Im Hof des Nationalmuseums von Sanaa scheint die Welt noch in Ordnung. Hier ist der Jemen friedlich, hier funktioniert die Einheit. Im Radio läuft Folklore aus dem Süden, auf dem Steinboden brodelt eine Schüssel Salta, die Spezialität aus dem Norden. Ein Maler im Wickelrock, eine schwarz Verschleierte, ein Jeansträger mit Halbglatze: Alle tauchen ihr Brot in den Hackfleischein-topf. Das Essen wird geteilt, so will es die alte arabische Tradition.
Dennoch beschleicht Kamal al-Makrami Unbehagen. Der Künstler in Jeans blickt ratlos auf sein Werk, auf die zweieinhalb Meter große Leinwand mit den aufmontierten Ölfässern. „Jeder wird dabei an einen Checkpoint denken“, sagt Makrami. „Als wollte ich die Grenze wieder aufbauen.“ Der Künstler stammt aus Aden, der einstigen Hauptstadt des sozialistischen Südens. Nach Sanaa, 300 Kilometer weiter im Norden, hat ihn das Goethe-Institut geholt. Insgesamt acht Künstler, vier aus dem Süden und vier aus dem Norden, gestalten Styropor-Blöcke, die an die Berliner Mauer erinnern sollen: ein deutsch-jemenitisches Kunstprojekt, hoch symbolisch.
„Die Einheit ist ein heikles Thema“, sagt Makrami. In seiner Heimatstadt Aden gingen an diesem Tag wieder tausende Unzufriedene auf die Straße, demonstrierten gegen die Bevormundung durch den Norden und verlangten Land, Häuser und Jobs zurück. Manche schwenkten die alte Fahne der Volksrepublik und riefen nach Eigenständigkeit. Die Soldaten schossen scharf, es gab Tote. „Die Menschen im Süden fühlen sich benachteiligt“, sagt Makrami leise. „Wir mussten viel aufgeben.“
Das Nationalmuseum ist im ehemaligen Palast des Imams untergebracht. Knapp tausend Jahre herrschte das religiöse Oberhaupt wie ein absolutistischer König über den gebirgigen Nordjemen. Bis in die sechziger Jahre war das Land fast völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Ganz anders im Süden: Die Hafenstadt Aden war britische Kronkolonie, dann gut zwei Jahrzehnte lang Regierungssitz der Sozialisten. Als der Jemen 1990 wieder zur Einheit fand, gut vier Monate vor den Deutschen, schlossen sich auf der Arabischen Halbinsel gleichfalls zwei völlig unterschiedliche Staaten zusammen.
Schwer verbarrikadiert
„Die Grenze war auch eine kulturelle Barriere“, sagt Makrami. Der 48-Jährige hat in England gelebt, in Moskau studiert, die Berliner Mauer besucht – doch die in bodenlange weiße Kleider gewandeten Stammesleute in Sanaa sind ihm bis heute fremd. „Oder der Krummdolch“, sagt der kleine Mann mit der runden Brille. „So etwas gibt es nicht im Süden. Nur im Norden brauchen sie ihn. Nicht zum Kämpfen, sondern als Statussymbol.“ Im Südjemen sei nicht alles besser gewesen. „Aber Frauen mussten nicht verhüllt wie Zelte rumlaufen. Frauen und Männer waren gleich. Vieles hat sich zum Schlechteren gewandelt.“
Er schicke gern seine Experten für Wiedervereinigung nach Ost- und Westdeutschland, hatte Staatspräsident Ali Abdullah Saleh im Sommer 1990 den Deutschen angeboten. Doch war die Offerte wohl zu nassforsch geraten, schon vier Jahre später drohte das Land zu zerbrechen. Soldaten aus Sanaa bezwangen – mit Hilfe von Rückkehrern aus dem Dschihad in Afghanistan – in einem kurzen, heftigen Bürgerkrieg die Separatisten in Aden. Sie zerstörten die einzige Brauerei auf der Arabischen Halbinsel, rissen sich Bodenschätze, Immobilien und Ämter unter den Nagel. Seitdem ist es mit der Versöhnung zwischen Nord und Süd vorbei.
„Die Regierung hat die berechtigten Klagen aus dem Süden zu lange ignoriert“, sagt der Politikberater Abdulghani al-Iryani. Was geschehen müsste, hat Iryani bereits 2008 in einer Studie formuliert: Reformen, Dezentralisierung, Gleichberechtigung. Doch das Regime schickt bloß Soldaten, verbietet Demonstrationen und schließt Zeitungen, die über die Proteste im Land berichten. „Jetzt wird es immer schwieriger, die Proteste zu stoppen.“ Der 40-Jährige trägt ein graues Polo-Shirt, hinter der runden Brille blinzeln neugierige Augen. „Wenn dieses Land zerbricht, bringen wir Chaos über die ganze Region. Deshalb brauchen wir Hilfe von der internationalen Gemeinschaft.“
In Sanaa hat sich die internationale Gemeinschaft schwer verbarrikadiert. Die Deutsche Botschaft gleicht einem Bunker, seit die US-Mission vor einem Jahr zum Ziel eines tödlichen Anschlags wurde. Auch Touristen trauen sich kaum noch ins einstige „Arabia Felix“, seit al-Qaida gezielt westliche Ausländer ins Visier nimmt. Vom sicheren Rückzugsraum wurde der Jemen zu einem Refugium für Extremisten. Die haben beim Rekrutieren von Anhängern leichtes Spiel in einem verarmten Land, in dem jedes zweite Kind unterernährt ist. Im Index der gescheiterten Staaten, den das US-Magazin Foreign Policy gerade wieder veröffentlicht hat, ist der Jemen um drei Plätze auf Rang 18 geklettert.
Im Süden gibt es Dörfer, die nicht von der Regierung, sondern von Separatisten kontrolliert werden. Ganz im Norden haben schiitische Rebellen das Sagen, Angehörige der zaiditischen Rechtsschule, die sich auf den Propheten Mohammed berufen und über Generationen den Herrscher in Sanaa gestellt hatten. Irgendwann werde der Jemen wie Somalia enden, beherrscht von verfeindeten Stämmen, unregierbar für die Zentralmacht, warnen Pessimisten in Sanaa. Schon jetzt leben Hunderttausende somalische Flüchtlinge in diesem Land. Im Vorjahr kamen mehr als 50.000 über den Golf von Aden dazu.
Mit Geld und Ämtern
Seit über 30 Jahren regiert Staatschef Saleh in Sanaa. Mit Geld und Ämtern gelang es ihm, alle wichtigen Scheichs und Stämme an sein Machtgefüge zu binden. Aber diese Basis bröckelt, denn es gibt immer weniger zu verteilen: die Öleinnahmen brechen ein, der Staatshaushalt steht vor dem Bankrott. „Dabei ist der Jemen eigentlich kein armes Land“, sagt Iryani. Doch die letzten noch verbliebenen Ressourcen stecke das Regime in die eigenen Taschen. Unzählige Millionen Liter hoch subventionierten Diesels würden gewinnbringend über die Grenze nach Saudi-Arabien geschmuggelt. Investitionen interessierten niemanden. Nur die Korruption floriere, und jeden Tag werde mittlerweile stundenlang der Strom gesperrt. Aus den acht Millionen Jemeniten, der Bevölkerungszahl aus den siebziger Jahren, sind heute 24 Millionen geworden – das frisst jedes Wirtschaftswachstum auf. Die Regierung müsste entschlossen handeln, doch sie scheint in Schockstarre verfallen.
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