Die Waffe des Schweigens

Briefwechsel In ihrem Briefwechsel pflegten die Geistesaristokraten Ernst Jünger und Martin Heidegger auch nach dem Zweiten Weltkrieg ihr antidemokratisches Bewusstsein

Der letzte Weltkrieg war gerade beendet und die ersten Aufbauarbeiten abgeschlossen, da entschlossen sich zwei angegraute Eminenzen des deutschen Geisteslebens zu einem groß angelegten Zeitschriftenprojekt. Pallas sollte es heißen, benannt nach Athene, Göttin der Weisheit bei den alten Griechen.

Der Titel war nicht zufällig, denn der kleine Kreis der Mitarbeiter dachte an die geistige Erneuerung der Republik. Eingefädelt wurde das Vorhaben hauptsächlich von dem Schriftsteller Ernst Jünger und dem Verleger Ernst Klett. Ihr Ziel war, bekannte Geistesgrößen, die sich schon vor dem Krieg als konservative Autoren profiliert hatten, für das Projekt zu gewinnen. Zu den auserwählten Autoren gehörte auch der Philosoph Martin Heidegger, den der politische Bereinigungsausschuß wegen seines Freiburger Rektorats zu Beginn des Dritten Reichs zwangsemeritiert hatte. Als Herausgeber war Armin Mohler vorgesehen, Intimus des einstigen NS-Juristen Carl Schmitt und Chefideologe der "Konservativen Revolution".

Das Eigene der abendländischen Überlieferung sichtbar machen

Gemeinsam war den Autoren ein rechtskonservativer Aristokratismus, der sie vorübergehend in gefährliche Nähe zum NS-Regime brachte. Man war davon überzeugt, wie Jünger in einem Brief vom Frühsommer 1949 an Heidegger äußerte, „ein Organ für die letzten selbständig Denkenden und Schaffenden zu bilden“. Heidegger war der erste, der aus der gemeinsamen Linie ausscherte. Offenbar fürchtete er – kurz nachdem er die Entnazifizierung einigermaßen glücklich überstanden hatte – die kritische Öffentlichkeit. Und so schrieb er mit skeptischem Gefühl an Jünger: „Der Wille, das Eigene der abendländischen Überlieferung ursprünglicher zu entdecken und sichtbar zu machen, die Wahrheit zu sammeln, Suchende zu stärken, muß bezaubern. Aber dies alles geht, wie ich heute deutlich sehe, nur auf dem Wege eines Rückfalls in die abgenützte Form der Zeitschrift. Die Diktatur der Öffentlichkeit lässt sich innerhalb ihrer nicht brechen. Das geeinte Auftauchen unserer Namen (…) würde zu einem Politikum, das vielleicht unsere letzte gewährte Position erschütterte oder doch endgültig verwirrte.“

Ernst Jünger verstand sehr gut. Auch er geriet 1945 in Konflikt mit den neuen Machthabern, als er sich der Entnazifizierung entzog. Wegen kriegsverherrlichender Prosa verfügte die britische Militärverwaltung ein vierjähriges Publikationsverbot. Aus dem nun veröffentlichten Briefwechsel zwischen Jünger und Heidegger geht hervor, dass sich beide einmütig als politisch Gebranntmarkte empfanden. Sie beklagten, man habe Pressekampagnen gegen sie angezettelt. Schließlich erkannte Jünger, dass „Schweigen die stärkste Waffe ist“ und gab das Zeitschriftenprojekt ganz auf.

Die Anschwärzung eines überlegenen Geistes

Das schrieb Jünger, kurz nachdem er den Briefkontakt mit Heidegger aufgenommen hatte. Auch später, als der befreundete Kurt Georg Kiesinger die Große Koalition in Bonn zusammenschmiedete, hielt Jünger an seinem antidemokratischen Kurs fest. Er pflegte die alten Ressentiments und genoß es, ab und zu gegen die konsenshafte Wohlanständigkeit zu löcken. So äußerte er sich 1966 unverblümt gegenüber dem französischen Psychoanalytiker Jean Reboul: „Was mich betrifft, so schätze ich Martin Heidegger nicht nur seines Werkes wegen, sondern auch deshalb, weil er sich politisch exponiert hat, während es viel billiger gewesen wäre, das nicht zu tun. Kann man ihm zum Vorwurf machen, dass die politischen Mächte sein Vertrauen enttäuscht haben? Ihnen als Psychoanalytiker braucht man nicht anzudeuten, was sich hinter der Anschwärzung eines überlegenen Geistes verbirgt.“

An Reboul schätzt Ernst Jünger nicht den Psychoanalytiker, sondern den Heidegger-Anhänger, wovon es in Frankreich, zu seiner großen Überraschung, recht viele gibt. Gepflegt wurde der Umgang mit Gleichgesinnten, die alljährlich bei den Kolloquien im schweizerischen Amriswil zusammenkamen, wo man sogar den „Heidegger-Marsch“ aufspielte. Ansonsten zieht sich durch die Korrespondenz der beiden Briefpartner ein klares Freund-Feind-Schema.

Einmal schickte Jünger einen FAZ-Artikel, in dem sich der Feuilleton-Chef Karl Korn hämisch über die „fröhliche Sprachmetaphysik“ des Freiburger Professors hermachte. Martin Heidegger antwortet wenig später kurz und bündig aus dem heimatlichen Meßkirch: „Ich danke Ihnen für den Hinweis aus dem Blatt, das ich nicht lese. Daß dem Journalismus auch nichts anderes mehr einfällt, entspricht der Lage.“

Antisemitische Häme und weltoffene Neugier

Der Briefwechsel enthüllt sehr gut, wie in den Zeiten des eskalierenden Kalten Krieges selbst die intellektuellen Grabenkämpfe mit schwerem Geschütz ausgetragen wurden. So mokierte sich Heidegger im Sommer 1966 bei Jünger, man habe „den Wiesengrund-Adorno ans Collège de France bestellt, um gegen mich zu hetzen.“ Das ist nicht ohne antisemitische Häme gegenüber einem marxistischen Exilanten gemeint, der aus Überlebensnot den jüdischen Nachnamen streichen musste.

Besonders abstoßend, ja infam äußerte sich Jünger über den jüdischen Schriftsteller und Linksintellektuellen Kurt Hiller, den er kurzerhand vom Opfer zum Täter machte: „Ich halte Hiller für einen der Hauptschuldigen an den Judenpogromen, er war es, der durch jahrzehntelange Beschmutzung alles Deutschen dem Stürmer das Material lieferte. Hiller und Streicher, das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.“

Die Absendeorte der Briefe verraten einiges über die beiden Autoren. Ernst Jünger schreibt einmal aus Island, dann aus dem tropischen Djibouti. Dabei erweist er sich als neugieriger und weltoffener Schriftsteller. Ganz anders Martin Heidegger. Der schrieb noch 1934 im NS-Blatt Der Allemanne, am liebsten setze er sich „abends mit den Bauern auf die Ofenbank oder an den Tisch im Herrgottswinkel“, um gemeinsam schweigend Pfeife zu rauchen. Daran hat sich später wenig geändert. Heidegger verachtete das Reisen, er war heimatverbunden und bodenständig. Deswegen hoffte er, wie er bekannte, „aus unserem schwäbischen Land [werde] der abendländische Geist erwachen.“

Der Arbeiter: metaphysische Gestalt des neuen Menschentums oder Heros des Technikzeitalters?

Auf den ersten Blick könnte man meinen, durch die Korrespondenz hätten sich tatsächlich zwei ungleiche Briefpartner gefunden – einerseits der ratsuchende Schriftsteller, andererseits der professorale Philosoph. Doch diese Meinung greift zu kurz. Denn Heidegger hatte sich immer wieder sehr ausführlich mit dem Jünger-Text Der Arbeiter von 1932 beschäftigt. Er fand darin wichtige Anregungen für die eigene Auseinandersetzung mit der Technik.

Nach der ersten Lektüre der Abhandlung schrieb Heidegger anerkennungsvoll: „Ernst Jünger ist der einziger echte Nachfolger Nietzsches.“ Der junge Schriftsteller beschrieb damals den Arbeiter als metaphysische Gestalt des neuen Menschentums, die ihre Macht durch die stählernen Apparaturen ausübt, die mit den eigenen Gliedmaßen innerlich verschmelzen. Heidegger rezipierte den Arbeiter als den Heros des heraufziehenden Technikzeitalters. In seinen eigenen Schriften, die teilweise erst posthum veröffentlicht wurden, empfand der Todtnauberger Philosoph den Menschen als hineingestellt in eine technische Entwicklung, über die er selbst nicht verfügt.

Ernst Jünger und Martin Heidegger durchlebten die lange, bewegte Zeit vom Hurra-Patriotismus des Kaiserreichs über die allgemeine Kriegsbegeisterung bis zu den ersten Jahrzehnten in der Bundesrepublik. Zweifellos war diese ruhelose Entwicklung für beide prägend. Das mag einer der Gründe für eine gemeinsam geteilte Gesinnung sein, die zurückreicht auf die antidemokratischen Werte des frühen 20. Jahrhunderts. Sie zeigt sich in einer aristokratische Geisteshaltung, die sich sowohl von der kritischen Medienöffentlichkeit als auch von der parlamentarischen Demokratie distanziert. Als Vorzeigeintellektuelle par excellence aus einer anderen Zeit bringen sie uns dennoch diese fremd gewordene Epoche näher.

Briefwechsel. Ernst Jünger, Martin Heidegger. Unter Mitarbeit von Simone Maier herausgegeben von Günter Figal. Klett-Cotta und Vittorio Klostermann Verlag, Stuttgart 2008, 317 S., 29,50

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