Wir sehen den Mann an der Schreibmaschine, zwei Finger, er schreibt Hunderte Briefe, meistens an Frauen, schreibt Bücher, Artikel, tipp-tipp. Einer, der auch zu Hause nie ganz bei sich ist, sondern immer zugleich draußen umhergeistert, bei einer Versammlung, einem Tumult. Da strebt er hin. Die Familie ist eine durch ihn politisierte Familie. Vorrang des Staatsbürgers vor dem Vater. Vorrang der Ziele, der gesellschaftlichen Bewegungen und Gruppen vor der Person. Das ist heute so weit weg, der Film kann es kaum einholen.
Er versucht es, indem er uns den Mann familiär macht. Zu Beginn ein häusliches Bild. Die Katze mit dem Namen Mescalero sitzt auf dem Kaminsims und blickt auf den kleinen Simon hinab. Das Bild erinnert an den Kater Munzel in Wilhelm Buschs Die fromme Helene: „Ach, – die Venus ist perdü – Klickeradoms! – von Medici!“ Welches Porzellan mag Mescalero vom Sims der Brückners gestoßen haben, welches familiäre Bildungsgut ging dabei zu Bruch? Kurz darauf stirbt der Vater, Simon ist allein mit der Mutter.
Mit diesem Film macht er sich nun auf die Suche nach Peter, trifft Leute, die ihn gekannt haben, trifft Halbgeschwister aus einer ersten Ehe, die eigentlich eine zweite war, denn da gab es schon etwas Allererstes „drüben“, das hat der Vater hinter dem Eisernen Vorhang eisern versteckt. Interessant! Familiäre Details, Anekdoten. Peter als Lüstling einer Kommune. Der nachts „ran“ will und gekränkt ist über Zurückweisung. Pi-kánt! Da war er schon recht alt, älter jedenfalls als die betroffene Kommunardin. Bereichert das mein Brücknerbild? Ja, schon. Ich denke nach über Beziehungsschwäche und Bindungslosigkeit von Männern, die ihre Identität aus Beruf und Bewegung schöpfen, nicht aus der Familie. War ich nicht auch so, wir alle? Heute stößt mich das ab. Es war unaufrichtig. Simon Brückners Film stellt Beziehungen, auch nichtvorhandene, in den Vordergrund. Vorrang der Person vor den Zielen. Ein Familienfilm. Das stößt mich auch ab.
Die schwarzen Wellenreiter
Die ganze Familie soll es sein, doch die Ganzheit ist perdü, da sind nur Bruchstücke. Peter Brückner, der Familienkater auf dem Sims des Films, ist nicht familiär. Er hat eher etwas zerschlagen als aufgebaut. Vielleicht nur einen Mythos? Zuletzt aber hat er etwas total Familiäres gemacht. Er hat Erinnerungen geschrieben, eine Biografie. Um sich und uns sein Leben zu erklären, „ganz“ zu machen, zu heilen. Der Titel, auf den jetzt der Film anspielt, raunt: Das Abseits als sicherer Ort. Das hat mich dann doch geärgert. Dieser Mann, der in die Tasten hackt, Briefe, Artikel, Bücher schreibt, an Reden feilt und dabei immerzu „draußen“, im Tumult ist, war doch nicht im Abseits, der war immer mittendrin!
Mitten im Mainstream der 68er, mitten in der Schusslinie der 70er Jahre, als ihn die bundesdeutsche Nomenklatura zum Staatsfeind, zum geistigen Wegbereiter des Terrors erklärte. Diese Biografie wird nur vom Ende her verständlich, wenn wir die Monsterwelle sehen, die sich auftürmt, heranrauscht, gewaltförmiger wird, ihn erschöpft, plattmacht, die ihn aus der Universität, aus der Existenz reißt, durch ein paar letzte Jahre nach Nizza und dort in den Tod spült.
Die schwarzen Wellenreiter der 70er Jahre. Innere Sicherheit. Scharfmacher. Im Fall Peter Brückner waren es der Ministerpräsident Ernst Albrecht, unser bundesdeutscher Richard Nixon, und seine Spiro Agnews, die Minister Pestel und Hasselmann. Diese Leute wollten deinen Vater vernichten, Junge! Und sie sind damit durchgekommen. Auch wenn du nur dich selbst, „ganz persönlich“, über ihn aufklären willst, musst du dennoch die monströsen Surfer auf ihrer Erfolgswelle zeigen. Sie haben deinen Vater ruiniert.
Du bist mit dem Film zu sehr der Mutti gefolgt. Barbara Sichtermann, die Frau der Schwarzen Protokolle, sagt, diese Hetzkampagne sei unglaublich dumm gewesen. Das ist falsch! Das war nicht dumm, das war clever, es war Kalkül. Du tust Hunderten Leuten unrecht, die damals Mescaleros Nachruf auf Buback nachgedruckt haben, die dafür geradestehen mussten vor Gericht. Das ist kein Abseits und keine Anekdote. Zehn Jahre innerstaatliche Feinderklärung, die ganzen 70er Jahre hindurch. Das hat die Artigkeit der Grünen geprägt. Peter Brückners Auftritt war der eines Staatsbürgers, sein Einsatz war Meinungsfreiheit, zuerst als Prozess der Herstellung von Meinung und Entschlossenheit.
Erinnerungen ergeben nur Sinn, wenn Anekdoten zugespitzt werden zu gegenwärtigen Tendenzen. Wir sind uns damals öfter begegnet, Peter Brückner und die Göttinger Mescaleros, wir haben Veranstaltungen bestritten, auch mal zusammen in der Kneipe gesessen, bis wir ihn zum Spätzug nach Hannover gebracht haben. Das war keine Ikone, wie du ihn nennst! Keiner, zu dem man „aufgeschaut“ hat. Hoffentlich hat deine Mutter ihn angehimmelt. Und er sie! Das ist etwas Intimes. Für mich, für uns war und bleibt er der öffentliche Mensch im Tumult. Er war unser Freund. Wenn er überhaupt sympathisch war, dann als Sympathisant der Kratzbürste Mescalero. Abscheuliche Staatsaffaire, voller Böswilligkeit und Verstellung. Schreckliches Ende.
Es hat mich erneut gepackt und geschüttelt, als ich aus dem Film erfuhr, wie Patienten in einem Krankenhauszimmer geklatscht haben, als sie im Fernsehen vom Tod Peter Brückners erfuhren. Wie gesagt: Da ist etwas Familiäres in diesem Film, das bricht über uns herein.
Info
Aus dem Abseits Simon Brückner Deutschland 2015, 112 Minuten
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