„Feminismus und eine feministische oder geschlechterdemokratische Reflektion und Auseinandersetzung mit aktuellen politischen, gesellschaftlichen und auch wissenschaftlichen Themen ist per se ideologisch“. Das ist eine weit verbreitete und zunächst auch sehr logisch erscheinende Meinung. Feminismus und Wissenschaftlichkeit scheinen sich gegenseitig auszuschließen, denn eine fundamentale Forderung der Wissenschaft an jedes Individuum ist die von Max Weber vor über hundert Jahren verlangte Werturteilsfreiheit. Und Feministinnen – das sind doch die Meisterinnen der Werturteile, oder?
Keine Wissenschaft ist frei von Ideologie
Wer sich einerseits als FeministIn „outet“ und auch aus dieser Motivation heraus forscht, dem glaubt eine bestimmte Klientel die hervorgebrachten Ergebnisse nicht – seien sie auch noch so wissenschaftlich sauber. Die Gender Studies werden sogar in den Generalverdacht gestellt, nichts anderes zu sein, als ein Instrument des (in diesem Fall dann bösen) Feminismus um vermeintlichen Blödsinn als Wahrheit verkaufen zu können. Deshalb und sicherlich auch, weil sie ein noch relativ junger Forschungszweig sind, werden Gender Studies heute in den Medien wesentlich weniger rezipiert und besprochen, als die Ergebnisse aus Biologie, Wirtschaft und Psychologie. Man nimmt eben nicht so ernst, was dort geforscht wird, man beäugt es skeptisch und wenig wohlwollend.
Es ist schwer und schlechterdings unmöglich, diese Vorwürfe in einem einzigen Artikel zu entkräften und dafür gibt es zwei Gründe: 1. Bedarf es dazu einer genauen Betrachtung der einzelnen Studien und Arbeiten, sowie der darin angewandten Methoden. Denn nur eine genaue und detaillierte Betrachtung der verschiedenen Forschungsobjekte kann Aufschluss darüber bringen, wie werturteilsfrei der Aufbau der Arbeit eigentlich tatsächlich ist. 2. Ist keine Wissenschaft "frei" von Ideologie. Eine schwer verdauliche Aussage. Doch es menschelt in der Biologie genauso, wie in der Pyhsik, in den Gender Studies und letztendlich überall. Die Werturteilsfreiheit nach Weber ist und bleibt ein zumeist unerreichtes Ideal. Ein Blick in die Geschichte der Wissenschaft zeigt, dass kein Mensch völlig frei von Ideologien, Überzeugungen und Emotionen ist – auch nicht wenn er forscht. Wir sind schließlich keine Vulkanier. Gerade Soziologen, die sich nicht selten von naturwissenschaftlicher Seite angegriffen fühlen, weil sie vermeintlich weniger „harte Fakten“ hervorbrächten, kritisieren an den vermeintlich „eindeutigen“ Naturwissenschaften mangelnde Auseinandersetzung mit Wissenschaftstheorie und behaupten dagegen für sich, sich ihrer Fehlbarkeit wenigstens bewusst zu sein.
Eine feministisch initiierte Wissenschaft ist von vornherein eine Forschung mit einem transparenten Bekenntnis: Wir forschen, weil wir zeigen wollen, dass die Dinge auch mit anderen Augen gesehen werden können – und trotzdem wissenschaftlich sind. Und mal ganz ehrlich: Warum sollte man dieser Wissenschaft mehr misstrauen, als einer rein männlich dominierten, die vor nicht allzu langer Zeit solchen Unsinn verbreitete wie: Die untergeordnete Rolle der Frau gegenüber dem Mann zeigt sich doch alleine schon bei ihrer Position beim Geschlechtsakt. Oder: Frauen sind von Natur aus dümmer als Männer, sie haben ja auch kleinere Gehirne. Solche und andere Behauptungen der werten Herren Wissenschaftler haben bei Feministinnen von Anfang an ein, im Grunde ganz natürliches, Interesse daran geweckt zu forschen und sich mit dem Wahrheitsgehalt solcher Aussagen zu befassen. Wie zum Beispiel die Historikerin Karin Hausen, die in ihren Werken und in ihrer Forschung dem „männlichen Blick“ auf die Geschichte einige sehr nachhaltige Einsprüche entgegengesetzt hat. Oder auch Simone de Beauvoir, die als herausragende Denkerin in ihrer philosophischen Auseinandersetzung mit dem Dasein als Frau in einer männlich bestimmten Welt Wege gebahnt hat, die man bis heute im Feminismus und in der Geschlechterdebatte geht, indem sie durch ihre Feststellung, man werde nicht als Frau geboren, den Grundstein für die heute gebräuchliche kulturwissenschaftliche Unterscheidung zwischen Sex und Gender gelegt hat.
Weniger bekannt sind hingegen die Arbeiten im Bereich der feministischen Naturwissenschaftsforschung. Diese ist in Deutschland bislang weitestgehend marginalisiert, in den USA gibt es jedoch mehrere Vertreterinnen, wie die Biophysikerin Evelyn Fox Keller, die drei Interessensbereiche dieser nur scheinbar paradoxen Forschung nennt: 1. Warum sind nur so wenig Frauen in den Naturwissenschaften vertreten? Welche Beziehung hat diese Tatsache zu den gesellschaftlichen Geschlechtsrollenzuschreibungen? 2. Wie trägt die Naturwissenschaft mit einer Art „Science of Gender“ zu den essentialistischen Eigenschaftszuschreibungen zu den Geschlechtern bei? Welche methodischen Mittel werden dabei herangezogen und wie sind diese aus wissenschaftstheoretischer Perspektive zu bewerten? Und 3. Wie wirken geschlechtsspezifische Strukturen der Erkenntnisprozesse auf die Naturwissenschaften selbst ein? Welche vielleicht geschlechtsspezifischen, im Bereich der Naturwissenschaften vor allem typisch männlichen Denkmuster zeigen sich?
Nicht zuletzt haben Geschlechterforscherinnen in verschiedenen Disziplinen – sei es in den Wirtschafts-, den Erziehungs- oder den Kulturwissenschaften den Aspekt von Sex und Gender, also eben die kulturelle Strukturiertheit des vermeintlich rein biologischen Geschlechts, nachhaltig und eindrücklich zum interdisziplinären Gegenstand gemacht. Eine Auseinandersetzung mit den rechtlichen Konsequenzen von Intersexualität ist dabei ebenso anzufinden, wie eine Betrachtung von Körperlichkeit und Weiblichkeitswahn – wie Betty Friedan es nannte – in Kunst und Kultur. Einen kurzen Überblick über die vielfältigen Gebiete feministisch initiierter Forschung bietet der Sammelband Feministische Forschung – Nachhaltige Einsprüche, den Kathrin Heinz und Barbara Thiessen 2003 herausgegeben haben.
Was ist nun also falsch an feministischer Forschung? Nichts ist falsch an ihr. Sie ist genauso berechtigt, wie jede andere Forschung auch und sie hat schon viele nachhaltige Einsprüche gegen vermeintlich unumstößliche „Tatsachen“ liefern können. Die Menschen, die sie betreiben, sind sicherlich ebenso wenig völlig frei von Überzeugungen und Ideologien, wie ihre sämtlichen KollegInnen in den anderen Disziplinen – aber genauso wie sie müssen sie sich an wissenschaftlichen Kriterien messen lassen und stehen im Gegensatz zu diesen breit akzeptierten „Fakten-Lieferern“ noch mehr unter äußerst kritischer Beobachtung. Damit ist feministische Wissenschaft ein fester und wichtiger Bestandteil der Forschung – egal in welcher Disziplin an sich. Wurde auch Zeit, nach so vielen Jahrhunderten quasi rein „maskulistischer“ Forschung.
Literatur:
Evelyn Fox Keller: Liebe, Macht und Erkenntnis: männliche oder weibliche Wissenschaft? Aus dem Amerikan. von Bettina Blumenberg. - Ungekürzte Ausg. - Frankfurt am Main, Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1998
Kathrin Heiz/ Barbara Thiessen (Hrsg.): Feministische Forschung - nachhaltige Einsprüche. Opladen, Leske und Budrich, 2003
Katrin Rönicke, geboren 1982 in Wittenberg, studiert Erziehungswissenschaften und Sozialwissenschaften in Berlin und ist Mutter eines zweijährigen Jungen. Seit April ist sie Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung. Für den Freitag schreibt sie in ihrer wöchentlichen Kolumne über Gender- und Bildungsthemen. Außerdem schreibt sie für den feministischen Blog maedchenmannschaft.net
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