Achtung, Achtung! Es spricht die Gegenwartsphilosophie, und das klingt so: „Die Freiheit wird eine Episode gewesen sein. Episode heißt Zwischenstück. So folgt auf die Befreiung eine neue Unterwerfung. Das ist das Schicksal des Subjekts, das wörtlich Unterworfensein bedeutet.“ „Psychopolitik“lautet das Thema des neuen Essays von Byung-Chul Han. Mit einer schnellen Folge von Büchern hat sich Han, Professor für Kulturwissenschaft an der UdK in Berlin, in den vergangenen Jahren einen publizistischen Namen gemacht. Von der Müdigkeitsgesellschaft (2010) über die Transparenzgesellschaft (2012) bis jetzt zur Psychopolitik ist der Generalbass seiner Äußerungen ein kulturkritischer Ton, wie man ihn aus Karlsruhe, wo er ebenfalls Station gemacht hat, kennt. Der interessierten Öffentlichkeit (deren Zerfall er beklagt) empfiehlt sich Han mit einer entsicherten Essayistik, die auf wissenschaftlichen Imponierballast wie Zitate, Fußnoten oder Querverweise verzichtet und sich ganz auf das eigene Genie verlässt. Nur geht bei dieser Entschlackungskur die gedankliche Substanz gleich mit über Bord.
Die These, die in Psychopolitik verfochten wird, geht ungefähr so: Waren es in der älteren Moderne die perfiden Herrschaftstechniken von Staat und Kapital, die die Unterdrückung und Ausbeutung des Menschen ins Werk gesetzt haben, so sind es nunmehr, im Zeichen des „Neoliberalismus“, die beständig gegebenen Anreize zur Selbstausbeutung im digitalisierten Kapitalismus, die den Menschen ihre Unfreiheit als Freiheit erscheinen lassen sollen. Verantwortlich hierfür sind ebenjene Mechanismen einer „Psychopolitik“, die Han in der digitalen Gegenwartskultur von Facebook, Smartphone & Co. realisiert sieht: „Jedes Dispositiv, jede Herrschaftstechnik bringt eigene Devotionalien hervor, die zur Unterwerfung eingesetzt werden. Sie materialisieren und stabilisieren die Herrschaft. Devot heißt unterwürfig. Das Smartphone ist eine digitale Devotionalie, ja die Devotionalie des Digitalen überhaupt. Als Subjektivierungsapparat fungiert es wie der Rosenkranz, der in seiner Handlichkeit auch eine Art Handy darstellt.“ Abgesehen von solchen Aperçus verzichtet Han darauf, seine Vorstellung von einer „Psychopolitik“ weiter zu begründen oder wenigstens zu erläutern.
Wo gedankliche Tiefe und argumentative Klarheit fehlen, da glauben deutschsprachige Autoren, Essays zu verfertigen. In einer kleinen Polemik hat Kurt Tucholsky Anfang der 30er darüber das Nötige gesagt: „So, wie es, nach Goethe, Gedichte gibt, in denen die Sprache allein dichtet, so gibt es Essays, die ohne Dazutun des Autors aus der Schreibmaschine trudeln. Der Essaystil ist der Mißbrauch einer zu diesem Zweck erfundenen Terminologie. Es ist eine ganze Industrie, die sich da aufgetan hat, und sie hat viele Fabrikanten.“
Hans Götterhimmel
Han fabriziert eine lockere Assemblage von Gedankensplittern, Angelesenem und Ausgedachtem. Da wird die Lebens- und Arbeitswelt „gamifiziert“, der „Dataismus“ als „digitaler Dadaismus“ erkennbar, und immer so fort. Gelegentliche Inkohärenzen, gar offenkundig Widersprüchliches glättet der raunende Ton der Tiefdenkerei. So heißt es auf Seite 15: „Das neoliberale System ist kein Klassensystem im eigentlichen Sinne mehr.“ Bis auf Seite 90 steht, „Big Data lässt eine neue digitale Klassengesellschaft entstehen“, hat man’s hoffentlich vergessen.
Erstaunlicherweise verursacht gerade der unbedingte Wille zur Pointe die Haltlosigkeit dieses Textes. Beinahe jeder Absatz endet mit einer zur zitierbaren Phrase zurechtgeklopften Formulierung der Schlechtigkeit der Welt im Cinemascope-Format. Im nächsten Absatz kommt dann etwas anderes. Damit dem Leser die Dringlichkeit der Zuspitzung ja nicht entgeht, hilft Han typografisch nach: „Wir glauben heute, dass wir kein unterworfenes Subjekt, sondern ein freies, sich immer neu entwerfendes, neu erfindendes Projekt sind.“ Oder: „Das Soll hat eine Grenze. Das Kann hat dagegen keine. Grenzenlos ist daher der Zwang, der vom Können ausgeht.“ Der schnelle Griff zur Kursive ist eine Marotte, die er sich von Derrida, Foucault, Baudrillard und so weiter abgeschaut hat. Überhaupt der Poststrukturalismus: Hans Götterhimmel ist mit Foucault, Deleuze und Agamben dicht besetzt. Hinzu kommt etwas Heidegger, dessen Etymogeleien er schon ganz gut imitiert („Freiheit und Freund haben im Indogermanischen dieselbe Wurzel“), und ein Schuss Nietzsche.
Einige Seiten Foucault-Referat aus dem Notizbuch aber machen noch nicht klar, warum dessen „Biopolitik“ überholt und durch die Han’sche „Psychopolitik“ zu ersetzen sei, überdies klingt Michel F. im Original immer noch besser als dieses verunglückte Oberseminar-Recycling. Seliges Angedenken der Theorie! Im Gegensatz zur einschlägigen Produktion seiner französischen Vorbilder und ihrer deutschen Adepten ist Hans Prosa weder kunst- noch lustvoll, und gänzlich ironiefrei. Sie führt den Leser nicht in irgendeinen Erkenntnisgewinn, sondern lässt ihn nach wenigen Seiten so erschlagen wie enttäuscht zurück.
„Versuche, einen Roman zu schreiben“, riet Tucholsky seinen verhinderten Großautoren. „Du vermagst es nicht? Dann versuch es mit einem Theaterstück. Du kannst es nicht? Dann mach eine Aufstellung der Börsebaissen in New York. Versuch, versuch alles. Und wenn es gar nichts geworden ist, dann sag, es sei ein Essay.“ Byung-Chul Han hat wirklich alles versucht.
Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken Byung-Chul Han S. Fischer 2014, 128 S., 19,99 €
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