Netz und Haut

Web-2.0-Fotos Jugendliche inszenieren sich mit ihren Fotos im Internet gern sexy – aber manche brechen auch ganz gezielt Klischees

Wenn man sich anschaut, wie sich Jugendliche bei Flickr, dem Online-Fotoportal, selbst darstellen, kommt man zum Ergebnis: Sexyness ist erstrebenswert. Und das gilt für Frauen und Männer.

Es gibt eine neue Untersuchung darüber, was die Posen auszeichnet, die Jugendliche einnehmen, wenn sie sich online inszenieren – und was sie dabei überhaupt inszenieren. Es ist eine Studie über das Verhalten Jugendlicher in großen Online-Bild-Plattformen wie Flickr und Youtube, Flickernde Jugend – rauschende Bilder. Netzkulturen im Web 2.0. Darin heißt es: Beide Geschlechter halten sich weitgehend an die Geschlechterordnung der westlichen Gesellschaft.

Wollen Männer die engen Vorgaben dieser Norm einhalten, so tun das auffällig viele vor allem durch muskulöse Oberkörper. Frauen hingegen, die in besonderem Maß dem Qualitätsurteil der Oberflächenmakellosigkeit unterzogen sind, erreichen die Norm, wenn sie durch geschicktes Posen ihre Brüste und ihren Po gut zur Geltung bringen können. Sexyness ist inhärenter Bestandteil einer als erstrebenswert angesehenen Selbstdarstellung bei Flickr. Sinnlichkeit als Selbstzweck.

Schief gelegtes Köpfchen

Das gilt nicht durchgehend, aber es gilt für eine Mehrheit. Birgit Richard, Professorin für Neue Medien am Institut für Kunstpädagogik der Universität Frankfurt, hat mit ihrem Team die Plattformen akribisch durchstöbert, Profilfotos, Flickr-Alben und Youtube-Filme gesichtet. Die besagte Mehrheit orientiert sich ihrer Studie nach affirmativ an den Rollenbildern von Stars und Ikonen der Moderne und zieht sie als Vorbilder für die Selbstinszenierung heran.

Es formiert sich aber auch eine Bewegung der Abweichler, die mit Stereotypen bricht. Frauen inszenieren dieses Abweichen deutlich häufiger und radikaler, als es Männer bislang tun.

Weibliche User ironisieren die geltende Norm von Femininität mittels gespielter Weiblichkeit und Niedlichkeit; zum Beispiel legen sie das Köpfchen so unschuldig schief, dass es nur als Ironie zu verstehen ist. So seien Frauen, so die These, in der Lage, Stereotype gezielt zu unterwandern. Männern hingegen sei es verwehrt, Klischees über sich zu brechen: Sie träten nicht um der bloßen Erscheinung wegen auf eine Bildfläche, sondern um einer Tätigkeit willen.

Wenn sich also eine sehr große Zahl von Frauen als „kleines Mädchen“ inszeniert, so nehmen die Wissenschaftler an, dass es sich um einen spielerischen, stereotypbrechenden Umgang mit dem Selbstbild handelt. Wenn Männer sich dagegen als starke Kerle inszenieren, ist das nicht subversiv, sondern eher bekräftigend: Schaut her, ich bin stark!

Einig brechen aber auch bewusst besonders stark mit Rollenbildern. Eine hervorstechende, häufig vertretene Form ist die Frau mit Bart. Wenn sich eine Frau mit Bart zeigt, kann das viele Motive haben: besagten Klischeebruch, aber auch die Parodie von Männlichkeit, echte Mannwerdungsabsichten oder einfach nur Nonsens in Ballermann-Manier.

Eine andere Form ist Aggressivität. Die sexuell aggressiv auftretende Lady Bitch Ray beispielsweise provoziert erfolgreich eine Abwehrreaktion in den eingespielten Auseinandersetzungen mit Männlichkeit, Weiblichkeit und den Herrschaftsverhältnissen zwischen beiden. Sowohl eingefleischte Feministinnen als auch konservative Männer reagieren alarmiert – was genau Lady Bitch Rays Intention sein dürfte. Abweichendes Verhalten und dann auch noch derart sexuell aufgeladen ­– ganz neu ist die Form des Protests freilich nicht. Schon die Schwulenbewegung wusste, wie man damit einen Protest erfolgreich sichtbar machen und aufheizen kann.

Ein ganzes Kapitel der Untersuchung ist den Phänomenen Cyber-Mobbing, Happy Slapping und demütigenden Bildern gewidmet. Während Medien und Politik diese Phänomene gerne aufbauschen, um eine gewaltbereite, asoziale und unmoralische Jugend zu inszenieren, heißt es in der Studie: Es könne davon ausgegangen werden, dass sie nichts anderes als eine Art „logische Fortsetzung“ von sozialem Verhalten bei Konflikten und Wut seien – eine nun eben ver-Web-2.0te Form der Rache, wie es sie schon immer in und zwischen Peer Groups gab. Öffentliche Demütigung ist nicht neu – nur war sie nie so öffentlich möglich wie jetzt.

Jugend ist nicht unmoralisch

Das ist problematisch, denn sind Bilder einmal im Netz, ist ihre Halbwertszeit nicht zu unterschätzen. Doch eine gewalttätigere, unmoralischere Jugend als früher gibt es nicht. Sie hat jetzt nur andere Mittel. Was die Autorinnen und Autoren der Studie als problematisch empfinden, sind die unterschiedlichen Botschaften, die von Öffentlichkeit und Politik an Jungen und Mädchen gesendet werden. Es gab jüngst eine Kampagne der Bundesregierung, in der die Folgen von unkontrolliertem Alkoholkonsum gerade für Frauen thematisiert wurden: Sie könnten sich etwa nackt im Internet finden. Die Kampagne vermittelt unterschwellig die Botschaft, dass Frauen, wenn sie die Kontrolle verlieren, als Opfer enden und Männer zu Tätern werden. Diese Botschaft enthält ein indirektes Tabu von weiblichem Kontrollverlust. Zudem wohnt eine Selbst-Schuld-Suggestion inne, die zutiefst anti-emanzipatorisch ist.

Die Flickr-Gruppe „Betrunkene Frauen“, ebenfalls Bestandteil der Untersuchung, scheint diese Art des Alarmismus freilich zu bestätigen: Männer teilen Bilder ihrer unkontrollierten betrunkenen Freundinnen oder Ehefrauen mit einer anonymen Internet-Gruppe. Viele sind hier nur als Spanner Mitglied. Natürlich ist das problematisch. Kontrollverlust gehört aber ebenso in die Lebensrealität von jungen Frauen wie in die von jungen Männern. Das rechtfertigt weder, diesen zu publizieren, ohne dafür eine Einwilligung zu haben, noch rechtfertigt es eine paternalistische Bevormundung durch staatliche Kampagnen. Selbstermächtigung ist ein großes Thema in den Bildern junger Frauen. Es sollte auch in der Auseinandersetzung mit den problematischen Ausprägungen des Web 2.0 die wichtigste Prämisse sein.

Katrin Rönicke, 28, tritt im Web 2.0 als Simpson-Charakter auf oder legt – natürlich subversiv! – ihr Köpfchen schief

Wolfram Hahn, 30, hat junge Leute dabei aufgenommen, wie sie sich für ihre Online-Profile selber fotografieren. Das Bild oben stammt aus einer Serie, die Teil seiner Diplomarbeit an der Fachhochschule Potsdam ist. Im Februar wird sie in Berlin gezeigt. Mehr Infos: wolframhahn.com

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Katrin Rönicke

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