Manchmal beobachte ich einfach die Welt um mich herum. Sie hat sich in viele unterschiedliche Pole aufgeladen. Wir haben reiche Menschen, arme Menschen, gut gebildete und solche, die wir in den Medien als „bildungsfern“ bezeichnen. Wir haben Menschen, die hier geboren wurden, Menschen, die hier her kamen, Menschen die weiß sind, schwarze, Menschen, die asiatisch aussehen.
Doch eine Kategorie, die all die Pole noch ein letztes Mal, dafür aber auch am gründlichsten dividiert ist: das Geschlecht. Meist schon auf den ersten Blick unterscheiden wir in Männer und Frauen. Was dazwischen liegt, das beginnen wir gerade jetzt erst zu benennen und sichtbar zu machen. Intersexuelle, Transmenschen, queere Menschen. Wir erkennen so jeden Tag aufs Neue und ziemlich schnell, dass um uns herum viele anders sind. Und seien wir ehrlich: Wir haben auch den Überblick verloren. Wir interessieren uns oft für „das Andere“ nicht und wir verstehen es auch nicht.
Je homogener hingegen eine Gruppe ist, desto besser verstehen wir die anderen. Und werden selbst verstanden. Diese größeren Chancen, zu verstehen und verstanden zu werden, geben uns ein Gefühl der Sicherheit, der Geborgenheit. Wir können uns eher fallen lassen, können einfach besser die sein, die wir sind. Auch und vor allem entlang unseres Geschlechts. Es gibt Frauenräume und Männergruppen, es gibt in Toronto eigene Bathhouses für Frauen und Transmenschen; Queere und Intersexuelle Menschen haben sich Räume geschaffen, wo sie unter sich sind, wo sie verstanden werden, auch im Netz. Dabei wollen wir, ich unterstelle das zumindest, eine Gesellschaft, in der das biologische Geschlecht keine Auswirkungen mehr auf unsere politischen Einflussmöglichkeiten, unser ökonomisches Fortkommen und unsere soziale Teilhabe mehr hat.
Zum Mann erst gemacht
Dass wir auf dem Weg zur Vision getrennte Räume schaffen, ist dabei kein Widerspruch. Die Realität ist nämlich eine knallhart andere. Nach wie vor haben Frauen signifikant weniger Einfluss in der Politik; signifikant weniger Teil am Vermögen der Welt, signifikant höhere Verantwortung für die sozialen Aufgaben der Gesellschaft. Lesben, Schwule, Transmenschen und Intersexuelle stehen viel zu oft noch am Rand der Gesellschaft, werden einfach nicht mitgedacht. Gelten immer noch nicht als „normal“.
Eine Frau stellt tagtäglich fest: Männer sind anders. Das ist aber keine Gegebenheit qua Biologie. Nein. Das „Anderssein“ der Männer ist gemacht – so wie es Simone de Beauvoir einmal über die Frauen schrieb, werden sie nicht als solche geboren. Es ist mein Sohn, der mir diese Tatsache immer wieder vor Augen führt. Er ist zwar ein Junge, aber ich verstehe ihn, sehe ihn, empfinde ihn überhaupt nicht als so signifikant anders, als ich selbst es mit fünf Jahren war.
Mehr und mehr Frauen meiner Generation finden dieses gegenseitige Verständnis auch in Männern. Doch es bleibt immer so ein kleines Quäntchen Unsicherheit und Misstrauen. Denn die Dinge liegen, wie sie liegen und ich erspare es mir, alle Statistik zum Stand der Emanzipation 2012 herauszuholen. Der Gleichstellungsbericht, der 2011 von der Bundesregierung herausgegeben wurde, hält bis ins Detail fest, wie lang der Weg noch ist, der vor uns liegt. Wenngleich wir also im Privaten vielleicht Männer gefunden haben, denen wir zutrauen, gemeinsam mit uns diese Emanzipation zu machen – gesamtgesellschaftlich sehen wir nach wie vor die „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“, wie sie Ulrich Beck schon vor über 20 Jahren deutschen Vätern bescheinigte.
Vertrauen? Wozu?
Männern als der Hälfte der Gesellschaft zu vertrauen, fällt angesichts der Lage gerade vielen bewegten Frauen irre schwer. Feministinnen haben einen Begriff für ihr Misstrauen geprägt: Das Patriarchat. Eine Herrschafts-Diagnose. Unterdrückung von Frauen und auch Gewalt – das seien die allgegenwärtigen Symptome. Sexuelle Gewalt und auch häusliche Gewalt gehen zu einem großen Teil von Männern aus. Ein weiterer Begriff: „Rape Culture“, der aussagt, unsere Gesellschaft sei tendenziell dabei, Vergewaltigungen als Problem zu verharmlosen, oder gar den Opfern die Schuld zuzuschreiben. Drittens: Hegemoniale Männlichkeit – sie ist für Frauen eine permanente potenzielle Bedrohung.
Wer einmal die Geschlechterbrille aufgesetzt hat und mit offenen Augen die Welt betrachtet - ein bisschen wie im Film Matrix: Wer einmal die rote Pille geschluckt hat - kann die Welt nicht mehr mit anderen Augen sehen. Wie soll man da „einfach vertrauen“?? Das ist häufig schlichtweg nicht möglich. Vorauseilender Ungehorsam – damit fahren viele Frauen gefühlt sicherer. Das Problem ist: Die eben genannten Begriffe haben mit Sicherheit ihre Legitimation, sie beschreiben reale Probleme. Aber sie beinhalten einen Generalverdacht gegen Männer.
Warum vertrauen? Wozu? Weil wir nur, wenn wir wenigstens ein bisschen vertrauen, auch die Verantwortung aus der Hand geben können. Natürlich müssen die Parameter dafür stimmen. Wir können nur denjenigen Menschen vertrauen, die auch Verantwortung übernehmen. Auf der Mikroebene bedeutet das, dass wir die stereotype Rollenaufteilung qua Geschlecht absichtlich thematisieren und gemeinsam anders handeln müssen.
Dazu müssen wir es schaffen, uns davon zu lösen, einander weiterhin als „die anderen“ zu sehen. Wir müssen beginnen, einander zu vertrauen. Nur wenn auch Männer anfangen, die Verantwortung für die Entwicklung der Geschlechterdemokratie zu übernehmen, wird sie wirklich gelingen. JedeR muss sie selbst leben. Wir Frauen können es den Männern nicht abnehmen, es selbst zu tun. Und wir müssen sie es selbst tun lassen. Das Gemeine daran: Sie müssen es auf ihre Weise tun. Und wir müssen irgendwoher das Vertrauen nehmen, dass ihre Weise auch okay ist. Dass es irgendwo einen gemeinsamen Weg gibt. Dass wir am Ende an einem Strang ziehen.
Das Problem ist deutlich: Je „mächtiger“ eine Gruppe ist oder wird, desto schwerer ist es, ihr zu vertrauen. Weil es so schwer ist, in einer durch und durch gegenderten Gesellschaft noch Vertrauen zu haben, ist es ratsam, klein anzufangen: Legt die Verantwortung auf den Tisch. Da, lieber Mann, liebe Frau, da liegt sie. Nimm sie, ich lass sie dir auch. Ich hol sie mir nicht mehr zurück. Denn ich weiß: Du wirst jetzt mitmachen und wir teilen uns diese Welt jetzt friedlicher, auf Augenhöhe, respektvoll. Dass alle Menschen, unabhängig vom Geschlecht, diese Verantwortung tragen, das ist die Mindestvoraussetzung, das muss default sein. Das impliziert natürlich auch, dass wir all jene, die sie nicht wahrnehmen, zur Rechenschaft ziehen.
Offen und wachsam
Persönlich fahre ich seit langem in allen möglichen Bereichen diese „Politik“: Größtmögliche Offenheit gegenüber anderen, trotzdem wachsam bleibend.
Momentan liegt die Verantwortung für die Emanzipation vor allem bei den Frauen – und daran sind nicht nur die Männer schuld. Wir Frauen wollen gerne die Kontrolle darüber haben, dass es auch wirklich „richtig“ läuft. Mit dem Argument, dass Männer privilegiert sind, grenzen wir sie tendenziell davon aus, aktiv mitzugestalten, wie die Sache laufen könnte. Wir leben nun einmal in einer Gesellschaft, in der man Frauen und Männer nicht nur biologisch, sondern auch an ihrem Handeln unterscheiden kann. Sie alle tun ihr Geschlecht. Permanent. Sie unterscheiden sich in diesem tun massiv. Das Paradoxe ist, dass wir diese Differenz erst thematisieren, dann auch „aushalten“ können müssen, um in der Inklusion des „Anders-Tuns“ in die Reihe legitimer Handlungen einander mehr und mehr auf Augenhöhe begegnen zu können.
Dies ist ein Drahtseilakt, angesichts der Tatsache, dass diese Gesellschaft entlang von Geschlechtergrenzen hierarchisiert ist.
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