Henryk Wichmann ist ein gefundenes Fressen für die Kamera. Der unbekannte und völlig chancenlose CDU-Bundestagskandidat in der brandenburgischen Uckermark lässt sich von keinem Filmteam stören in seinem aussichtslosen Wahlkampf gegen den so populären wie übermächtigen SPD-Kandidaten Markus Meckel. Im Gegenteil: die mediale Aufmerksamkeit scheint ihn zu beflügeln in einer Region, wo sich ansonsten kaum ein Mensch für ihn und seine Botschaft interessiert. Wichmann ist ein Darsteller, der ohne Regie frei improvisieren kann. Er braucht nur ein paar Requisiten wie Tisch und Sonnenschirm, Broschüren und Kugelschreiber oder ein Mikrofon für seine Polit-Performance. Filmemacher Andreas Dresen hat den Kandidaten entdeckt - ein dankbares Objekt
kt der Begierde für seine im Wahlsommer 2002 gedrehte Dokumentation Herr Wichmann von der CDU.Der 25-jährige Jungkandidat war genau die Figur, die der Regisseur gesucht hatte. »Jemand, der uns und die Kamera an die Hand nimmt«, wie er der taz im Interview verraten hat. Die Kamera, meist auf einem Stativ ruhend und in der Distanz positioniert, fängt über 15 Tage ein, was Wichmann so treibt und umtreibt in seinem Wahlkampf. Der Kandidat war dabei immer auf Sendung - vom Recht, sein Mikro auszuschalten oder den Dreh zu unterbrechen, hat er keinen Gebrauch gemacht. So wie Wichmann kein Problem mit der medialen Nähe hatte, so gab es für Dresen kein Problem der Distanz. Er sei ein Linker, offenbarte der Regisseur auf der Berlinale seine politische Gesinnung. Einen CDU-Kandidaten habe er sich ausgesucht, um die Betrachterposition einnehmen zu können. Ein Dokumentarfilm als Selbstläufer.Das Polit-Theater des Herrn Wichmann ist dabei von Anfang an eine Komödie der eher unfreiwilligen Art. Der Film beginnt mit den Dreharbeiten zu einem Wahlwerbespot. Dresen zeigt diese Szene so, dass dieser Film im Film-Effekt nicht sofort sichtbar wird. Er bewirkt damit eine kurze Irritation: Führt sich Wichmann hier mit der Gattin im Arm als Schauspieler ein? Nein, er dreht nur einen Werbespot als »einer von hier«, der »frischen Wind in die Politik bringen« will. Und doch ist diese erste Szene der Wegweiser. Der Kandidat hat Talent zur Performance. Passanten stören die Dreharbeiten des Werbespots, weil sie an einer malerisch gelegenen Holzbrücke durchs Bild spazieren. Kommentar Wichmann: »Jetzt kommen die wieder angelatscht und so laut - schlurf, schlurf. Füße heben.« Viel komischer können Monologe kaum sein, mit der genau gesetzten Pointe am Schluss. Das seien bestimmt nicht seine Wähler, fügt er noch hinzu. Klar, ordentlich die Füße heben - CDU. Es ist der erste Lacher, den Wichmann dem Publikum bietet, sein Gespür für unfreiwillige Pointen und Peinlichkeiten produziert weitere und macht den Film unterhaltsam. Mit tosendem Applaus und großem Gelächter quittierten die Zuschauer zur Premiere auf der Berlinale diesen Auftritt des Herrn Wichmann.Doch Dresen ist nicht nur ein Linker, sondern auch ein Menschenfreund und wollte um Gottes Willen seinen Kandidaten nicht bloßstellen. Der habe den Film selbstverständlich vorab gesehen und er habe ihm gefallen, erklärte er auf der Berlinale. Zur Premiere wollte Dresen ihn dennoch nicht mitbringen und wie ein Zirkustier ausstellen. Wichmann werde sich ganz anonym eine der Vorstellungen ansehen. Bloßgestellt hat der Regisseur den Kandidaten in keiner Szene, und doch hat er ihn als komische Figur ins Bild gerückt von Anfang an. Dass allein Wichmann mit seinem erstaunlichen Improvisationstalent und seiner unfreiwilligen Komik die Wahrnehmung des Films bestimmt, wird ein Profi wie Dresen bereits nach den ersten Aufnahmen gesehen haben. Doch er hat mit der Montage gleich noch einen drauf gesetzt.Wichmanns Lieblingsthema ist der seiner Ansicht nach völlig überzogene Umweltschutz, welcher die Schaffung neuer Arbeitsplätze verhindere. Da geht es auch um Krötentunnel. Und als dem Kandidaten an einer unwirtlichen Straße mal wieder sein Schirm vom Wind verweht wird, schneidet Dresen direkt dahinter eine auf irgendeiner Straße kauernde Kröte. Da macht sich nicht das gefährdete Tier über die Widrigkeiten und Statements des Herrn Wichmann lustig, sondern der Regisseur. Das gilt überhaupt für das Bild vom Wind. Dresen kann sich gar nicht satt sehen an durch die Luft fliegende Broschüren und umstürzenden Schirmen. Frischen Wind will der Kandidat in die Politik bringen, der Regisseur montiert ihm diesem Slogan um die Ohren. In diesen Szenen verlässt Dresen die Beobachterrolle und führt einen jungen Mann vor, der ihm intellektuell nicht gewachsen ist.Dabei sollte Wichmann der Katalysator sein, durch den man etwas erfährt über die Region und das politische Gefühl der Leute, wie Dresen erläutert. Doch dafür klebt der Regisseur zu sehr an seinem Herrn Wichmann. Die Menschen und die Region bleiben zumeist Hintergrund für die Performance des Kandidaten. Dass sich da ein Bürger vor der Kamera als Rechtsradikaler outet, kann keinen mehr überraschen. Ebenso wie die in die Gesichter gewachsene Frustration und das allgegenwärtige Desinteresse an der Politik inklusive dem üblichen Gemotze. Es gibt nur zwei Szenen, in denen Realität jenseits der Allgemeinplätze sichtbar wird. Einmal sitzt Wichmann zum Kanzler-Duell im Fernsehen mit der Gattin auf dem Sofa. Sie ist gelangweilt und will schmusen, er weist die Annäherung zurück. Bei Stoiber will er sich Themenfutter holen für seinen Wahlkampf. Hier prallen zwei Welten aufeinander: Intimität und Politik.Noch krasser wirkt der Gegensatz, als der Kandidat ein Altersheim besucht, zum gemeinsamen Kaffeetrinken mit den Bewohnern. Leichtes Spiel für einen jungen Mann mit freundlichem, untadeligen Auftreten. Wichmann verteilt sein Werbematerial, stellt sich vor, ermuntert zur Wahl zu gehen. Doch nachdem der Kuchen gegessen und der Kaffee getrunken ist, kippt die Stimmung. Die Bewohner schildern ihr tristes Leben ohne Hoffnung, ihre Einsamkeit. Mit seiner ewig guten Laune, seinem ausgestellten Optimismus läuft Wichmann hier gegen eine Mauer. Einfach nur den Mund halten und zuhören, das kann er nicht. Mit einem »weiter so«, ermuntert der Kandidat einen Senior weiter mit dem Rollstuhl draußen seine Runden zu drehen. Wie weit sich die Politik mit ihrer um sich selbst kreisenden Rhetorik von der Realität der Menschen entfernt hat, in dieser Szene ist es zu spüren, ohne dass Wichmann denunziert wird. Denn wie sollte ausgerechnet ein 25-jähriger Newcomer ohne Lebenserfahrung diese Distanz einreißen können? Das »weiter so« bleibt ein hilfloser Versuch die Sprachlosigkeit zu überwinden.Diese eindrückliche Szene fällt Dresen wie eine reife Frucht in den Schoß. Er muss die Kamera nur lange genug anlassen. Der Regisseur bleibt auch hier auf der sicheren Seite. Sein Film lädt zum Lachen ein und selten auch zum Nachdenken, in den Bann zieht er den Zuschauer nie. Dafür wagt Dresen zu wenig. Mit dem netten Herrn Wichmann lassen sich kleine Späße treiben, Reibungen entstehen im Kontakt mit ihm keine. Wenn der Vorhang fällt, ist der Film vergessen. Es gibt keinen Stachel, der weiterwirkt.
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