Sogar Kafka passt rein

Erzählungen Auch im neuen Buch „Fallensteller“ weiß Saša Stanišić, wie er die Köder für den Leser präparieren muss
Ausgabe 19/2016

Es ist langweilig, Saša Stanišić zu loben. Alle tun das. Schon lange. Nachdem sein Erstling Wie der Soldat das Grammofon repariert bis ins Finale um den Deutschen Buchpreis gekommen war, aber nicht gewonnen hatte, erklärte ihn das Feuilleton kurzerhand zum Buchpreis-Gewinner der Herzen. Das war 2006. Acht Jahre später, als nach einigen weiteren Talentproben (endlich, endlich) das zweite dicke Buch erschien, eine vielstimmige Provinzgeschichte namens Vor dem Fest, bekam er den Preis der Leipziger Buchmesse. Hochverdient, hieß es. Kurz zuvor hatte Florian Kessler in der Zeit noch eine Diskussion über die Konformität der sattbraven deutschsprachigen Gegenwartsliteratur losgetreten. Lediglich drei Namen wollte er von seiner Rundumkeulerei ausdrücklich nicht berührt wissen. Einer davon: Saša Stanišić.

Sie sehen: Es ist langweilig, Saša Stanišić zu loben. Alle tun das. Als eigenwilliger Leser will man die Lektüre des neuen Erzählbands Fallensteller deswegen vorsichtig angehen: Wäre es nicht zu billig, schon wieder diesem Gaukler und seinen schriftstellerischen Tricks aufzusitzen?

Besagte Tricks fangen bereits mit dem Titel der ersten Erzählung an: Die große Illusion am Säge-, Holz- und Hobelwerk Klingenreiter Import Export. Daran bleibt man erst mal hängen. Folgt der wunderbar krumme, erzählperspektivisch verspielte erste Satz, der Ankündigung von Erfolg und Scheitern ist: „Als Ferdinand Klingenreiter das Publikum, liebe Freunde, Familie, liebe Kinder, um Ruhe für seine Große Illusion bat, lachten einige, die meisten redeten weiter.“ Was will man machen? Der Fallensteller weiß nun einmal, wie er den Köder präparieren muss, damit der Speichel im Lesermund zusammenläuft. Und die Köder, das merkt man schnell, sind zahlreich.

Stanišić, 1978 im bosnisch-herzegowinischen Višegrad geboren und 14-jährig nach Deutschland gekommen, versammelt in Fallensteller zwölf Prosastücke, hervorzuheben wären eigentlich alle. Das leichtfüßige Billard Kasatschok. Das mythische Die Fabrik. Das traurig-komische In diesem Gewässer versinkt alles.

Smalltalk mit Fremden

Oder die Erzähltrilogie von Georg Horvath, der durch eine Verwechslung zu Georg Horwath wird und auf einer Dienstreise nach Brasilien verloren geht. Besser, verloren gehen will. Im Taxi, das eigentlich jemand anderen transportieren sollte, lässt er sich in die Straßen und in seine Assoziationen fallen. Das bringt Horwath, der als Horvath Smalltalk mit Fremden noch als „anstrengendste Arbeit“ ansah, zum Reden – und dass der Chauffeur ihn wegen der Sprachbarriere nicht versteht, erleichtert ihm den Dialog. Er kann sich treiben lassen. Passend dazu treibt die Erzählung vor sich hin, lässt sich von Gerüchen und Geräuschen mitreißen oder auch nicht, schlägt poetische Bögen und kommt immer mal wieder zum Hauptsatz zurück. En passant flicht Stanišić noch Kafkas Parabel Der Aufbruch ein. Wenigstens das, so könnte man jetzt kritisieren, ist aber wirklich ein billiger Trick, epigonenhaft. Doch die Kritik greift nicht. Denn die Horvath-Geschichte ist meisterhaft durchkomponiert. Ein Meister kann kein Epigone sein. Er zitiert höchstens. Und das macht Stanišić gerne. In der titelgebenden Erzählung zitiert er, selbstbewusst und selbstironisch, sich selbst: Fallensteller, der längste Text des Bandes, knüpft an Vor dem Fest an.

Für den Roman hatte Stanišić mehrere Jahre in der Uckermark recherchiert, mit ethnologisch-schriftstellerischem Interesse sozusagen, und ein Panorama der Figuren und Geschichten aus dem halb fiktiven Fürstenfelde erzählt. Fallensteller spielt nun in einer Zeit, in der der „Jugo-Schriftsteller“ verschwunden ist. Einer seiner Figuren, Lada, hat er ein Heftchen geschenkt. „Ein kleines schwarzes, und da schreibt Lada jetzt Sachen auf. Notiert. Lada notiert! Wie so ein Opfer.“ So berichtet es das Fürstenfelder Erzähler-Wir, das sich zwar nicht mehr mit dem Schriftsteller herumschlagen muss, dafür aber mit einem neuen Eindringling konfrontiert wird. Einem mysteriösen Fallensteller, der eines Tages im Ort auftaucht. Mit Zopf und Glatze, schwarzem Mantel und hochgeklapptem Kragen steht er eines Nachts vor der Garage von Ulli, in der sich das Dorf zum Trinken trifft. Dort fängt er eine Ratte. Und die misstrauischen Bürger Fürstenfeldes folgen dem Rattenfänger fortan. Bereitwillig tappen sie in seine Fallen. Zwar fängt er die Tiere, auf die er angesetzt wird, mit seinen wilden Konstruktionen nur selten ein; aber er entlockt den Menschen ihre Geheimnisse, kitzelt ihre Sehnsüchte, spielt mit ihren Ängsten, indem er sich ihrer Probleme annimmt, sie hätschelt oder provoziert. Selbst Zieschke, der depressive Karl-May-Leser, beginnt zu reden, „wie er noch nie geredet hatte“, nachdem seine Frau offensichtlich Interesse an dem Eindringling gefunden hat.

Zugegeben: Die Faszination über all die großen und kleinen Findigkeiten, mit denen Stanišić seine Geschichten erzählt, erschwert den klaren Leseblick. Wenn man sich mal wieder kurz lösen kann, bemerkt man vielleicht, dass ab und zu ein Witz misslingt. Außerdem wird mitunter schon sehr wild fabuliert. Ein möglicher Vorwurf, seine Prosa sei postmodern-unpolitisch, ist aber haltlos. So mischt Stanišić beispielsweise den Flüchtlingsdiskurs in seine Texte, ohne Ausrufezeichen, aber gallig, mitunter voller Zynismus. Auch das gelingt. Was soll man anderes machen, als Saša Stanišić zu loben? Alle tun das. Zu Recht.

Info

Fallensteller Saša Stanišić Luchterhand Literaturverlag 2016, 288 S., 19,99 €

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