Diese Stadt: das war doch Sozialismus

50 JAHRE EISENHÜTTENSTADT Ein Gemeinwesen im Wandel

Mit dem 18. August 1950 beginnt in der DDR eine interessante Entwicklung. Der Grundsteinlegung für das Eisenhütten-Kombinat Ost(EKO) wird kurz darauf die Erbauung einer ganz neuen Stadt folgen: Stalinstadt, später Eisenhüttenstadt. Hier baut sich eine Gesellschaft die ihr gemäße Stadt. Das kommt öfters vor: zum Beispiel Wolfsburg, Antipolis, die Wissenschaftsstadt in Südfrankreich, Karlsruhe oder Seaside, das middle-class-Surrogat in Florida.

Seltener schon handelt es sich um eine Gesellschaft, die vom Typ her beansprucht, eindeutig handeln, sich präsentieren und dementsprechend planen zu können, wie das auch im Absolutismus war. Noch seltener verwirklicht sich eine Gesellschaft in einer "Stadt neuen Typs" derart programmatisch wie in diesem Fall: gleich mit dem Start der DDR wurde es die gebaute Emphase. Und ganz selten nur gerät eine solche Stadt so schnell in die Realität einer ganz anderen Gesellschaft.

Die Beschäftigung mit Eisenhüttenstadt an der Oder ist vielschichtig und regt zu Unterschiedlichem an. Als ein Beispiel für DDR-Architektur, für Planungsvollzug oder Gesellschaftspolitik, als ein Museum für DDR- Alltagskultur oder als Alternative für das Leben in der Marktwirtschaft ? Was sagt uns eine - nun auch in der Bundesrepublik-"neue" Stadt? Wer immer das Thema vertiefen möchte: hervorragendes Material dazu bietet eine jüngst erschienene Studie von Ruth May . Sie widmet sich den politischen und wirtschaftlichen Konstitutionsbedingungen der DDR, insbesondere dem EKO, das als Eisenhütte für die DDR existenziell bedeutsam wurde; sie beleuchtet das Planwesen speziell im kulturpolitischen Zusammenhang und im Hinblick auf Städte und sie beschreibt im wesentlichen die Errichtung dieser Stadt von 1950-1963.

Gründung von Werk und Stadt werden als signifikantes Zeugnis dieser Zeit rekonstruiert: die planvolle Entwicklung eines (Stand-) Ortes sollte das Gestaltungsvermögen der neuen sozialistischen Gesellschaft manifestieren. Ruth May setzt sich ausführlich mit den damaligen DDR-typischen Auffassungen des Städtebaus auseinander und zeigt, wie sich im Zuge der Konkretisierung Ansprüche an eine modellhafte Planung durchsetzten, mit der sich die DDR (ähnlich wie bei der Berliner Stalinallee) zu repräsentieren versuchte.

Mit Eisenhüttenstadt wird eine Stadt in allen Details vorbestimmt, um sie zügig zu realisieren. Gerade im Sozialismus kann, frei von der Konkurrenz der Eigentümer, so agiert werden; entsprechend reguliert politischer Wille die Aneignungsprozesse auch des Bodens. Zugleich ist auch im Sozialismus eine Stadt die bauliche und insfrastrukturelle Hülle einer lokalen Gesellschaft. Angesichts ihrer Dynamik ist eine Planung aus einem Guss dennoch problematisch. Entsprechend vollzog sich auch die planmäßige Errichtung von Eisenhüttenstadt in allen Widersprüchen, die den Aufbau des Sozialismus insgesamt kennzeichneten und die Erprobung von Utopien ausmacht (auch wenn Die Spur der Steine woanders spielte) . Im Spannungsbogen von zentraler Regierungszuständigkeit einerseits und Werktätigen vor Ort andererseits ging es hier in der Tat um "die sozialistische Industriestadt als nationales Projekt". Was sollten wir über diese Stadt in der BRD wissen, wenn wir sie heute besuchen? Sie ist bewusst konzipiert worden als eigene Wohnstadt für ein Industriekombinat und als eine neue Stadt neben dem vorhandenen Fürstenberg. Und das zum einen, um funktionalen Ansprüchen insbesondere an die Arbeitswege zu genügen; zum anderen, um die Freiheit für die "ideale Einheit von Arbeiten und Leben" zu gewinnen.

Dennoch wurde Eisenhüttenstadt in einem zähen Ringen nicht als Wohnsiedlung konzipiert sondern als "Stadt neuen Typs", d.h. nach den "16 Grundsätzen des Städtebaus" als Teil des neuen Aufbaugesetzes der DDR. Diese waren damals gerade erst formuliert; sie sollten erstmalig und "rein" angewendet werden. Wesentlich war, dass es eine Stadt werden sollte und keine ländlich wirkende Siedlung, eine kompakte (und insofern ökonomische und ökologische) Stadt; es sollte eine harmonische und, was ihre Untergliederung in Einheiten anbelangt, "organische" Stadt entstehen - und: eine ästhetische Stadt, die insbesondere nationale Stilelemente kultiviert. Im Ergebnis wächst - in vier Etappen und in 13 Jahren - eine Mittelstadt (mit ca. 30.000 Einwohnern), die sich durch zwei damals bedeutsame Merkmale auszeichnet: einen betont städtischen Baucharakter, wozu auch die Bauweise mit Wohnhöfen (statt offener Zeilen) beiträgt; und einen öffentlichen und gerichteten Raum, womit sie sich deutlich unterscheidet von organischen bzw. vom verästelten Stadtgrundrissen (wie z.B. der gleichzeitigen Sennestadt), die damals in der BRD sowohl den Anspruch auf die private Sphäre einer Wohnstadt betonten als auch deren Autogerechtheit. Der Grundriss von Eisenhüttenstadt stellt sich wie ein Fächer dar, die Hauptachsen zielen auf ein zentral gedachtes, aber nie errichtetes Werkstor als "point de vue": damit erinnert Eisenhüttenstadt eher an das ferne Karlsruhe, denn an das zeitgleiche Wolfsburg. Eisenhüttenstadt soll die neue Gesellschaft und deren städtische und räumliche Entsprechung repräsentieren: es ist die "erste sozialistische Stadt auf deutschem Boden". Und dazu bedient sie sich eines betont einsinnigen Ansatzes.

So etwas lässt sich wohl nur für geleitete - und entsprechend gegensatzlos gedachte - Gesellschaften thematisieren: im Sozialismus ähnlich wie im Absolutismus. Der Anspruch, Ideale sozialistischen Lebens zu repräsentieren, überfrachtet jedoch Eisenhüttenstadt zugleich. So war die Mitte der Stadt vorgesehen für die städtebauliche Inkarnation "sozialistischer Stadt" - und ist nie bebaut worden. War es Mangel an realisierbaren Utopien ? Um ein Rathaus sollte es gehen oder um ein Kulturhaus.

Jedoch zeigt sich auch, dass Eisenhüttenstadt eben weniger ein Gemeinwesen war als Wohnstadt für's Kombinat. Erlebbare Merkmale sind öffentliche Räume, kurze Wege, kompakte Bebauung mit prägnanten Grünräumen, Dichte und eine entsprechende In-frastruktur. Das kann Alltagsleben erleichtern und beispielsweise die Sicherheit von Kinderspiel und Schulwegen erhöhen. Und so waren es Qualitäten, die von Nutzerinnen dieser Stadt mit Sozialismus assoziiert wurden. Und heute? Das Leben geht weiter. Die Stadt hat noch rund 45.000 Einwohner. Mehr noch: auch Ruth May glaubt zu beobachten, dass Eisenhüttenstadt "angenommen" wird von einer - zumal in Ostdeutschland - relativ entfesselten Marktwirtschaft. Immerhin eine Stadt des obsoleten Sozialismus: "hier fühlten wir uns wohl, die Stadt war gut nutzbar". Wird das zukünftig gelten? Eine der Grundvoraussetzungen dafür liegt darin, dass EKO (als UNISOR) weiterhin existiert. Und damit gibt es Arbeit, und zwar die Industrie der Stahlerzeugung. Soweit sie einen fordistischen Charakter behält und ihre starke Determiniertheit auf eine bestimmte Art der Verausgabung und Reproduktion von Arbeit (Zeiten/Rhythmen/Männer), soweit kann Eisenhüttenstadt prinzipiell auch Anforderungen an eine Wohnstadt entsprechen. Für andere Muster wäre sie, was Infrastruktur, Wohngrundrisse etc. anbelangt, womöglich eher sperrrig. Zugleich ist Eisenhüttenstadt städtebaulich betont "Stadt", strukturell "robust" und gestalterisch ("national") identifizierbar. Wie immer sich im Zuge von Globalisierung / Deregulierung / Flexibilisierung zugleich ein Bezug auf "Region" oder Heimat ausprägen mag: in Eisenhüttenstadt gibt es für lokale Identifikation mehr Anknüpfungspunkte als in der "gegliederten und aufgelockerten ( aufgelösten) Stadt".

Ruth May: Planstadt Stalinstadt. Ein Grundriss der frühen DDR - aufgesucht in Eisenhüttenstadt. (Dortmunder Beiträge zur Raumplanung 92), Dortmund 1999 (469 S.)

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