Fast 130 Mal kommt das Wort Familie im Wahlprogramm der CDU vor. Es ist damit häufiger vertreten als Wirtschaft. Auch die Wahlplakatkampagne der Union zielt auf Familien. Aber welche Familie ist eigentlich gemeint? Die Lebensform Einelternfamilie dürfte die Union jedenfalls nicht gerade im Blick haben. Und das, obwohl mittlerweile mehr als zwei Millionen Kinder bei Alleinerziehenden leben und damit gut 16 Prozent aller Minderjährigen. Tendenz steigend. Auf dem Plakat ist das zu sehen, was im Folgenden kurz die Idealfamilie genannt wird: Vater, Mutter, Kind; weiß und deutsch; gut situiert und fröhlich. Sie wird von der deutschen Politik subventioniert: Steuerersparnisse, Kindergeld (das immer wieder erhöht wird), Elterngeld und neu: Betreuungsgeld für jene Familien, in denen einer so viel verdient, dass man es sich leisten kann, dass der andere zu Hause bleibt.
Die Idealfamilie bezieht kein Hartz IV, mit dem das Kindergeld, das Elterngeld und das Betreuungsgeld verrechnet werden. Sie ist keine Regenbogenfamilie, die kein Ehegattensplitting nutzen kann. Sie ist schon gar nicht alleinerziehend. Während sich die einen mit horrenden Elterngeldern einen staatlich subventionierten Urlaub in Thailand gönnen, stehen die anderen ohne jegliche Subventionen da. Zwar gehört die Information, dass Alleinerziehen eines der größten Armutsrisiken in Deutschland darstellt, zum Allgemeinwissen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass über die Belange und Nöte dieser Eltern selten ausführlich debattiert wird. Schon gar nicht so kurz vor einer Bundestagswahl.
Systemische Fehlanzeige
Dabei gehören Trennungen längst zum Alltagsleben in diesem Land. Fast die Hälfte aller Ehen ist zum Scheitern verurteilt. Menschen binden sich immer kürzer, „serielle Monogamie“ nennt das die Soziologie. Die Ursache wird in der zunehmenden Individualisierung gesucht. Wer heute aufhört, seinen Partner zu lieben, der geht seinen Weg eben alleine. Zweckehen werden immer seltener. Dennoch subventioniert der Staat ein altes Modell. Unser Grundgesetz denkt immer noch, dass die Ehe eine Vorstufe der Familie ist – deswegen soll sie geschützt werden. Dabei bleiben knapp zehn Prozent aller Ehen kinderlos. Und immer mehr Kinder werden unehelich geboren.
An der durch Studien belegten schwierigen Lage dieser Einelternfamilien kann man vieles ablesen, sie sind ein Indikator für die soziale Integration der Betroffenen. Neben dem höheren Armutsrisiko werden sie nämlich auch noch häufiger krank. Alltag und Beruf lassen sich für sie oft schwer vereinbaren. Das Vollzeitdogma und die Bereitschaft zu grenzenloser zeitlicher und örtlicher Flexibilität in der Arbeitswelt können sie selten erfüllen.
Im März 2012 legte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Vergleich der Situation der Alleinerziehenden in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Schweden vor. Allen Ländern sei zwar gemein, dass die wachsende Lohnschere insbesondere Einelternfamilien treffe. Doch darüber hinaus gibt es der Studie zufolge Unterschiede. So gehen in Frankreich und Schweden mehr Alleinerziehende arbeiten als in Deutschland. Ein Grund könnte sein, dass Deutschland mit seinem Niedriglohnsektor und den darauf ausgerichteten Gesetzen vor allem schlecht bezahlte Beschäftigungsverhältnisse mit weniger als 20 Stunden pro Woche fördert – eine Einelternfamilie kann davon aber nicht leben. Großbritannien schafft durch Kombilöhne und Schweden durch eine negative Einkommenssteuer hingegen Anreize, mehr zu arbeiten. Ein weiterer Faktor ist die Ausgestaltung der Kinderbetreuungspolitik: Schweden und Frankreich sind bekannt für ihre starken staatlichen Anstrengungen, Kindern und in hohem Maße auch Kindern unter drei Jahren flächendeckende Betreuungsangebote zu bieten – während hierzulande der Kitaausbau stockt. Last but not least ist in Großbritannien seit der Einführung des Mindestlohns im Jahr 1999 das Armutsrisiko Alleinerziehender gesunken. Der Verband Alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) ist das Sprachrohr dieser Gruppe von Menschen, die in Deutschland ungeachtet ihrer steigenden Zahl marginalisiert bleibt. Zur Wahl haben sie zehn Forderungen aufgestellt. Auch hier geht es vor allem um die Bekämpfung des Armutsrisikos: Eine gleichstellungsorientierte Familien- und Arbeitsmarktpolitik soll die Jobaussichten erweitern.
Die Opposition will helfen
Die Sozialleistungen sollen angehoben, eine Kindergrundsicherung und ein Mindestlohn eingeführt, dafür die Minijobs abgeschafft werden. Der VAMV fordert außerdem, dass bedarfsgerechte und gebührenfreie Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für alle Kinder geschaffen werden.
An den Wahlprogrammen für die Bundestagswahl ist ablesbar, wie stark die verschiedenen Parteien solche oder ähnliche Schritte planen. Die Berücksichtigung von Alleinerziehenden fällt erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Die Union legt zwar großen Wert auf die Förderung der Familien, doch Alleinerziehende kommen bei ihnen nur einmal vor: Im Alibi-Satz „Wir legen ein besonderes Augenmerk auf die Bedürfnisse von Alleinerziehenden, denen wir gezielt Rechnung tragen wollen“. Die Linkspartei wird konkreter: Sie fordert, 24 Monate Elterngeld für Alleinerziehende auszuzahlen und dafür das Betreuungsgeld komplett zu streichen. Die Grünen denken an die Betreuungsinfrastruktur, wollen den Unterhaltsvorschuss ausbauen und die Arbeitswelt flexibler auf die Bedürfnisse von Einelternfamilien ausrichten. Die SPD bemängelt: „Zu viele Familien und vor allem Alleinerziehende sind von Armut bedroht.“ Ihnen fällt jedoch kaum mehr ein, als diese steuerlich zu entlasten. Dabei zeigen Studien und zuletzt der Einwurf des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), dass Instrumente wie Steuerersparnisse oder Kindergeld, beide will die CDU als „Familiensplitting“ weiter ausbauen, wieder nur der Idealfamilie zukommen. Mindestlöhne, Kindergrundsicherung und vor allem der Ausbau der Betreuung bleiben damit als Fazit aller Studien der vergangenen Jahre die wirksamsten Hebel. All das findet sich nur in den Wahlprogrammen der jetzigen Opposition – SPD, Grüne und Linke.
Es geht um die Gesellschaft
Die mangelnde staatliche Unterstützung ist auch Thema des Buches Mutterseelenalleinerziehend. Ein Kind und weg vom Fenster der Bloggerin Maike von Wegen. Pünktlich zum Wahlkampf erschien es im August im Knaur-Verlag. Der Staat, ist zu lesen, versage Einelternfamilien „die Möglichkeit eines Lebens jenseits des Existenzminimums. Denn er bietet ihnen durch den Mangel an Betreuungsplätzen keine Möglichkeit, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, und entlässt sie damit in den Bezug von Hartz IV.“
Maike von Wegen spricht nicht nur über die Nöte der Alleinerziehenden. Ihr geht es um die Gesellschaft. Sie empfindet sich als eine von vielen Betroffenen, dazu zählen auch die Kindergärtnerin, Friseure und viele anderen Menschen im untersten Lohnsegment. Deutschland sei noch nie so reich gewesen wie heute, sagt sie, aber dieser Reichtum verteile sich in der Bevölkerung nicht. Ein Fünftel aller Menschen arbeitet im Niedriglohnsektor. Zweitjobs sind derzeit ein neuer Trend. 2,66 Millionen Menschen stocken ihr Einkommen durch einen zweiten Minijob auf. Wie immer mehr Menschen in Deutschland stellt Maike von Wegen die Grundsatzfrage: Warum Arbeit sich nicht lohnt, warum so viele Menschen davon nicht leben können. Sie zeigt: Einelternfamilien sind nur die Spitze des Eisbergs. Unter dem Wasser verbirgt sich eine viel größere Gruppe von Menschen, die bei der derzeitigen Arbeitsmarkt- und Familienpolitik abgehängt wird.
Katrin Rönicke hat vier Jahre lang auf freitag.de eine Genderkolumne geschrieben. Hin und wieder dürfen wir sie jetzt wieder einspannen
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