Viele Vorstellungen sind ausverkauft, das Interesse - selbst für Dokumentationen - ist groß. Seit der erneuten Eskalation des Palästinakonflikts und aktuell dem drohenden Krieg gegen den Irak steht das israelische Kino auch auf der Berlinale im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Wie reflektierten dortige Filmemacher die Situation in ihren Land, welche Bilder und ästhetischen Formen halten sie für angemessen?
Die 1947 in Polen geborene und heute in Tel Aviv lebende Tsipi Reibenbach näherte sich der Gegenwart über die Erinnerung. Die Entdeckung archäologischer Grabstätten in ihrer Heimatstadt Lydda bildet den Ausgangspunkt für ihre Dokumentation Stadt ohne Mitleid. Nur für ein paar Monate wurde dort im vergangenen Jahr nach Fundstü
nach Fundstücken gefahndet. Weitere Schätze lagern heute unter Bergen von Müll und Unrat - die Ausgrabungen wurden von staatlicher Seite beendet. Reibenbach, die nach 25 Jahren Lydda erstmals wiedersah, zeigt Israelis und Araber bei der gemeinsamen Erinnerungsarbeit. Sie waschen und beschriften Fundstücke, tragen behutsam Erde mit Hacken und Schaufeln ab.Es bleibt die einzige Gemeinsamkeit zwischen Israelis und Arabern in der Stadt. Nach der Rückkehr der Juden in ihr gelobtes Land 1948 wurden viele Palästinenser vertrieben. Der Rest von ihnen lebte fortan im sogenannten Araber-Ghetto. Einen Ort, den Reibenbach erst jetzt während ihrer Rückkehr zum ersten Mal zu erkunden versucht. Doch der Zutritt zur Moschee wird ihr verboten, auch sonst schlägt ihr Aggression und Abwehr entgegen. Niemand dort möchte sich filmen lassen. Nur auf den Feldern am Rande der Stadt redet ein arabischer Bauer mit ihr, dessen Familie seit Generationen Oliven anbaut. »Für die Israelis ist Lydda nur eine Durchgangsstation, für uns ist es die Heimat«, meint der alte Mann. Die Stadt ist früher in ganz Palästina berühmt gewesen für ihre Oliven, doch seit 1948 liegt die große Anlage mit den Pressen brach und verfällt. Heute dient sie Drogensüchtigen als Unterschlupf.Reibenbach dokumentiert diesen an allen Ecken der Stadt und vor allem im alten Zentrum sichtbaren Verfall. Dort, wo sie als Kind lebte, stehen schäbige Häuser inmitten von Brachland. Das Kino, an dessen Fotokasten sich die kindliche Phantasie erstmals entzündete, ist nur noch eine Ruine. Am Himmel donnern die Flugzeuge über die Stadt, die allein mit dem Airport in der Moderne angekommen zu sein scheint. Doch all die Motive des Films von der Erinnerung an die eigene Kindheit über die Ausgrabungen und das Verhältnis von Arabern und Israelis bis hin zu Verfall und Drogensucht bleiben eigentümlich unscharf. Reibenbach fehlt ein Fokus, ein roter Faden. So zerfasert der Film und die aktuelle Situation nach dem 11. September wird nur benannt, aber nicht sichtbar und fühlbar.Womöglich fehlt Reibenbach auch der Abstand zum Geschehen, um genauer hinsehen zu können. Asher de Bentolila Tlalim macht genau die selbstgewählte Distanz zum Ausgangspunkt seiner Dokumentation Galoot, dem hebräischen Wort für Exil. Seines in London hat er selbst gewählt; es ermöglicht ihm eine intensive und nachdenklich stimmende Analyse des palästinisch-israelischen Konflikts. Für Tlalim und die Juden, die er in London interviewt, steht die zionistische Bewegung angesichts des Terrors auf beiden Seiten vor einem Scherbenhaufen. Die Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln des Exils, der Diaspora sieht der Regisseur als einzige Möglichkeit, um heute die Situation der Palästinenser verstehen zu können, denn diese leben als Fremde in der Heimat.Letztere haben viele Israelis schweren Herzens verlassen, weil sie die Unterdrückung der Palästinenser nicht länger ertragen können und wollen. Tlalim fängt in seinem bewegenden Film diese inneren Konflikte in Gestik und Mimik seiner Gesprächspartner ein, die er auf Spaziergängen, beim Kochen oder in anderen Alltagssituationen begleitet. So zeigt sich die Zerrissenheit der Exilanten nicht nur im Sprechen, sondern auch an ihren Gesten. Das gilt auch für den Palästinenser Haled, dem sich Tlalim sehr behutsam mit seiner Kamera nähert. Der Regisseur begleitet ihn auf den Markt, wo Haled Obst kauft, das nicht aus Israel kommt, bis nach Hause. Doch dort macht die Kamera vorerst halt - Grenzen werden respektiert. Später lädt Haled den Regisseur zum Essen ein, nach und nach entsteht ein vorsichtiger Kontakt. Der Regisseur reist kurz nach Israel und sieht mit eigenen Augen, dass nichts mehr zu sehen ist vom Heimatdorf des jungen Palästinensers, wo dessen Großeltern Land besaßen, und in das dieser irgendwann zurückkehren will. Zu sehen sind nur noch traditionslose Zweckbauten der Israelis, errichtet nach der Vertreibung der Araber 1948.Tlalim und Haled haben beide ihre Heimat in Palästina - sie wollen beide dort leben. Doch wie soll das gehen in Frieden? Im Londoner Exil beschreiben sowohl Israelis als auch Palästinenser die aktuelle Situation in ihrem Land als aussichtslos. Am Ende tanzt der Palästinenser mit Tlalims kleinen Sohn auf einem Fest. Ein Bild, das der Regisseur stillstehen lässt - als kleine Utopie eines anderen Miteinanders über alle Gegensätze hinweg. Heute nur möglich im Exil.