Kleiner hagerer Mann aus Maranhao

FETISCH GOLD Wenn die Scbürfer wieder gehen, schweigt der Urwald am Amazonas

Eigentlich wollte ich von Rio ins illegale Schürfgebiet nach Uniao fliegen. Doch 48 Stunden zuvor war dort ein Pilot kurz nach dem Abheben von der holperigen Lehmpiste gegen einen Felsen geprallt. Total überladen hatte die kleine Sportmaschine nicht an Höhe gewinnen können. Eine Katastrophe ohne Seltenheitswert in der Amazonasregion. Deshalb entschied ich mich lieber für einen Shuttle in das Schürfgebiet von Malaria mitten in der Region der Yanomami-Indianer.

Keine Kraft mehr zum Schlafen

Nach anderthalb Stunden Flug taucht die Piste der Urwaldsiedlung in einem engen Talkessel auf: Der Pilot muss die Maschine heftig abbremsen, dann stark herunterdrücken - ein riskantes Manöver, denn links und rechts neben den Tragflächen ragen massige Urwaldbäume empor. Darunter liegt das Tal, übersät mit den Schürfkratern der Garimpeiros - Tausender Goldschürfer, die hier auf den Fund, auf das Glück ihres Lebens hoffen.

Für die Gemeinde von Malaria, deren Gestalten ausnahmslos einen Roman von B. Traven entstiegen sein könnten, bin ich in den kommenden Tagen die willkommene Abwechslung in einem wider Erwarten höchst abstumpfenden Garimpeiro-Dasein, das sich nur ändert, wenn eine Gruppe von Schürfern zurückkehrt oder die Kuriermaschine landet.

Hier wie in anderen Schürfgebieten Brasiliens ist die Landeswährung völlig außer Kraft gesetzt. Man zahlt mit Goldstaub. Ist der noch verunreinigt, gießt Marcello, der Händler vom Drugstore, etwas Quecksilber hinzu, und verrührt in der Blechschale beides mit dem Zeigefinger. Das Verfahren verursacht Missbildungen, Vergiftungen, schädigt das Nervensystem. Trotzdem machen alle so weiter, werden in Amazoniens Garimpos vermutlich pro Jahr einige hundert Tonnen Quecksilber verbraucht. Die Fremdbestandteile bleiben an dem glitzernden Schwermetall kleben, und Marcello kann nun den Goldstaub abwiegen. Misstrauisch beobachten die Garimpeiros den Vorgang - abgestumpft, verroht, verwildert durch die Schwerstarbeit beim Schürfen und einen alle Kräfte und Illusionen verschleißenden Alltag im Urwald.

Keine Goldsucher-Groschenheft-Romantik, sondern die Geschichte vom "kleinen hageren Mann aus Maranhao", der sich hier selber ins Jenseits befördert hat. Vor zwei Wochen verabschiedete er sich eines Abends mit einem Handschlag von den anderen, schaute dann direkt in den Lauf des vor ihm aufgebauten Gewehrs und drückte mit dem großen Zeh ab.

Die Schürfer an Marcellos Barraca gießen zufrieden den größten Teil des abgewogenen Goldes in Medizin- und Kosmetikfläschchen zurück. Für den Rest ordern sie Munition, Zuckerrohrschnaps und Lebensmittel. Von der Konkurrenz-Barraca drüben auf der anderen Seite der Lehmpiste schlendert gelassen Maria heran - eine von vier Frauen unter den weit über hundert Goldgräbern in diesem etwa zwei Quadratkilometer großen Schürfgebiet. Maria arbeitet wie alle ihre Schwestern in den anderen Garimpos - ob in Parà, Amazonia oder Mato Grosso - in mehreren Berufen. Tagsüber wäscht sie die verdreckte Kleidung der Männer und betreibt eine Garküche im Drugstore, nachts ist sie die Puta, die Prostituierte von Malaria. Für jeweils fünf Gramm Gold erwartet sie ihre Freier im Feldbett der Barraca, wenn Marcellos Laden das Bordell ersetzt.

Abends sitze ich bei Pedro, einem Urgestein unter den Schürfern. Aus seinem handgroßen Miniaturradio quäkt ultraromantische Musik. "Hier bekommst du todsicher Malaria", erzählt er, "andere kriegen auch Gelbfieber oder irgendwelche ekelhaften Parasiten. Aber ich will trotzdem nicht weg. Am Amazonas erlebst du mehr als in Sao Paulo, wo der Rest meiner Sippe herumhängt." - Jährlich sterben in Brasilien laut offizieller Statistik durchschnittlich 50.000 Menschen an Malaria. Die an der Krankheit zugrunde gehenden Garimpeiros zählt niemand. Sie kommen aus den Randzonen der brasilianischen Gesellschaft, sie besteigen mit dem Flugzeug in den Dschungel ihr Totenschiff, und sie bringen ihre Krankheiten mit, gegen die das Immunsystem der Indios kaum Abwehrkräfte besitzt: Tuberkulose, Typhus, Ruhr, Windpocken, vor allem Aids. Die Siedlungen der Schürfer können zur tödliche Gefahr für die Ureinwohner werden. Auch deshalb, weil im Umfeld der Garimpos Flüsse, Bäche oder Wasserspeicher vorrangig durch Quecksilber vergiftet sind. Gelbe Schaumkronen gleiten über Gewässer, in die Dieselöl oder Chemikalien eingeleitet wurden. Die Indios haben in ihren Reservaten auf Jahre hinaus nichts mehr zu fischen - oder zu jagen. Denn neben der Verseuchung der Gewässer vertreibt ohrenbetäubender Lärm der Dieselmotorbatterien in den Garimpos jedes Getier. Deshalb schweigt der Urwald - im Umfeld von Malaria ist es besonders nachts ungewöhnlich still.

Gegen sechs Uhr morgens beginnt der Arbeitstag eines Schürfers, dann werden die ersten Dieselmotoren angeworfen, steigen die Männer bei etwa zehn Grad schlotternd in die noch kalte, gelbe Brühe, stehen darin teilweise bis zu den Hüften, hacken Geröll, lenken es zu den Saugrohren, die alles in riesige Sackfilter leiten. Gelegentlich ertönt ein Warnsignal. Jemand hat den Urwald angezündet - eine zehn Meter hohe Feuerwalze frisst sich durch das Unterholz und vernichtet die gesamte Fauna. Nichts Besonderes im Garimpo-Alltag.

Neben der Barraca von Marcello und Maria, die tagein, tagaus monoton Bohnen, Reis und Schweinefleisch und sonst nichts anbieten, dämmern in Hängematten unter Plastikplanen etwa 20 arbeitslose Garimpeiros vor sich hin, die nach wochenlangen Gewaltmärschen durch den Urwald in Malaria völlig ausgelaugt gestrandet sind. Ihnen fehlt die Kraft zum Aufstehen, die Kraft zum Essen, die Kraft zum Schlafen - "Wenn kein Wunder geschieht, sind die in einer Woche tot", sagt Marcello, "der Urwald kann zur Falle werden." Ohne Goldstaub als Zahlungsmittel gibt es keinen Arzt, keine Medikamente, keinen Rückflug. Von Tieren abgenagte Skelette in den Hängematten verlassener Camps haben die meisten Garimpeiros schon einmal gesehen, ebenso halbverfaulte, von Waldratten zerfressene Leichen. Pech gehabt, denkt man, und geht weiter. Herausgefallen aus dem Laufrad des Urwalds.

Killerszenen für den Hausgebrauch

Am nächsten Tag treffe ich Davi Kopenawa, Yanomami und politischer Führer seines Stammes. Ich sehe ihn im Haus eines italienischen Priesters. Die UNO zeichnete Davi in Brasilia mit dem Umweltpreis Global 500 aus, doch hier in Boa Vista - etwa 20 Kilometer von Malaria entfernt - ist sein Leben stets in Gefahr. Er entging einige Male nur knapp einem Hinterhalt der Goldmafia. "Vier meiner Verwandten sind von Garimpeiros erschossen worden. Oft werden Indianerinnen vergewaltigt. Auch die in den Waldgebieten stationierten Militärpolizisten tun das. Aber die Indiobehörde FUNAI sagt, alles ist gut, alle sind gesund, alle leben in Frieden. Aber die FUNAI ist nicht auf unserer Seite, sie wurde von den Garimpeiros gekauft." Padre Jao Saffirio, den Hausherren, empört der Zynismus der Regierenden: "Denen gefällt, dass sich möglichst viele Slumbewohner - unbequemes Konfliktpotenzial aus den Millionenstädten an der Küste - in Amazonien verschleißen. Hier beutet der Arme den Ärmsten aus, die Garimpeiros vernichten die Indios." Was in Boa Vista oder in anderen Gegenden eines im Grunde rechtsfreien Gebietes geschieht, ist für den Italiener, der Anthropologie studierte, kafkaesk. "Hier hat nichts irgendeine Logik. Jene, die als Goldschürfer aufbrechen, sind im Grunde Sklaven, prostituieren sich - ganze wenige ziehen wirklich Nutzen aus all der Zerstörung. Nur fünf Prozent des Goldes werden legal verkauft, der Rest wird am Fiskus vorbei ins Ausland geschmuggelt."

Der Bischof, ebenfalls Italiener, hat sein Büro gegenüber dem Gouverneurspalast im winzigen Zentrum des recht dörflichen Boa Vista. Auch er ist auf die Garimpeiros nicht gut zu sprechen. Die Zustände hier erinnerten ihn fatal an die Eroberung Brasiliens vor 500 Jahren: "Damals ließ die Conquista ebenso Karawanen von Abenteurern ins Hinterland aufbrechen und verschloss die Augen vor den damit verbundenen Massakern an den Indios. Diese Bandeirantes - hieß es - besetzen ja ›Land für uns‹. Die Garimpeiro-Invasion mitten hinein ins Yanomami-Gebiet - ist das nicht ein Einfall der Bandeirantes von heute? Als ob es zwei Staaten gäbe - ein offizielles Brasilien, das auf dem Papier die Indios prächtig schützt, und ein reales ohne politischen Willen zur Rettung ihrer Kultur und ihres Lebensraums. Die Yanomami, haben heute eine Lebenserwartung von nur 36 Jahren ... "

Nach Garimpeiro-Massakern sollen erschossene Indios von Piloten zur Verwischung der Spuren über dem Urwald aus Helikoptern geworfen worden sein. Exakt das Gleiche passierte zur Zeit der Militärdiktatur zwischen 1964 und 1985 mit politischen Gefangenen - nur dass man die meistens lebend in die Tiefe stieß. Alte Männer in Boa Vista erinnern sich mit sichtlichem Stolz an die Zeit der Strafexpeditionen in den vierziger Jahren, als man Indios gefesselt an Pferde band und zu Tode schleifte oder versklavten Indianern Brandmale verpasste.

Abends, in der Garküchenstraße am Fluss erzählt ein Garimpeiro über das Schürfgebiet Vale da Esperanca - Tal der Hoffnung - im Amazonasteilstaat Parà. Dort drohe ein Indianerstamm auf den Kriegspfad zu ziehen, falls weiter enthauptete Leichen in jenen Fluss geworfen würden, der den Indios Fisch und Trinkwasser liefert. Außerdem soll Garimpo-Boss Marcio Martins da Costa, ein sadistischer Psychopath, in Vale da Esperanca das Liquidieren von Rivalen gefilmt und für den Hausgebrauch archiviert haben. Ein anderer am Tisch in der Garküche will Goldtaucher im Rio Madeira gewesen sein. Er sei geflohen, erzählt er mir, nachdem konkurrierende Tauchergruppen damit begannen, die nach oben zu den Booten oder Flößen führenden Sauerstoffschläuche durchzuschneiden.

Der realistische Gehalt solcher Geschichten erscheint zweifelhaft - andererseits, über 100 Tonnen Gold werden jährlich aus dem Dschungel geholt - auch eine Art Kriegsbeute verfeindeter Gangs, die sich nichts schenken. "Die Verelendung des Charakters" hier in dieser Region sei eine teuflische Sache, hatte mir der Bischof noch gesagt. Immerhin rangiert Brasilien unter den ersten fünf Golderzeugern der Erde.

Am Abend vor dem Rückflug nach Rio höre ich zum letzten Mal den Mensageiro do Ar - fast ausschließlich Nachrichten von illegal im Yanomami-Reservat tätigen Garimpeiros an ebenso illegal schürfende Kollegen anderer Camps oder an Hintermänner der Goldmafia - ausgestrahlt über den staatlichen Sender Radio Difusora de Roraima. In einer Meldung werden dringend Rauchzeichen erbeten, damit ein angeforderter Hubschrauber mit Garimpeiros den Landeplatz eines neuen Camps finden könne.

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