die Kaffeemarke, die nach beinahe zehn Jahren aus der Versenkung auftauchte und ohne Werbung sofort Marktführer wurde. Westliche Marken haben es schwerer auf östlichem Boden. Man kennt sie inzwischen, aber man liebt sie nicht unbedingt. Es ist die Aura, die sie umgibt. Ein Lebensgefühl, das fremd bleibt. Der Waschmittelriese Henkel hatte das erkannt und die Ost-Berliner Werbeagentur Fritsch Mackat beauftragt, eine Werbekampagne für Persil zu entwickeln, um den Konkurrenten Ariel aus dem ostdeutschen Feld zu schlagen. Selbst im Osten aufgewachsen, weiß Alexander Mackat, wie der gemeine Ostmensch denkt und fühlt. Er knüpfte mit seinem Werbemotiv an die durch die »Rote-Socken-Kampagne« diffamierte Ost-Erfahrung an, hängte blaue Socken auf die Leine und warb mit dem alten Gassenhauen »Heute blau und morgen blau und übermorgen wieder» für dauerhafte Farbbrillanz dank Persil. Die westliche Fachwelt schrie zwar auf, aber es funktioniert. Werben ist eben auch Kommunikation. Kaufen ist ein kultureller Akt. Konsumenten sind eben auch Menschen. Und zwar die gleichen, die vierzig Jahre in der DDR gelebt haben, mit ihrem eigenen Erfahrungshintergrund und ihrer Kultur. Man kann noch so sehr auf sie einreden - wenn man nicht ihre Sprache spricht, an ihre Erfahrungen und Träume anknüpft, verstehen sie nicht. Dann stellen sie sich stur und kaufen ein anderes Waschmittel. Was aber der Markt nicht regelt, wird früher oder später in der Politik umgehen, und wo die Menschen keine Wahl mehr haben, da bleibt als letztes Schlupfloch die Verweigerung. Die auch schon mal DVU hieß. Dem Rätsel der »ostdeutschen Mentalität« wird man nicht auf die Spur kommen, solange man diese aus der DDR-Vergangenheit allein zu erklären versucht.Die Marketingstrategen im Osten sollten ihr Heil nicht allein im Rückzug aufs Vertraute, Altbewährte suchen: Mackat findet, daß seine Branche, die »von Träumen lebt«, sich für die neuen Träume der Neubundesbürger interessieren sollte. Denn die Angleichung ans Westniveau ist keine sinn- und motivationsstiftende Vision. Das aber sei es, was der Osten brauche. Zu erkunden, wie sich im laufenden Prozeß ostdeutscher Selbstfindung Ansätze für neue Utopien herauskristallisieren, dürfte für Werbeexperten, Medienmacher und Wirtschaftspolitiker interessant sein.Denn die Ostdeutschen, ostdeutsche Unternehmen und Verwaltungen sind dem Westen in mancherlei Hinsicht weit voraus: Sie haben verschiedene Modernisierungsschritte bereits vollzogen, die in Westdeutschland noch bevorstehen.Den Ostmenschen fehlt als Bundesbürgern die Routine. Sie sind noch nicht eingerichtet in der Zwickmühle aus Leistung, Wohlstand, Prestige und Besitzstandswahrung. Diese Art der Freiheit könnten sie in den gesellschaftlichen Wandel einbringen. Wenn man sie mehr beisteuern läßt als Diktatur, Stasi, Neonazis. Wenn sie denn neben ihrer Vergangenheit auch nach ihren Zukunftsträumen befragt würden.
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