Die rechtskonservative Regierung unter Schüssel Haider hat in Österreich auch dem Theater zu einer erhöhten Aufmerksamkeit verholfen. Gleich zu Beginn der neuen Legislatur-Periode wurde die Bühne des Burgtheaters gestürmt. Das Publikum begrüßte die Demonstranten, die das Bühnengeschehen zum zeitweiligen Erliegen brachten, mit Szenenapplaus. Öffentliche Diskussionen gaben der Burg wieder ihr Image als Zentrum der politischen Debatten zurück. Das Burgtheater ist immer noch das Kern-Stück der österreichischen Identität und bildet die Hintergrundfolie vielfältiger Empfindungen und Emotionen. So lautet denn auch ein berühmtes Diktum, dass in Wien immer alles drunter und drüber und ins Burgtheater gegangen sei.
Endlic
Endlich einmal frei sein. Endlich einmal das Dasein einer geschundenen Kreatur abstreifen. Endlich einmal niemandes Knecht mehr sein. Die Schwestern Claire und Solange haben in Jean Genets Zofen ihr Leben in unterwürfiger Höflichkeit zugebracht, nun proben sie den Aufstand. Die "gnädige Frau" ist außer Haus, und die Zofen freuen sich an den Gesten der Macht.Ignaz Kirchner und Gert Voss haben sich schwarz glänzende Dienstbotenkleidung angelegt und Perücken aufgesetzt, die sie wie brave Mädchen aussehen lassen. Die Akteure (zusammen mit Ursula Voss auch verantwortlich für die Regie) schreiten über die runde Spielfläche, als wäre es eine Weltenscheibe. Im Regal, das an den engen Kreis ihrer Lebenswelt grenzt, ist die kitschige Skulptur eines Schwarzen postiert, dessen einziger Wille es zu sein scheint, der Herrschaft treu zu Diensten zu sein. Diese Machtverhältnisse sollen nun zerstört werden. Der anbrechenden Anarchie sind freilich Grenzen gesetzt. Zwischen den beiden Zofen entwickelt sich immer stärker eine klare Hierarchisierung. Claire ist sich bewusst, dass ihre Position noch grandioser sein könnte, wenn Solange ihr zu Diensten stünde.Der imaginierte Ausbruchsversuch hat die Schwerelosigkeit einer Komödie. Auf die Gesichter von Ignaz Kirchner und Gert Voss legt sich der Glanz einer kindlichen Verspieltheit. Claire genießt es, in der Badewanne zu liegen, ihren Körper zu betrachten und den Gedanken freien Lauf zu lassen. Am schönsten wäre es natürlich, die Herrin zu ermorden. Ein genau dosiertes Gift im Tee könnte Abhilfe schaffen, und das Joch der Herrschaft wäre ein für alle Mal abgeworfen. Der Umsturz der Verhältnisse ist so kühn, dass die Zofen vor der Realisierung zurückschrecken. Als die "gnädige Frau" (Kirsten Dene) in ihre Gemächer betritt, bricht die Revolte in sich zusammen.Am Ende legt sich Ignaz Kirchner einen dicken Mantel um den von vielen Befehlen ausgemergelten Körper. Ein todtrauriger Blick liegt in seinen Augen, wenn er zu "Freude schöner Götterfunken" um die Weltenscheibe hastet. Ignaz Kirchners Blick ist der einer gequälten Kreatur, die immer wieder nur eine Frage stellt, wann endlich sich die Utopie von der herrschaftsfreien Kommunikation verwirklichen wird. Das letzte Umkreisen der Stätte der gescheiterten Hoffnung hat auch eine enorm komische Wirkung.Claire hat das ständige Hinter-Her-Sein so sehr erschöpft, dass sie sich nicht mehr vorstellen kann weiterzuleben. Vom Zofendasein ermattet, trinkt Claire den vergifteten Tee und legt den Kopf auf den ausgestreckten Arm. Noch einmal hebt Gert Voss sein Haupt, um es für immer zu senken. Nur die Selbstauslöschung bringt Erlösung aus einer geknechteten Existenz. Die Revolte der beiden Schwestern ist zu schwach, um sich gegen ein übermächtiges Herrschaftssystem behaupten zu können. In Jean Genets 1947 uraufgeführtem Stück richten die Zofen die Zerstörung gegen sich selbst.Naturgemäß hört man bestimmte Verse im Burg- und Akademietheater mit einer geschärfteren Aufmerksamkeit, seit Haider und Schüssel in der Alpenrepublik das Sagen haben. Wenn es in Friedrich Schillers DieVerschwörung des Fiesco zu Genua um die Belange der Republik geht, ist man geneigt, diese Überlegungen auf das politische Chaos in Österreich zu übertragen.In Schillers Klassiker ist die Aussicht auf einen Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht von Anfang an einem Verfallsprozess preisgegeben. Hätte nur ein größerer Mut bestanden, wären die Mächtigen wirklich vom Thron gestürzt worden. Aber im Konjunktiv lässt sich keine Politik führen. Andreas Kriegenburgs Fiesco verspielt in der ersten Hälfte so viel an Konzenration, dass zahlreiche Besucher das Weite suchen. Es gibt in der Kriegenburg-Inszenierung dermaßen viele Regieeinfälle, dass man der Aufführung überdrüssig wird. Ein Handy wird auf der Bühne mit Genuss zerstört und die Regungen eines Schwanzes im roten Schamhaar-Gestrüpp erörtert. Verrina, ein verschworner Republikaner (Peter Simonischek), darf die Ziehharmonika bearbeiten und Fiesco (Sven-Eric Bechtolf) sich in lange Monologe wie in eine Marotte einspinnen. Im zweiten Teil wird allmählich die Erschöpfung sichtbar, die Fiesco als den Anführer der Verschwörung befällt. Und je mehr sich die Kräfte verbrauchen, desto näher kommen Wahnsinn und Verzweiflung.In Christina Paulhofers Uraufführung von Dea Lohers Klaras Verhältnisse probt eine junge Frau den Ausbruch aus den festgelegten Bahnen des Bürgertums. Die Szenen fließen träge dahin, bis es zum Ausbruch eines erloschenen Vulkan kommt. Klara tanzt sich den Irrsinn ihres Lebens vom Leib. Wie in einem Trancezustand bewegt sich Judith Hofmann. Sie ist dem Zusammenbruch nahe. Doch mitten im Absturz fängt sie sich wieder und dreht sich weiter in ihrer Einsamkeit. Wie eine indische Göttin fuchtelt die aus der Normalität Geworfene mit den Armen und Beinen. Die ganze Welt liegt griffbereit in ihrer Nähe, sie müsste sich nur entscheiden, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Doch wenn eine Entscheidung ansteht, schleicht sich Klara auf leisen Sohlen an einen neuen Abgrund heran. Klara unternimmt immer nur kleine Ausflüchte aus einem Leben, das sie zutiefst ankotzt. Die Bekanntschaften auf der Straße und in heruntergekommenen Hotelzimmern sind Bruchstücke einer kläglichen Revolte. Mit jedem neuen Ausbruchversuch verliert Klara die Kraft, ihr Leben umzugestalten. Klara richtet es sich im Provisorium ein. Das Vage und Ungefähre wird zur eigentlichen Form ihrer Existenz.Den Aufbrüchen folgen in allen drei Inszenierungen die Abstürze. Der Impuls zur Revolte geht schnell verloren, und im Alltag lösen sich sogar die härtesten Formen des Widerstands ins Nichts auf. Man kann diese drei Inszenierungen, die lange vor dem Rechtsruck in der Politik geplant wurden, als indirekte Antworten auf die aktuelle Umbruchssituation beziehen.Österreich beginnt, sich einzurichten mit den politischen Losungen, die aus den Mündern der rechten Staatsmänner quellen. Und der Widerstand schlägt - zur Erheiterung der österreichischen Seele - ins Absurde um. Als der freiheitliche Politiker Kabas wieder einmal seine Suada vor einer ORF-Kamera absonderte, ging ein junger Mann beherzt in eine Konditorei, kaufte eine braune Torte und drückte sie dem Politiker ins Gesicht. In Österreich wurden wegen dieser Attacke gleich heftige Debatten geführt, ob der Widerstand die Schwelle zur Gewalt überschreiten darf. Der "Attentäter" erklärte freilich freimütig, dass sein Vorbild nicht die RAF, sondern Stan Laurel sei. Das Statement jenes Mannes, der Kabas "getortet" hat, folgt der schönen Erkenntnis, dass die Flucht in die Skurrilität die österreichische Form der Revolte sei.
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