MENSCHEN, MONSTER UND MUTANTEN Brian Singer hat die Comicserie »X-Men« verfilmt. Als Kreuzung aus launischer Natur und technischer Überlegenheit nehmen sie die evolutionäre Hürde, an der die Menschen scheitern
Im Jahr 1963 waren sie the most unsusual teen-agers of all time: Hank McCoy, Warren Worthington der Dritte, Slim Summers, Bobby Drake und Jean Grey - besser bekannt als Beast, Angel, Cyclops, Iceman und Marvel Girl. Diese fünf bildeten die erste Generation von jungen Mutanten, die Professor Xavier per Gedankenübermittlung zum täglichen Unterricht rief. Auch Superhelden müssen schließlich zur Schule gehen; das wird dem pubertierenden Leser damals nicht entgangen sein. Mit zunehmendem Alter der X-Men wurden die pädagogischen Untertöne jedoch überflüssiger. Zwar nimmt Xavier immer noch Mutanten in seine »Schule für begabte Jugendliche« auf, aber Cyclops z. B. hat längst geheiratet. Die X-Men verkörpern insofern nicht mehr b
46;rpern insofern nicht mehr bloß typische Teenager-Erfahrungen. An einer rätselhaften Abnormität und der wachsenden Entfremdung von ihrer Umgebung leiden offenbar viel mehr Leute als man denkt.Bryan Singers Adaption der Comic-Serie stellt denn auch gleich klar, dass Mutanten für alle möglichen Minoritäten einstehen. Kurze Rückblenden verraten, dass der finstere Erik Magnus Lehnsherr alias Magneto (Ian McKellen) als Kind in einem deutschen KZ interniert war, und der US-Senat plant gerade die ersten Rassengesetze, um die menschliche Spezies in Zukunft vor Überfremdung zu schützen. Vor diesem Hintergrund gerät der Kampf der X-Men gegen Magnetos Bruderschaft der bösen Mutanten zu einer Art politischen Kontroverse. Wobei erstere sich für eine Versöhnung mit den Menschen einsetzen und letztere sie für immer entmachten wollen, laut Magneto sogar by all means necessary. Trotz ihrer Hautfarbe werden Professor Xavier und Magneto deshalb auch gerne mit Martin Luther King jr. und Malcom X verglichen, eine Analogie, die zunächst mal deutlich macht, wie das X seine Kreise zieht - als Zeichen einer genetischen Differenz und als Platzhalter für einen verlorenen Namen bzw. eine unbekannte Identität.Nun werfen die politischen Anspielungen zwar einen langen Schatten auf das High-Tech-Spektakel, aber nur wenige Figuren haben Gelegenheit, auch den entsprechenden Tiefgang auszuspielen. Da hält man sich am besten an Wolverine (Hugh Jackman), ein Kotelettenmonster mit selbstheilenden Kräften, einem Skelett aus Metall und ohne jede Erinnerung an seine Vergangenheit. Eigentlich will sich der Einzelgänger gar nicht mit den X-Men zusammentun, schon die Uniformen findet er albern (Cyclops Frage »Was hast du erwartet, gelben Stretch?» ist einer der wenigen Insider-Witze des Films und bezieht sich auf die früheren Kostüme der Comicfiguren). Dass Wolverine sich dann doch bei Xavier verdingt, ist vor allem Rogue (Anne Paquin) zu verdanken, einem liebeshungrigen Teenager, der niemanden anfassen kann, ohne ihm seine Lebensenergie abzusaugen. Selbstredend führt das zu sehr romantischen Momenten, z. B. wenn Wolverine das Mädchen aus Versehen mit seinen ausfahrbaren Klauen durchbohrt und sie ihn endlich berührt (und beinahe tötet), um selber nicht zu sterben.Dass die X-Men ständig Gefahr laufen, sich gegenseitig umzubringen, hat allerdings nicht nur mit ihren sexuellen Obsessionen zu tun. Während Cyclops jahrelang darunter litt, dass sein Laserblick alle Frauen bedroht, die ihm nahe kommen, setzte der Wetterfee Storm eher ihre gesellschaftliche Verantwortung als X-Man zu - ein Konflikt, der sich in immer gemeingefährlicheren Gewitterattacken äußerte. Im Film ist die ehemalige Wortführerin der Gruppe nun zwar eine Randfigur und Cyclops hat sich sowieso zum Dünnbrettbohrer entwickelt (soweit man das ohne Denkblasen sagen kann). Mit ihrem Schicksal hadern die X-Men aber immer noch, was sich spätestens beim Showdown zeigt. Wie zu Demonstrationszwecken hat Magneto seine Widersacher so gefesselt, dass sich ihre Waffen gegeneinander richten, die Rettung der Vereinten Nationen also fast zum kollektiven Selbstmord ausartet. Schließlich steht die Unkontrollierbarkeit der mutierten Körper auch im Widerspruch zu dem Versuch, die alte Ordnung zu wahren. Anders als Helden wie Batman oder Superman fügen sich die X-Men schon nicht mehr in das Gemeinwesen ein, das sie verteidigen.Der Film endet deshalb auf einer provisorischen Note, Xavier und Magneto spielen erst einmal eine Partie Schach. Voraussichtlich werden die Mutanten aber die evolutionäre Hürde nehmen, an der die Menschen scheitern. Denn die X-Men sind nicht nur schwarz, blau, telepathisch oder superstark, sondern auch eine Kreuzung aus launischer Natur und technischer Überlegenheit. Dabei bleibt die Gentechnik wohlgemerkt tabu; Magnetos größtes Verbrechen besteht darin, dass er selbst Mutanten herzustellen versucht. Allerdings sieht der formlose Blob aus seinem Labor auch nicht gerade wie ein Homo Superior aus: Mit ihren eingewachsenen Messern, Laseraugen und Gedankenverstärkern gleichen zumindest die X-Men eher den klassischen Cyborgs. Und im Gegensatz zu Wolverine, der noch an seinen Implantaten leidet, fühlt sich Professor Xavier (Star-Trek-Glatze Patrick Stewart) in seinem Geräte-Park schon ganz wohl. Da er im Rollstuhl sitzt, liefert er sich nur mentale Gefechte, kann aber die gesamte Welt bereisen, indem er sie in die Kuppel des Cerebros projiziert - eine Gehirnerweiterung und kugelrundes Kino zugleich. Ein Cinema-X, wenn man so will.Dass Mutationen erlauben, die körperliche Realität hinter sich zu lassen, statt sich mit ihr abzuquälen, hätte man sich natürlich denken können. Nicht zuletzt will der Film ja seine eigenen Entwicklungssprünge veranschaulichen. Manchmal scheint es sogar, als ob die X-Men für das Kino erfunden worden sind: Telekinese z. B. ist auf dem Papier schwer darzustellen, während die Objekte jetzt mühelos durch den Raum schweben können. Und wo sich die Zeichner früher mit welligen Linien behalfen, um ein Kraftfeld darzustellen, kann die Kamera kurz vor dem Einschlag einer Kugel ihre Bewegung abbremsen. Ganz zu schweigen von meterlangen Zungen oder der Verflüssigung eines amerikanischen Senators - die genetisch veränderten Körper gehen vollkommen in der Tricktechnik auf (F/X ist nicht umsonst ein Kürzel für Effects). So haben die Mutanten zwar in der xenophoben Gesellschaft einen schweren Stand, aber wenigstens im Kino eine neue Bleibe gefunden. Hier galt die Unterscheidung von Mensch und Monster schließlich noch nie sehr viel.
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