Zusammenerziehend!

Kolumne Warum denken bei dem Wort "alleinerziehend" alle nur an Frauen? Unsere Kolumnistin plädiert für ein weitergefasstes Verständnis von Erziehung – gerade bei Trennungen

Wenn eine Frau, die zusammen mit einem Mann ein oder mehrere Kinder hat, sich von diesem Mann trennt oder gar nie fest mit ihm zusammen war, dann nennt man sie "alleinerziehend" – egal, wer die Kinder erzieht. Zwar ist es in der deutschen Muttermythos-Gesellschaft nach wie vor typisch, dass eine Mutter in dieser Situation mehr oder weniger (mutterseelen-)allein erzieht. Trotzdem ist es gleichzeitig symptomatisch, wenn es für andere Konzepte gar kein Wort gibt. Wenn also zwei oder mehrere Menschen an der Erziehung von Kindern teilhaben, ohne eine Paarbeziehung zwischen sich, wie nennt man das dann eigentlich? Da reden viele von "Patchwork" – aber niemand bezeichnet sich selbst als "patchworkend". Oder wenn Kinder zwischen zwei Orten "pendeln", zwei Zuhause haben – von denen keines mehr oder weniger wichtig für sie ist? All diese Lebenskonzepte werden unter "alleinerziehend" subsummiert. Das Wort "zusammenerziehend" ergibt keine relevanten Suchmaschinen-Treffer. Geschweige denn, dass es für dieses Wort eine statistische Kategorie gäbe!

Unheilvolle Assoziationskette

Das Interessante ist, was nun passiert, wenn eine Frau sich "alleinerziehend" nennt oder von anderen so genannt wird – was sich dann für eine Assoziationskette in den Köpfen abgespielt! Da ist das vaterlose Kind, das größere Armutsrisiko, die Vielfachbelastung und das alles generiert Mitleid, Bedauern und letztendlich: Schwäche. Diese Frau hat es schwer. Alleinerziehende Väter sind rar, werden aber mehr. Nur: Sie stellt man sich bei der statistischen Zusammenfassung "Alleinerziehende in Deutschland" gar nicht erst vor. Sie fallen einfach raus. Wenn sie an der Erziehung der Kinder genauso teil haben, wie deren Mütter, dann steht man ihnen zwar bewundernd, aber ohne Begriffe für das, was sie da leisten, gegenüber.

Das Fehlen eines Wortes, so behaupte ich, konstruiert hier eine ganz ungute Dynamik: Es macht Frauen nicht nur Angst, sich in diesen mit lauter negativen Attributen belegten "Zustand" zu begeben (und damit in ein Armutsrisiko und eine ganz allgemeine Opferrolle) – womit die Vater-Mutter-Kind-Familieals normatives Deutungsmuster wieder einmal gestärkt wäre. Es reproduziert gleichzeitig viele Rollen-Stereotype rund am den ganzen Themenkomplex "Familie". Trotz aller progressiven Diskussion rund um den Begriff "Familie", der sich in den vergangenen Jahrzehnten vielerorts entwickeln konnte, werden wir auf diese Weise von hinten durch die Brust ins Auge getroffen: Als "Alleinerziehende" reproduziert eine Frau den Muttermythos.

Da stellt sich doch die Frage: Warum gibt es eigentlich keine Kultur des Zusammenerziehens?


In erster Linie, wird man mit Blick auf die Familienstatistik sagen können, liegt das daran, dass es immer noch keine Kultur des präsenten Vaters gibt. Zumindest nicht in der breiten Masse. Projekte wie der Väterblog brechen diese Lücke auf, werden aktiv, motivieren. Und viele kleine Projekte aka Gleichberechtigte Elternschaft brechen im Kleinen mit der Tradition (wie etwa Susanne Klingner). Der zweite Knackpunkt ist, dass es in Deutschland keine "Trennungskultur" gibt – wie Mathias Voelchert beklagt. Das bedeutet, dass viele Paare sich heute noch auf die schlechtmöglichste Art und Weise trennen, egal, ob da gemeinsame Kinder sind oder nicht. Sie schlagen in ihrer Wut, Trauer und Enttäuschung alles so kaputt, dass hinter ihnen nur noch ein Scherbenhaufen bleibt, der es dann nicht mehr wirklich ermöglicht, zusammen an einem Strang zu ziehen. Erst langsam setzt sich in dieser Gesellschaft die Idee durch, dass eine Trennung auf der "Paarebene" noch lange keine Trennung auf der "Elternebene" bedeuten muss. Letztendlich zeigt es auch, dass eine Beschäftigung mit dem Thema "Trennung mit Kindern" viel stärker als bislang in die Hände der Väter gehört.

Natürlich sind viel zu viele Frauen alleinerziehend – und können es sich auch nicht wirklich anders aussuchen. Es steckt noch sehr tief in unserer Kultur, dass Frauen sich um die Kinder kümmern (dazu wird demnächst das spannende Buch Mamaland von Sabine Scholl erscheinen; eine erste Impression gibt es in Lettre International). Aber wieso fangen wir nicht endlich an und schaffen mit neuen Wörtern die Startbahn für neue Realitäten? "Zusammenerziehend" kann dabei vieles bedeuten: Dass zwei Personen, in der Regel die leiblichen Eltern, trotz Trennung auf der "Paarebene" gemeinsam Verantwortung übernehmen, gleich präsent sind. Oder dass sogar 2+x Personen daran teilhaben.

Familie ist eine Verantwortungsgemeinschaft – das geht weit über Vater, Mutter und Kind(er) hinaus. Der Soziologe Hans Bertram spricht zum Beispiel von einer "multilokalen Mehrgenerationenfamilie" – ein modernes Konzept, bei dem die Großeltern, wenngleich sie oft weit weg wohnen, sehr aktiv an der Erziehung teilhaben. "Multilokal" – das kann ja auch auf die Situation der leiblichen Eltern zutreffen. Und dann kommen noch die – wie Jesper Juul sie nennt – "Bonuseltern" ins Spiel. Schlussendlich sollten wir uns vielmehr die Frage stellen: Wer trägt in einer Gesellschaft die Verantwortung für die Kinder? Und warum ist es für uns so selbstverständlich geworden, diese Verantwortung ins Private, zur Mutter abzuschieben – anstatt dass sich wie in einem afrikanischen Sprichwort "ein ganzes Dorf" dafür mitverantwortlich fühlt?

Katrin Rönicke schreibt in dieser Kolumne über Gender- und Bildungsthemen, zuletzt über spielzeugfreie Kindergärten. Sie kolumniert immer mittwochs im Wechsel mit Verena Reygers, die sich mit Genderthemen in der Musikbranche befasst.

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Katrin Rönicke

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