Im Juli hatte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sieben Gebote zur Reform der Sicherungsverwahrung an ihre Kollegen in den Ländern geschickt. Zunächst hat sie damit vor allem für Empörung gesorgt. Quer durch alle Lager. Nicht nur, dass der bayerische Innenminister Joachim Hermann (CSU) gewohnt plakativ polemisierte: „Wir brauchen kein Wohlfühlprogramm für Vergewaltiger und Kinderschänder.“ Auch der Hamburger Justiz-Staatsrat Ralf Kleindiek (SPD) kritisierte das Papier. Die Ministerin vernachlässige „in gravierender Weise die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung“.
Dabei versucht die Bundesjustizministerin nichts anderes, als jene Vorgaben umzusetzen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 gemacht hat. Das Gericht hat die Sicherungsverwahrung in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung umfassend für verfassungswidrig erklärt.
Karlsruhe folgte damit nicht nur den Beschwerdeführern und rügte die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung und deren nachträgliche, unbefristete Verlängerung – weil es das Gebot des Vertrauensschutzes verletzt sah. Vielmehr verlangte es überraschenderweise sogar eine umfassende Neuregelung der Sicherungsverwahrung insgesamt, weil es die verfassungsrechtlich gebotene Unterscheidung zwischen der Freiheitsentziehung durch Sicherungsverwahrung und der durch Strafvollzug nicht gewährleistet sah.
In der Praxis glich der Alltag eines Häftlings dem eines Sicherungsverwahrten. Dabei dient die Freiheitsstrafe per definitionem der Vergeltung schuldhaft begangener Straftaten, während die Sicherungsverwahrung die Verhinderung zukünftiger Straftaten verfolgt. Sie beruht lediglich auf einer Gefährlichkeitsprognose und legt dem Betroffenen damit ein Sonderopfer auf. Deshalb dürften über den unabdingbaren Entzug der „äußeren“ Freiheit hinaus für den Sicherungsverwahrten keine weiteren Belastungen im Anstaltsalltag hinzukommen.
Für diese Neuregelungen haben Bund und Länder nun bis Mai 2013 Zeit. Aber bis dahin ist noch viel zu tun. Der Bundesgesetzgeber muss die wesentlichen Leitlinien formulieren. Diese Leitlinien sollen sich auch auf das Therapieangebot erstrecken, das normalerweise ausschließlich in der Reglungsmacht der Länder liegt.
Nach dem Karslruher Urteil darf die Sicherungsverwahrung nur dann angeordnet werden, wenn weniger einschneidende Mittel wie Führungsaufsicht für die Sicherheit der Allgemeinheit nicht ausreichen. Zur Umsetzung dieses Gebots will das Bundesjustizministerium nun einen Täter dann nicht mehr in der Sicherungsverwahrung unterbringen, wenn ihm während seiner vorhergehenden Haft kein auf ihn zugeschnittenes Therapieangebot gemacht worden ist.
Verwahrung auf Bewährung
Vielmehr soll die Sicherungsverwahrung in so einem Fall zur Bewährung und gegen Führungsaufsicht ausgesetzt werden. Müsse sie dennoch vollstreckt werden, bestehe die Verpflichtung der Anstalt zu intensiver und individueller Betreuung und Behandlung, zu der der Verwahrte zudem extra motiviert werden müsse. Auch soll er zur Lockerung seines Vollzuges „möglichst früh“ – je nach Gefahrenprognose – begleitete oder unbegleitete Ausgänge bekommen. Die Unterbringung soll den allgemeinen Lebensverhältnissen angepasst und vom Strafvollzug getrennt erfolgen. Zur Durchsetzung dieser neuen Maßnahmen soll der Rechtsschutz der Verwahrten und die Kontrollmöglichkeit des Gerichts verbessert werden.
Über diesen ehrgeizigen Katalog an Vorschlägen müssen sich die Bundes- und Landesjustizminister nun einigen – wenn nicht, droht die Entlassung der dann noch in Sicherungsverwahrung Sitzenden. Das ist ein Zustand, den kaum einer der politischen Beteiligten will. Das wurde bei der erst im Januar in Kraft getretenen jüngsten Reform der Sicherungsverwahrung deutlich. In der vorangegangenen Debatte war nur von Teilen der Fraktion Die Linke gefordert worden, die Sicherungsverwahrung gänzlich abzuschaffen.
Diese Reform wiederum war notwendig geworden, um ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof von Dezember 2009 umzusetzen. Der Gerichtshof hatte entschieden, dass die nachträgliche Beseitigung der Zehnjahreshöchstfrist der Sicherungsverwahrung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße.
Zu Beginn dieses Jahres urteilte er zudem, dass auch die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung dem Europäischen Menschenrecht widerspreche. Der Bundestag setzte die Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof aber bislang unvollständig um, indem er nur für Neufälle die nachträgliche Verhängung der Sicherungsverwahrung untersagte. Für Altfälle sollte sie dagegen erhalten bleiben.
Für die ungefähr 105 Sicherungsverwahrten, die nach dem Straßburger Urteil zwingend entlassen werden mussten, weil ihre zunächst auf 10 Jahre begrenzte Verwahrung nachträglich entfristet worden war, schaffte der Bundestag das Therapie-Unterbringungsgesetz, dem viele Juristen und Teile der Grünen skeptisch gegenüberstehen.
Das Gesetz erlaubt, die zu entlassenden oder bereits entlassenen EGMR-Altfälle doch wieder zwangsweise unterzubringen, wenn zwei Gutachten bestätigen, dass sie „psychisch gestört“ und deshalb fortdauernd gefährlich sind. Außerdem wurde die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, entlassene Ex-Sicherungsverwahrte mit einer elektronischen Fußfessel zu überwachen.
Das Therapie-Unterbringungsgesetz und die elektronische Fußfessel sind vom Bundesverfassungsgericht nicht kritisiert worden. Die meisten anderen ohnehin komplizierten und gerade erst reformierten Vorschriften der Sicherungsverwahrung müssen aber geändert werden. Dafür haben sich in der vergangenen Woche erstmalig die Justiz-Staatssekretäre von Bund und Ländern getroffen.
Die Länder fürchten die erhöhten Kosten eines verbesserten Therapieangebots, das den von Sicherungsverwahrung Betroffenen zu machen ist. Zugleich fürchten sie auch die Kosten der erforderlichen Rund-um-die-Uhr-Überwachung von entlassenen Ex-Sicherungsverwahrten durch die Polizei. Sie wollen deshalb verhindern, dass Sicherungsverwahrte überraschend entlassen werden müssen, weil ein Gericht das ihnen unterbreitete Therapieangebot nicht für ausreichend hält.
Jenseits dieser Sachargumente bietet die Diskussion um die Sicherungsverwahrung, die an den Ängsten der Menschen vor Schwerstverbrechen rüttelt, einigen Landespolitikern auch beste Gelegenheit, sich als Sicherheitspolitiker zu profilieren. Deshalb könnte es sein, dass letztlich niemand sich traut, die Sicherungsverwahrung auf schwere Sexual- und Gewaltdelikte zu beschränken. Nach gegenwärtigem Recht kann sie auch bei bestimmten Vermögensdelikten angeordnet werden.
Kirsten Wiese ist Juristin und freie Autorin
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